Dass Kubrick so oft unter die Autorenfilmer eingereiht wird, könnte falscher nicht sein. Bis auf
Killer’s Kiss und
2001 sind sämtliche Filme Adaptionen. „I’m not a writer“ hat er Frederic Raphael, dem Ko-Autoren von
Eyes Wide Shut bekannt. Und wiewohl er stets darauf bedacht, ja bisweilen erpicht war,
screenplay credits zu erhalten (und möglichst nicht zu teilen – „the auteur syndrome“ nennt es Terry Southern, sein Ko-Autor bei
Dr. Strangelove), so ist sein Name dort der einzige Hinweis auf den – mit Ecos Worten – empirischen Autor Kubrick.
Was Autorenfilmer von Hitchcock bis Scorsese auszeichnet, das ist der persönliche Blick, der autobiographische Bezug, die durchgehende Subjektivität des Filmemachens – all das fehlt bei Kubrick. Scorseses Herkunft und Kinosozialisation findet man zuhauf in den Themen und Topoi seiner Filme wieder, Truffauts Hitchcock-Verehrung spricht aus seinem ganzen Oeuvre, Hitchcocks Obsessionen sind das Materials seiner Thriller. Kubricks Inhalte und die Form, die er ihnen gibt, verweisen auf nichts aus seinem Leben oder seiner Persönlichkeit. Der Autor tritt vollkommen hinter dem Werk zurück. Kubricks weitgehende Weigerung, sich über seine Filme zu äußern, sein völliger Rückzug ins Private: kein Wunder.
Das einzige, was vom Autor Kubrick übrigbleibt, ist seine
Methode: Das, was bei Eco den Modell-Autor ausmacht – und was die rationale Perspektive und die Theoriehaftigkeit von Kubrickfilmen zuallererst ermöglicht. Der endlose Perfektionismus, das Insistieren auf absoluter Kontrolle, das Durch-Denken und Durch-Gestalten aller Aspekte sind die Bedingung für die Klarheit und Eindeutigkeit, mit der Kubricks Filme zu uns sprechen. „The ideal way to make a film would be to wrap up after every scene and go away for a month to think“, soll Kubrick gesagt haben – und seine Arbeitsweise kam dem recht nahe.
Das Verschwinden des empirischen Autors Kubrick eröffnet auch neue Perspektiven auf den – angeblich unfilmischen – Off-Screen-Erzähler, den Kubrick außer in
2001,
The Shining und
Eyes Wide Shut in jedem Film einsetzt. Seine klassische und sicherlich zutreffende Rechtfertigung ist, dass er Einstellung und Dialog von der Aufgabe befreit, dem Zuschauer Hintergründe zu erläutern oder Emotionen zu benennen. So können sich Kamera und Schnitt darauf konzentrieren, zu zeigen statt zu erklären, und also reiner Film sein. Zugleich kann der Erzähler zusätzliche semantische Ebenen einziehen – z.B. Komplizentum mit dem Protagonisten herstellen wie in
A Clockwork Orange oder Suspense (statt Surprise, wie Kubrick sagt) erzeugen wie in
Barry Lyndon. Der Off-Erzähler steht bei Kubrick immer im Dienst des Films, nicht einer Ideologie des Filmemachens.
Vom Zurücktreten des Autors hinter sein Werk aus gesehen, gewinnt die zusätzliche Erzählinstanz bei Kubrick eine weitere Bedeutung: Durch das Einfügen einer vernehmbaren, identifizierbaren Stimme wird eine weitere Abstraktionsebene zwischen Zuschauer und Autor geschoben. Die Erzählung durch Einstellung und Schnitt, die die Handschrift Kubricks trägt, wird von der Off-Erzählung relativiert und damit entpersonalisiert, was den Bezug zum Autor angeht. Kubrick macht sich unsichtbar.
