Er, der einmal ein Fanzine schrieb (4)

01.12.2006 | 0 Kommentare | barracuda

Weihnachten? Keine Angst, diese Geschichte hat nix damit zu tun, der Heilige Abend dient nur als Klammer oder so. Teil 4: Musik und Geschmacksentwicklung. Viel Spaß!
Er, der einmal ein Fanzine schrieb, war schon früh musikverbunden.

Wenn er sich heute zurückerinnerte, dann würde er sich an dem alten Klangmeister sitzem sehen. Früher gaben die Hersteller ihren Produkten recht einprägsame Namen; das Kompaktgerät, vor dem er damals saß und nervös darauf wartete, dass er den Aufnahmeknopf drücken durfte, war ein rechteckiges, großes Ding, aber es hatte alles, was man zum Mischneiden brauchte: Ein Teil zum Radioempfang und ein Kassettendeck, mit kleinen Rädchen zur Pegeleinstellung und zwei Anzeigen, auf dem die Zeiger lustig tanzten, wenn man aufnahm oder abspielte. Das erste Lied, das er an diesem Tag aufzeichnete war von Relax. „A weißes Blattl Papier liegt scho seit Stunden vor mir“ sang der Typ dabei, auf gut bayrisch. Die Schlager der Woche im dritten Programm war seine Quelle und er zeichnete alle zehn Titel gewissenhaft auf. Während er also dem süddeutschen Dialekt frönte und mit Herbert kleine Flugzeuge im Bauch spürte, ahnte er nicht, was sonst in der Musikwelt vor sich ging. Dass zum Beispiel die Smiths im Königreich groß wurden, dass Gang Of Four ebenfalls in England ihre kreativ größte Zeit hatten und drüben, über dem großen Teich, in der Hauptstadt des Kapitalismus, Washington DC, der Punk ganz neue Ausdrucksformen annahm und mit dem Hardcore eine aufregende, neue Jugendbewegung entstand.


Er denkt nicht gerne an diese Zeit zurück, denn eigentlich schämt er sich ein wenig für seinen frühen Musikgeschmack. Seine Freundin sagt zwar, dass wohl die wenigsten von sich behaupten können, mit elf bereits coole Sachen gehört zu haben, aber er ist sich da nicht ganz sicher.

Wenig später endeckte er mit seinem damaligen besten Freund etwas repräsentativere Bands. Talk Talk, Billy Idol, King, Dead Or Alive, U2, Frankie Goes To Hollywood. Sie lenkten seine Musiksozialisation bereits in eine Richtung, wenngleich er auf der Realschule ein wenig konzeptlos zwischen den Genres herumsprang. Zuerst hatte er den Hiphop für sich entdeckt und fand vor allem Beats und bassige Sounds gut. Beastie Boys, Public Enemy, Run DMC, LL Cool J. Das änderte sich allerdings, als er von seinen Mitschülern auf die härtere Gangart eingestimmt wurde, denn Metallica, Dio, Anthrax und SOD hatten so rein gar nichts mehr mit den Reimern aus der Bronx zu tun, vermochten aber die pubertäre Aggression ein wenig zu kanalisieren. Gegen Ende, kurz vor seiner Lehre machte er aber noch einmal eine Kehrtwendung und hörte eher die Fun- und Saufpunkschiene. Abstürzende Brieftauben, Schließmuskel, Ärzte, Die Toten Hosen. Deren Drei-Akkorde-Songs hatten zwar mit den radikalen, bösen Anfangstagen des Punk wenig gemein, sie öffneten allerdings seine Kanäle für die Musik, die ihn zum Fan machte.
Teilen: Facebook Twitter

Reihe

22.12.2006 - Er, der einmal ein Fanzine schrieb (6) barracuda

Tja, es ist unausweichlich. Übermorgen weihnachtet es sehr, und Geschenke all überall. Meines an euch kommt bereits heute: Der sechste und letzte Teil meiner kleinen Pseudo-Christmas-Story!

08.12.2006 - Er, der einmal ein Fanzine schrieb (5) barracuda

Eine Geschichte, die am Heiligen Abend spielt – und doch mehr mit Musikkultur zu tun hat, als mit Weihnachten? Teil 5, viel Spaß!

01.12.2006 - Er, der einmal ein Fanzine schrieb (4) barracuda

Weihnachten? Keine Angst, diese Geschichte hat nix damit zu tun, der Heilige Abend dient nur als Klammer oder so. Teil 4: Musik und Geschmacksentwicklung. Viel Spaß!

24.11.2006 - Er, der einmal ein Fanzine schrieb (3) barracuda

Dritter Teil der kurzen Heilig-Abend-Geschichte, die relativ wenig mit Weihnachten zu tun hat. Ein Gedankentrip in die Vergangenheit.

17.11.2006 - Er, der einmal ein Fanzine schrieb (2) barracuda

Es geht weiter mit der kurzen Geschichte, die zwar am Heiligen Abend spielt, aber sonst relativ wenig mit Weihnachten zu tun hat. Heute Teil 2, viel Spaß.

10.11.2006 - Er, der einmal ein Fanzine schrieb barracuda

Inspiriert von der Geschichtensammlung „Driving Home“ (die ich allerdings nie gelesen habe) erdachte ich eine kurze Geschichte, die zwar irgendwie am Heiligen Abend spielt, aber sonst relativ wenig mit Weihnachten zu tun hat.


Bewertungen

0 Bewertungen
Um eine Bewertung abzugeben, musst Du ein eingeschaltenes Mitglied der Motorjugend sein.

Kommentare

Noch keine Kommentare vorhanden.

Kommentieren

Als Mitglied der motorjugend mit dem Rang Blicker oder mehr kannst Du an dieser Stelle einen Kommentar zu dieser Text abgeben und andere Kommentare kommentieren.


Andere Artikel

The Fragile Stage

Unsere Kinder werden den Zusammenhang nie verstehen

Meine Fresse, wie ich das beschissene Bild mit der Kassette und dem Bleistift hasse

Ein Fragment...

...in dem der jetzt nicht mehr so unbekannte Autor durch die Straßen und Gassen seiner Stadt läuft.

Durch die Zone

Ein Fragment aus DEM ROMAN. Ca. Seite 5 oder Kapitel 2.