Eyes Wide Shut

06.11.2006 | 2 Kommentare | Christian_alternakid

Der letzte Film des Picasso, Mozart, Beethoven unserer Zeit: Stanley Kubrick trat in Würde ab, auch wenn 1999 die Größe von Eyes Wide Shut nicht vollends erkannt wurde.
Sie: “I know. How do I look?”
Er: „Perfect.”
Sie: “Is my hair okay?”
Er: “It's great.”
Sie: “You're not even looking at it.”
Er: “It's beautiful. You always look beautiful.”


Ein Paar, verheiratet, in Liebe vereint und sich in der Sicherheit wiegend, den anderen gefunden zu haben, das Deckelchen aufs eigene Töpfchen bereits erhascht zu haben. Ganz sachte wird von Kubrick die Beiläufigkeit, das Nichtmehrwahrnehmen des Anderen eingeführt, was das in Sicherheit wiegen mit sich bringen mag bis ein einziger Satz von ihr all die Sicherheit mit einem Fingerschnippen zerstört. Sie, Nicole Kidman, erzählt lediglich von der Idee eines Seitensprungs und er torkelt nur noch durch seine Welt: alles, was er zu besitzen glaubte (nämlich sie) ist doch nur flüchtig. Als wäre das nicht genug, spürt er im gleichen Moment die Statik in seinem Leben, vermisst irgendetwas, das ihn leben lässt. Kubrick nimmt diese innerfamiliäre Situation als Ausgangspunkt für eine Odysee in die Abgründe des Mannes und des Suchens nach irgendetwas, das ihn fühlen lässt. Die Augen weit geschlossen, folgen wir ihm in einen Wachtraum (“And no dream is ever just a dream.“) durch das nächtliche New York, in dem er versucht sich selbst wieder zu entdecken und seine Einstellungen zu ihr, die klassisch patriarchalischer Natur sind, zu adjustieren.
Seitenweise Tiefenanalyse wäre vonnöten, um die vielen Missverständnisse, die Kubricks Verfilmung von Schnitzlers „Traumnovelle“ provozierte, auszuräumen. Fangen wir an…

a) Tom Cruise ist ausnahmsweise nicht fehlbesetzt, denn die Leere, das karrieristische Streben, das einhergeht mit der Illusion der Sicherheit, die mit einem Wimpernschlag von der erstmals in voller Größe aufspielenden Nicole Kidman zerstört wird, spiegelt sich in Cruise’ monotonem Schauspiel nahezu perfekt wieder.

b) Eyes Wide Shut ist keine Altmännerphantasie: die fantastische Orgienszene, eine der großartigsten filmischen Kompositionen der 90er Jahre, ist in seinem de Sade wie Hieronymus Bosch zitierendem Over-The-Top-Drang eben gerade notwendig, weil es ja – man beachte den Titel - eine Fantasie der Cruise’schen Figur ist und im Gegensatz zur einfachen Sinnlichkeit der Kidman Geschichte (“At no time was he ever out of my mind. And I thought if he wanted me, only for one night, I was ready to give up everything ...'' ) gerade die Plattheit und die Inspirationslosigkeit des Mannes aufzeigt. Während Kidmans Geschichte um einen nie vollzogenen Seitensprung, die Ehemann Cruise so ins Wanken bringt, an die einfache, aber unwiderstehlich soghafte Erotik der Strand-Erzählung aus Bergmans „Persona“ erinnert, arbeitet sich Cruise’ Gegenfantasie an Klischees ab, die noch dadurch gesteigert werden, dass nicht nur die Frau zum Objekt degradiert, nein, auch noch von ihm nach einem Moment der Wollust gerettet – und damit ein zweites Mal als nicht gleichwertig positioniert - wird, was auch das Grundübel der ursprünglichen Kidman-Cruise-Unterhaltung spiegelt: der Irrtum, dass die Frau Objekt wäre (Kidman: „So, because I'm a beautiful woman, the only reason any man wants to talk to me is because he wants to fuck me? Is that what you're saying?“).

c) Eyes Wide Shut ist kalt: wie immer wurde Kubrick auch hier missverstanden – keineswegs ist Eyes Wide Shut kalt, denn das emotionale Durcheinander, das Cruise bei seinem Streifzug durch New York erlebt, ist ja gerade die Sehnsucht nach Empfindung. Kidmans Geschichte ist selbstredend das Gegenteil von Kälte, da nur ihr unvermittelter emotionaler Ausbruch, den sie unter der Oberfläche gänzlicher Ruhe vorträgt des Films weitere Entwicklung auslösen kann.

d) Eyes Wide Shut ist aspetisch und hoffnungslos: der letzte Dialog, der je in einem Kubrick-Film gesprochen wurde:

Kidman: ”I do love you and you know there is something very important we need to do as soon as possible.”
Cruise: ”What’s that?”
Kidman: „Fuck.“
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Kommentare

wowo101 am 06.11.2006 um 10:26 Uhr:

großartig und lange überfällig. short of a tiefenanalyse das treffendste, was man zu eyes wide shut schreiben kann, chapeau.

wie perfekt kubrick die beiden hauptrollen besetzt hat, kann man sogar noch in den beiden auf die dvd gepackten interviews mit kidman und cruise sehen: als ob man alice und bill harford vor sich hätte.

sandpaper am 06.11.2006 um 12:23 Uhr:

bin down damit.


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