Gleichzeitig aber schafft die zusätzliche Stimme auch Raum für erzählerische Inkongruenzen – und mit ihnen möglicherweise dann doch für einen Blick auf den empirischen Autor, den Menschen Kubrick: Zwar spricht er selbst von der „objektiven Realität“, die in den Bildern gezeigt wird – in einem Film, der ansonsten vollständig aus der Perspektive seines Ich-Erzählers gezeigt wird (
A Clockwork Orange), fällt es jedoch auf, wenn genau zwei Szenen im Bild erscheinen, die der „humble narrator“ Alex nicht erlebt haben kann. Dass nämlich sein Opfer und späterer Gönner Alexander weniger Demokrat denn Aristokrat ist („They have to be led!“), dass er Alex durchschaut und, weiter den gütigen Gastgeber mimend, gegen ihn intrigiert; wie er Alex enttarnt und was er gegen ihn ins Werk setzt – das sehen wir, obwohl Alex es nicht mitbekommen kann. Dies wiederum eröffnet die Möglichkeit, dass die gezeigte Interpretation der Ereignisse und damit die Abwertung des Liberalen Alexander zu einem weiteren intriganten Schmierenkomödianten von Alex stammt und nur dessen Selbstschutz dient. Bei Lichte also betrachtet schafft die zusätzliche Erzählinstanz Raum für einen skeptischen Optimismus, der Kubrick sonst allzu oft abgesprochen wird.
Tritt der empirische
Autor Kubrick fast vollständig hinter dem Modell-Autor zurück, so hat der empirische
Leser für Kubrick eine kaum zu überschätzende Bedeutung. Bei aller Konsequenz und Kontrolle: Kaum ein Regisseur war sich unsicherer ob der Wirkung seiner Filme als er. Neben erzwungene Entscheidungen (der fehlende Sex in
Lolita) und filmlogisch gerechtfertigte Auslassungen (die fehlende Tortenschlacht in
Dr. Strangelove) treten unter dem Eindruck der Publikumsreaktion bisweilen radikale Umschnitte: Nachdem einige Zuschauer die Premiere von
2001 vorzeitig verlassen hatten, entfernte Kubrick 20 Minuten Film – weshalb z.B. der Walzer der
Orion III im Anflug auf die Raumstation völlig antiklimaktisch endet.
The Shining kürzte Kubrick nach dem Screening um die Schlusssequenz – und für die europäische Fassung um weitere 28 Minuten. Die digitalen Feigenblätter in den Orgiensequenzen der US-Version von
Eyes Wide Shut fanden angeblich seine Zustimmung. Und seinen ersten Film,
Fear and Desire, wird wohl niemand jemals mehr sehen – Kubrick hat sämtliche existierenden Kopien gekauft und weggesperrt. Kein geringer Preis für Perfektionismus.
Und morgen dann Finale und Epilog: "Denken in Bildern 6 – Distanz und Humanität"
Christian_alternakid am 12.11.2007 um 15:44 Uhr:
ich habe mir letzte woche wieder einmal The Killing angesehen und es stimmt voll und ganz was du in einer deiner ersten folgen erwähnst: Kubricks filme werden von mal zu mal besser. ich weiß noch, als ich The Killing das erste mal sah und ihn ihm nur eine brillante stilübung eines regisseurs sah, der seine großen werke erst noch angehen wird - jetzt nach dem vierten ansehen wird mir immer mehr deutlich, wie formvollendet Kubrick The Killing bereits konzipiert hat. ein so dichter, straighter film, der kaum eine sekunde luft zum atmen lässt. formidabel. keine einzige überflüssige sekunde.nerdige gedanken zu Fear & Desire: ich frage mich ja schon seit etlichen monaten, ob die textstelle in "Lust In The Movies" von The Long Blondes "You're in the movies that don't wanna know me / Well I know all about Fear & Desire, I know all about lust et cetera." den Kubrick-Film meint oder zumindest auf ihn bewusst anspielt oder tatsächlich nur fear und eben desire meint.