Denken in Bildern 4 – Die Montage als Denk-Anregung

06.11.2007 | 0 Kommentare | wowo101

Räume und Bilder schön und gut – heute werden endlich Filme daraus. Warum bei Kubrick die Schere die Hauptsache ist, nicht der Kleister.
Der frühe Kubrick, heißt es, sei von keinem Regisseur so beeinflusst wie von Max Ophüls und dessen langen, gleitend bewegten Einstellungen. In der Montagetheorie beruft er sich nicht auf Eisenstein, sondern auf Pudowkin: Der Schnitt soll nicht mitunter disparate Eindrücke zu Agitation und Argumentation zusammenbinden, sondern „Schritt für Schritt“ Bilder aneinander reihen, die jeweils die „direkte Fortsetzung der anderen seien“, so dass „jede Aufnahme den Anreiz zur Übertragung des Interesses auf die nächste“ gibt. Gänzlich organisch müssten Kubrickfilme demnach sein.

Doch schon in The Killing zeigt sich, dass sie tatsächlich völlig anders funktionieren: Darin eine Vorwegnahme von Tarantino & Co., zerschneidet der Film bewusst alle zeitlichen und kausalen Strukturen und ordnet das Material so an, dass wir diese Zusammenhänge selbst rekonstruieren müssen, die Muster und Motive dahinter aber umso klarer zum Ausdruck kommen. Dieses Wechselspiel zwischen der Einbeziehung des Zuschauers und einer vollständigen Ausformulierung der Konzeption prägt alle Filme Kubricks und macht sie auf beiden Seiten, der des Rezipienten wie der des Autors, zu auch in der Montage gedachten, nicht empfundenen Werken. (Wie anders hier der große Antipode Tarkowskij!)

Das gilt zum einen für die Makrostruktur der Filme, deren Story stets sichtbar und präzise in „nonsubmersible units“ gegliedert ist – so etwa Burpelson Air Force Base, War Room und B-52-Bomber in Dr. Strangelove, „The Dawn of Man“, „18 Months Later“ und „Jupiter and Beyond the Infinite“ in 2001, oder Parris Island, Da Nang und Hué in Full Metal Jacket – und deren Plot, dem klassischen Drama ähnlich, sich in klar getrennten, meist vier Akten vollzieht – z.B. der Weg zum Hotel, Einführung und Inbesitznahme, der Weg in den Wahnsinn sowie Klimax und Tod in The Shining.

Zum anderen setzt der Schnitt die einzelnen Szenen zueinander in eine rationale, keine emotionale Beziehung: Die Schnitte von Colonel Dax zu den Soldaten auf seinem Rundgang durch die Schützengräben ebenso wie die vom Labyrinth des Schlachtfelds zu den Schlosshallen der militärischen Führung erläutern in Paths of Glory Herrschaft und Hierarchie, kontrastieren die Lebenswirklichkeiten, aus deren Inkompatibilität sich der Grundkonflikt des Films speist. Gedanken, nicht Gefühle werden transportiert. Ebenso die Schnitte in Barry Lyndon, die als Kontrapunkt zu den langen Einstellungen und Zoomfahrten fungieren, die die meisten Sequenzen des Films bestimmen: Sie unterstützen nicht die Nachvollziehbarkeit der gezeigten Emotionen oder steigern Tempo und damit Brisanz von Barrys Aufstieg und Fall, sondern sie erhöhen primär unser Bewusstsein für das Tempo innerhalb der Einstellungen und damit von unserer konzeptionellen wie kulturellen Distanz zum Geschehen. Dass der Film dadurch wirke wie der Gang durch ein Museum, wie der Hauptdarsteller Ryan O’Neal enttäuscht meinte, ist nur ein Zeugnis dieser absichtlich hergestellten Distanz, die für Kubrick der einzig gerechtfertigte und authentische Zugang zu einer vergangenen Epoche ist.

Im wohl berühmtesten Schnitt der Filmgeschichte schließlich, der match cut vom in die Höhe geworfenen Knochen zum Raumschiff im Erdorbit in 2001, findet man die Essenz der intellektuellen Montage Kubricks. Nicht nur wird mit einem einzigen Schnitt eine zeitliche Distanz von drei Millionen Jahren überwunden; zugleich zeigt das Matching der beiden Gegenstände die Kontinuität über diese Distanz und den Weg, den die Menschheit in ihr zurückgelegt hat: Sie hat den Weltraum erobert, mit Werkzeugen, die ihren Ursprung im Kampf um Macht und Vorherrschaft haben. So kommt in diesem Schnitt ein Generalthema des Films zum Ausdruck, das dann in der Figur des HAL 9000 und dem Konflikt zwischen enthumanisierten Menschen und menschlicher Maschine seine Zuspitzung findet. Die Aufnahme von Form und Bewegung der vorangehenden in die folgende Einstellung dient also nicht der organischen Fortsetzung der Bilderreihe, sondern ist Bedingung und Mittel von Kubricks Argumentation in und mit Bildern – und darin dem „argumentativen Schnitt“ des späten Eisenstein näher als den Montagen Pudowkins.

Und morgen widmen wir uns dann endlich Herrn Kubrick persönlich: "Denken in Bildern 5 – Autor, Erzähler und Publikum".
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