Ich habe mein Wochenende zu einem nicht unerheblichen Teil mit dem Hören eines Albums verbracht. Keinem Next Big Thing, sondern mit dem selbst betiteltem Debüt der STONE ROSES von 1989. Ein Album, das in der – vor allem englischen – Musikpresse immer wieder vorderste Plätze erreicht, wenn die Frage nach den besten Platten gestellt wird. Im Jahre 2003 ernennt es der NME zum besten Album aller Zeiten, ein Jahr später kürt es eine Jury aus Musikern und Kritikern im Observer zum besten britischen Album ever.
Es ist ein Album mit zwei herausragenden Stücken, die mich seit längerem und aus unterschiedlichen Gründen faszinieren. Seit der famosen Britpop-Dokumentation „Live Forever“ verfolgt mich „Waterfall“,welches symbolisch in jenem Moment des Filmes erklingt, als vom legendären Konzert der Stone Roses auf Spike Island die Rede ist. Zum anderen ist es der wunderbare hedonistische Opener „I Wanna Be Adored“, der mit nur 4 unterschiedlichen Songzeilen auskommt, um die packende Atmosphäre des Albums zu zementieren.
Andererseits waren da eine ganze Reihe von Songs, die mir lange überhaupt nichts gesagt haben. Möglicherweise lag es daran, dass ich erst durch das zweite Werk der Stone Roses „Second Coming“ zum ersten Mal von der Band hörte und – berechtigterweise – enttäuscht war. Second Coming erschien erst 5 Jahre nach dem Debüt, viel zu spät, überproduziert, eher von Kokain als von Ecstasy inspiriert und von der Kritik verrissen.
Wie kam es nun zu der erstmaligen intensiven Beschäftigung mit „THE STONE ROSES“, die neben dem mehrfachen Hören des Albums auch ein oftmaliges Vor- und Zurück-Skippen oder mehrmaliges Wiederholen einzelner Songs bedeutete? Schuld daran ist eine wunderbare Buchreihe des Continuum-Verlags aus New York bzw. London. Dieser veröffentlicht eine Reihe namens „33 1/3“, etwas DINA6 bis DINA5 große, ca. 130 Seiten starke Büchlein, wobei jedes nur von einem bestimmten, klassischen Album handelt. Zwei dieser Bücher befinden sich seit einiger Zeit in meinem Besitz und das erste davon handelt eben von „The Stone Roses“ (Autor ist der Amerikaner Alex Green). In diesem Buch befinden sich neben dem Vorwort und dem Epilog genau 12 Kapitel, ein jedes benannt nach einem Song des Albums. Thema jedes Kapitels ist einer der verschiedenen Aspekte des Albums, der Entstehungsgeschichte, der Umstände und gesellschaftlichen Situation zu jener Zeit und den Folgen. Danach geht es dann um den entsprechenden Song, textliche und musikalische Bedeutung oder kleine Anekdoten.
Um einen Eindruck davon wiederzugeben, möchte ich die Geschichte des 6. Tracks „Bye Bye Badman“ wiedergeben, die gleichzeitig die Geschichte des Album-Covers ist. Dieses Cover beruht auf einem Bild von Gitarrist John Squire im Stile Jackson Pollocks, welches den Titel „Bye Bye Badman“ trägt. Im Song geht es dabei um die französischen Studentenunruhen des Jahres 1968 und einer besonderen Begebenheit: „
Choke me, smoke the air, In this citrus-sucking sunshine I don't care, You're not all there“. Mit dem Zitronensaft bekämpften die Studenten die beißende Wirkung des Tränengases und behielten so quasi die Oberhand über die Ordnungsmächte, die eben „not all there“ waren. Dieses Motiv findet sich wiederum im Gemälde, welches das Cover des Albums ziert: drei Zitronenscheiben, wovon eine das O in „Roses“ bildet und ein blauer, ein weißer und ein roter Strich, die die Tricolore neben dem Bandnamen symbolisieren.
