Durch die Zone

03.01.2015 | 0 Kommentare | motorhorst

Ein Fragment aus DEM ROMAN. Ca. Seite 5 oder Kapitel 2.
"Ka-Tschung, Ka-Tschung, Ka-Tschung", machen die Räder auf den Schienen. Zumindest bilde ich mir das ein. Es sind definitiv zwei Silben. Vielleicht machen sie auch "sieg-heil, sieg-heil, sieg-heil". Würde ja sehr gut passen, zu dem Streckenabschnitt den wir gerade durchqueren, der Abschnitt, wo die Bahn vor der Wiedervereinigung ja auch ironischerweise Reichsbahn hieß. Ausgerechnet hier, wo man die unselige Zeit doch so schnell vergessen wollte, nicht mal das westliche salonfähige "Aber es war ja nicht alles schlecht" war hier erlaubt. Alles war schlecht. Erst als dann schon wieder ein neuer Staat begann, erinnerte man sich darin, dass damals doch eigentlich ziemlich viel gut war. Mitten aus diesen Überlegungen schrecke ich aus den Gedanken hoch und frage mich, wie ich überhaupt auf die blöde Idee von dem zweisilbigen Rad-auf-Schienengeräusch kam. Offenbar war ich mit dem Kopf in irgendeinem Film aus den 50er Jahren festgesteckt, denn wenn ich hier genau hin höre.... ja... da sind keine einzelnen Wortbestandteile zu hören, vielleicht noch ein flappflappflapp, so rast der ICE Richtung Süden.

Ich versuche mich zu erinnern, wie ich auf die bescheuerte Idee kam, mit der Bahn zu reisen. Ich hasse die Bahn. Also nicht so, wie alle anderen Menschen, die auch den Tatort hassen und jeden Sonntag glotzen, nachdem die verhasste Bahn sie rechtzeitig mit 2 Stunden Verspätung nach Hause gebracht hat. Sondern wirklich. Aber was war die Alternative? Mitfahrgelegenheit? Ich bitte Sie. Fünfmal und nie wieder. Und mit dem Flugzeug? Der Witz ist ja, dass die Redaktion mir den Flug gezahlt hätte. Nicht direkt an meinen Zielort (denn dort gibt es natürlich keinen Flughafen), aber bei dieser Variante hätte ich wenigstens nur die letzten 60 (ok, in der Realität sicher 90) Minuten in einem Waggon verbringen müssen. Das Thema Fernbus hatte sich glücklicherweise von selbst erledigt, nachdem die Bundesregierung oder EU (ich blicke da schon lange nicht mehr durch) nach den paar Jahren des Versuchs, diese Beförderungsart wieder eingestellt bzw. vom Markt genommen hatte.

Die Entscheidung gegen die schnelle Beförderung aus meinem geliebten Berlin in die nordostbayerische Einöde, war eher eine Art Selbstschutz. In Tegel einsteigen und schwupps vor vollendeten Tatsachen stehen, das wäre ein zu großer Schock gewesen. Auf dem gewählten, entspannteren Weg könnte ich meine Gedanken noch einmal sammeln und ordnen und mich behutsam auf die Geister der Vergangenheit vorbereiten, die sich mir dort unweigerlich in den Weg stellen würden. Letzten Endes war es ja auch meine Herkunft, die ich so gerne verdränge, welche mir den Luxus von mindestens 2 Wochen für eine ausführliche Recherche-Reise ermöglicht. Unbewusst blätterte ich bei diesen Überlegungen in den Seiten des in Leder eingebundenen Buchs, das auf der winzigen Ablage am Fenster des Zuges liegt. Während ich es um 90° drehe, schaue ich mir noch einmal das komische Bild oder Symbol auf der Umschlagseite an, schlage die erste Seite auf und betrachte die Unterschrift des Autors, hohe geschwungene Linien mit einem schwarzen Kugelschreiber oder sehr dünnem Filzstift. "Meine persönliche Widmung" hatte der Redakteur verkündet. Doch dort steht nichts weiter. Kein persönliches Wort, geschweige denn ein ganzer Satz. Nur die nackte Unterschrift des Autors.
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