„Titane“, Julia Ducournaus zweiter Film nach „Raw“ (der 2017 mein Film des Jahres war), ist ein wildes, kaltes, unberechenbares Biest. Ducournau entwickelt mit „Titane“ ein anderes Kino, das im Finden seiner neuer Sprache auch nicht jeden Satz zu Ende formuliert, aber in der Wildheit seiner Bilder überwältigend ist und irgendwann auch das Denken hinter sich lässt.
Ein wirklich transgressiver Film in jeder Hinsicht.
Plakat, Nicolas Cage und die Geschichte um den mit seinem Schwein (Nicht Cage) im Wald allein lebenden Eremiten (Nicolas Cage), der nach Schweinsentführung auf Rachefeldzug geht, schreit so nach B-Movie-Haha und Cage-Vehikel, dass die Smartheit des Films erst gegen Ende wirklich bewusst wird, weil Regisseur Michael Sarnoski ständig in Genre-Codes spricht, aber nie einen Genre-Film erzählt.
„Pig“ täuscht „John Wick“ an, führt aber eine im Grunde tieftraurige Geschichte um verlorene Menschen ohne Liebe in ihrem Leben zu ihrem konsequenten, ruhigen Ende. Ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswerter Film mit der ernsthaftesten Nicolas-Cage-Rolle seit Jahrzehnten, der durch sein konsequentes Nichteinlösen von Andeutungen mehrfach Zuschauererwartungen völlig ins Leere laufen lässt.
Eine erstaunliche Gratwanderung gelingt Thomas Vinterberg in „Der Rausch“: während man in einem Hollywood-Film à la „Leaving Las Vegas“ natürlich den Weg der beginnenden Alkoholiker in den Untergang vorgezeichnet sähe und als Zuschauer nur auf die Häkchen in der Melodram-Checkbox wartete, verweigert sich Vinterberg einem formelhaften Film und bricht in jede Richtung aus.
In die größte Tragik, in das größte Glück und trifft so eine viel subtilere Aussage über Alkohol, nämlich dass er das Öl ist, das den Motor der Gesellschaft auf jeder Ebene schmiert und nur in verschiedenen Verkleidungen unterschiedliche Akzeptanz erfährt.
Der beste Film Vinterbergs seit „It’s All About Love“ und ein so überraschender wie verdienter weltweiter Arthouse-Hit, der ihn bis zu Oscar-Weihen geführt hat.
Ein modernes Märchen im Geiste des Klassikers „Die große Liebe meines Lebens“, nur dass sich das zukünftige Pärchen hier nicht am Empire State Building, sondern in einem kleinen georgischen Biergarten verpasst. Und, nun ja, vorher mit einem Fluch belegt wurde, der ihr Erscheinungsbild von einem Tag auf den anderen veränderte, weshalb sie nun nebeneinander herleben, ohne sich erkennen zu können. Bis, ja bis, ein Filmteam in die Stadt kommt…
Der jugoslawische Bürgerkrieg, 1995, Srebrenica. Die serbische Armee nähert sich dem bosnischen Städtchen und die Völkergemeinschaft ist sich nicht einig, wie der Konflikt zu stoppen ist. Wer kann, flüchtet in den UNO-Stützpunkt, wo auch Aida als Übersetzerin arbeitet. Als die UNO sich auf einen Deal mit dem serbischen Anführer Ratko Mladic einlässt, ahnen die Bosnier das schreckliche Ende und Aida versucht verzweifelt, ihre beiden erwachsenen Söhne zu verstecken.
„Quo Vadis, Aida?“ gelingt es, die Dramatik dieser Stunden mit einer ungemeinen Spannung einzufangen und gleichzeitig das große Ganze des Massakers von Srebrenica nicht aus den Augen zu verlieren.
Der Wes Anderson – Film to end all Wes Anderson – Filme, sein stilistisches Meisterwerk.
Nach einem eher schwachen Beginn (Owen Wilsons Radfahrt als Klischee-Franzose) in diesem Episodenfilm findet Anderson in seinen Groove und kommt spätestens bei der bezaubernd-verfremdeten Nacherzählung der Studentenrevolte des französischen Mai ’68 völlig zu sich. Wie er hier eine Anderson’sche Version einer Godard’schen Revolution erfindet, ist so wunderbar, dass meine größte Kritik an „The French Dispatch“ nur sein kann, dass er aus dieser Idee keinen ganzen Spielfilm entwickelt hat.
Diese smarte, wilde, witzige, poetische („in a good way“) Kurzgeschichte wollte ich nie enden sehen. Und Jarvis singt dazu „Aline“.
David Bruckners „The Night House“ ist ein Film aus der Ari Aster – Schule, also wie „Hereditary“ oder „Midsommar“ im Grunde Trauerbewältigung im Gewand eines Horrorfilms.
Geschickt verweigert Bruckner zunächst eine eindeutige Positionierung und lässt im „Rosemary’s Baby“ – Style offen, ob die Geräusche und die Sichtungen im Haus überhaupt echt sind oder dem ganz offensichtlich sehr fraglichen mentalen Zustand der Witwe (Rebecca Hall) entspringen.
„The Night House“ ist atmosphärisch stark, mit einigen erschreckend gut inszenierten Szenen und einer Rebecca Hall in der Hauptrolle, die wie schon in „Christine“ eine Frau im Nervenzusammenbruch so gespenstisch gut einfängt, dass man sich um das Wohlergehen nicht nur des Charakters, sondern der Schauspielerin dahinter sorgt.
In den Kategorien Überwältigung, Set Design und Stil der Film des Jahres. Als erster Part einer auf zwei Teilen angelegten Verfilmung aber erzählerisch mehr eine einzige, lange Exposition als ein in sich geschlossener Film, so dass ein letztgültiges Urteil über „Dune“ wohl erst mit Erscheinen des zweiten Teils gefällt werden kann. Der Anfang ist gemacht und allein die Bilder und Bauten verdienen sich ihren Platz in den Top 10.
„Pieces Of A Woman“ beginnt mit einer 25minütigen Szene einer Hausgeburt, an deren Ende das nur wenige Minuten lebende Baby verstirbt. Die folgende Trauerarbeit zerstört alle menschlichen Beziehungen.
Kornél Mundruczó filmt mit einer sich ständig, aber ruhig bewegenden Kamera und führt seine beiden Hauptdarsteller Vanessa Kirby und Shia LeBoeuf zu Karrierebestleistungen.
„Pieces Of A Woman“ erschütterte mich ziemlich.
Gefilmt wie Abel Ferrara in den 70ern erzählt „The Scary Of Sixty-First“ von Verschwörungstheorien, einem Abstieg in den Wahnsinn und Jeffrey Epstein. Eine äußert ungewöhnliche Kombination aus spekulativem Okkult-Horror und dokumentarischen Fakten führt in diesem von Dasha Nekrasova gedrehten, geschriebenen und gespielten Psychothriller in ein Rabbit Hole aus Blut, Pädophilie und Prince Andrew („She was always into the UK!“ – „Anglophilia is one thing, but pedophilia?“).