Ob mir jetzt das komplette Album mehr sagt als vorher (sicherlich), ob ich neue Klangperlen entdeckt habe (I am the resurrection!) oder ob ich seltsame Songs nun eher verstehe (Don't stop, Elizabeth my dear), spielt gar nicht so die übergeordnete Rolle. Es ist auf jeden Fall eine interessante Möglichkeit, sich einmal wieder intensiv mit Musik jenseits des üblichen Jagens und Grabschens nach dem neuesten heißen Scheiß zu beschäftigen. „OK Computer“ liegt bereits als nächstes bereit. „Meat is Murder“ und „Unknown Pleasures“ wurden heute bestellt und das Erscheinen von „Daydream Nation“ kann ich kaum noch erwarten.
Weiterführende Links:
Ein Blog zu den 33 1/3 Büchern
Die Bücher bei Amazon.com
Christian_alternakid am 04.07.2006 um 09:14 Uhr:
das Stone Roses Debut ist im übrigen nicht nur des NMEs nummer 1, sondern auch seit Jahren mein alltimefavourite album. ich hatte, und das mein ich jetzt ernst und ohne pathosüberhöhung, bei keinem album in meinem leben ob der puren schönheit, der perfektion dieser songs so oft tränen in den augen. es sind selbst kleinste momente, wie das abrutschen Squires während er die gitarre zum antimonarchiesong "Elizabeth My Dear" ("Tear me apart and boil my bones / I'll not rest till she's lost her throne / My aim is true my message is clear / It's curtains for you, Elizabeth my dear") spielt, das ein "kchh" verursacht, die ich mir tausendmal anhören könnte. besonders bestaunenswert, dass das album als ganzes wie auch die einzelnen songs für sich funktionieren.zieht man dann noch in betracht, dass eine ganze handvoll singles der Roses aus jenen goldenen jahren nicht auf das albumdebut genommen wurden, die aber - auch das keine übertreibung - die britische musikszene auf immer veränderten (Fools Gold, Elephant Stone, Sally Cinammon) und songs als b-Seiten verwendetet wurden, auf denen andere bands weltherrschaften begründen würden (The Hardest Thing In The World, Where Angels Play), ist das britische lob für das Stone Roses debut keineswegs übertrieben, sondern lediglich die ignoranz der restlichen welt beklagenswert.
danke für die Bye-Bye Badman geschichte, motor. die kannte ich noch nicht.
super-soccer am 04.07.2006 um 09:50 Uhr:
sehr interessanter, kurzweiliger Artikel und eine tolle idee des Verlagspony_rieneck am 04.07.2006 um 12:05 Uhr:
sehr schön. hab dasselbe im letzten urlaub gemacht. das meat-is-murder büchlein ist auch hübsch, allerdings keine "erläuterung" wie die stone-roses-ausgabe, sondern quasi eine fiktionalisierung, ein 1985-flashback von pernice-brother joe.Bloody Mary am 06.07.2006 um 19:28 Uhr:
Das wird euch wurscht sein, aber das ist die einzige Band, die ich kenn, die einen Song mit dem Titel "Simone" geschrieben hat. Ohne Text. Klar.Garfields Ripper am 26.08.2006 um 03:06 Uhr:
Hab diesen Artikel aufgrund chronischer Offlineigkeit (oh oh) erst nun gelesen, und muss grösstenteils zustimmen.Nur mit der Herungterspielung des Zweitlings "Second Coming" bin ich nicht so recht zufrieden. Hatte der Autor des Artikels hier etwa Ohrstöpsel getragen? So muss es wohl sein wenn man eindeutige Meisterwerke wie "Ten Storey Love Song" übersieht. Dieser Track hat mehr Soul und Drive als der allergrößte Teil britischer Popmusik dieser Epoche. Die Minimalske Akustik von "Your Star will shine" oder das unglaublich intensive "Driving South" - das alles sind Songs die es - wie auch der Rest des Albums - nicht verdient haben in den Untergrund gezogen zu werden. Wie der Autor richtig angab: Von der Kritik verrissen. Aber müssen wir dieses Album deshalb auch in Grund und Boden treten? Nein! Im Gegenteil. Damals, als der Britpop auf dem Höchsten Punkt angelangte waren die verspielten Gitarrenkunststücke von John Squire vielleicht etwas deplaziert. Doch heute sollte man rekapitulieren und sehen:
Klar, das Debut schlägt Second Coming.
Doch noch immer würde jede erdenkliche Band sich glücklich schätzen eine Perle wie diese erschaffen zu haben..
Vgl. Suede - Coming up mit Stone Roses - Second Coming. Wer wäre wohl der Sieger?