Vier Lehrer in Midlife Crisis entdecken ein obskures Pamphlet eines norwegischen Forschers, der propagiert, dass jeder Mensch mit 0,5 Promill Blutalkohol zu wenig auf Erden wandelt und setzen im Selbstversuch daran, diesen Fehler der Natur auszugleichen. Freund Alkohol macht unsere dänischen Lehrer beliebter, lockerer, easier und raffinierter - und Feind Alkohol flüstert ins Öhrchen: wenn Du noch ein wenig mehr nehmen würdest... vielleicht wärst du dann NOCH beliebter, lockerer, easier und raffinierter?
Eine erstaunliche Gratwanderung gelingt Thomas Vinterberg in "Der Rausch": während man in einem Hollywood-Film à la "Leaving Las Vegas" natürlich den Weg in den Untergang vorgezeichnet sähe und man als Zuschauer nur auf die Häkchen in der Melodram-Checkbox wartet, verweigert sich Vinterberg einem formelhaften Film und bricht in jede Richtung aus. In die größte Tragik, in das größte Glück und trifft so eine viel subtilere Aussage über Alkohol, nämlich dass er das Öl ist, das den Motor der Gesellschaft auf jeder Ebene schmiert und nur in verschiedenen Verkleidungen unterschiedliche Akzeptanz erfährt.
Daneben ist "Der Rausch" auch inszenatorisch meisterhaft, zwei Szenen seien stellvertredend genannt: ein mit größter Würde und dennoch Härte inszenierter Todesfall und die wilde Tanz-Schlußsequenz von Mads Mikkelsen zu "What A Life" von Scarlet Pleasure.
Der beste Film Vinterbergs seit "It's All About Love" und ein so überraschender wie verdienter weltweiter Arthouse-Hit, der ihn bis zu Oscar-Weihen geführt hat.
Ich glaube, was man nicht unbedingt anlegen sollte, ist der Maßstab des Realismus. Hier geht es eher um exemplarische Darstellung und auch um Überzeichnung. Der selbstverständliche Stellenwert und die positiven wie negativen Konsequenzen vom Alkoholkonsum in der Gesamtgesellschaft wird sehr facettenreich darstellt. Das Abgleiten in Alkoholismus ist bestimmt nicht normierbar darstellbar, ich fand´s hier aber nicht sehr nachvollziehbar. Es gibt nichts, was es nicht gibt, aber dass sich gleich vier studierte Leute mit Verantwortung für Kinder entscheiden, von heut auf morgen Spiegeltrinker zu werden, die in der Arbeitszeit mit Schnaps einen Pegel halten wollten, betrifft jetzt zwar nicht dich und mich, aber kann man für Kino schon mal akzeptieren. Alles weitere - ich fall zwar in Stufe I schon negativ durch lallen etc. auf, will aber trotzdem keine Pegel- und Uhrzeit-Begrenzung mehr (Stufe II), bis hin zu Stufe III "Wie viel passt rein", was ja "Ich sauf mich tot" nahe kommt, lässt sich als Zuschauer kaum nachvollziehen. Dass Alkohol süchtig macht und einen verleitet, immer mehr zu trinken, wird so zwar schon auch dargestellt, aber die persönliche und gesellschaftliche Entwicklung und der zeitlich nachvollziehbare Rahmen fehlt komplett, es ist rein exemplarisch. Fast niemand wird Alki, weil er die Hypothese eines Theoretikers ausprobieren wollte. Fast niemand bunkert nach kurzer Zeit eines Experiments Batterien von Schnapsflachen (und das noch außerhalb von zu Hause), wie es ein Langzeitalki tun würde. Die schauspielerischen Darstellungen und Feier-Sequenzen waren auch sehr nah an der Überzeichnung, dass wohl hier eine realistische Story nicht wirklich beabsichtigt war. Ich weiß jetzt nur nicht, ob man das kritisieren sollte, da ja so viele Facetten trotzdem dargestellt wurden, ob realistisch eingebettet oder nicht.
Schöner Drogenverherrlichungsfilm, der im Vergleich mit z.B. Trainspotting die Vorteile hat, dass jedeR den Inhalt nachvollziehen kann, weil er/sie es kennt, mit vollgeschissener Hose in einem Straßengraben 200 Meter entfernt vom Kerwa-Zelt, aufzuwachen und weder Geld noch Erinnerung sein eigen nennt.
Zudem fällt es auch etwas leichter als bei Heroin es sich einzureden, dass das alles nicht so wild wäre und bei Alkohol die Gesellschaft eher bei einem ist, wenn man sich dessen vergewissern will und schon mal eine Schneemaß im Cowboystiefel ansetzt.
Davon abgesehen schön inszeniert, mit einem ausdruckstark-ausdrucksloser Mads Mikkelsen, der eine der cringiesten Tanzperformance aller Zeiten darbietetet, genau wie damals nach dem achten Jackie-Cola beim Kellerfest in Bocksrück, weißt du noch?
Weder im unnötigen Score ersäuft, noch mit zu vielen erklärbärigen Szenen aufgebläht und doch so geschickten, kaum merkbaren oder wirklich einordenbaren Zeitsprüngen versehen, die zielgerichtet zur Klimax führen ohne dass man langweilige Prozesse und Subhandlungen ertragen müsste, deren Inhalt das Gehirn auch so gut füllen kann.
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Christian_alternakid am 09.08.2021 um 16:14 Uhr:
Vier Lehrer in Midlife Crisis entdecken ein obskures Pamphlet eines norwegischen Forschers, der propagiert, dass jeder Mensch mit 0,5 Promill Blutalkohol zu wenig auf Erden wandelt und setzen im Selbstversuch daran, diesen Fehler der Natur auszugleichen. Freund Alkohol macht unsere dänischen Lehrer beliebter, lockerer, easier und raffinierter - und Feind Alkohol flüstert ins Öhrchen: wenn Du noch ein wenig mehr nehmen würdest... vielleicht wärst du dann NOCH beliebter, lockerer, easier und raffinierter?Eine erstaunliche Gratwanderung gelingt Thomas Vinterberg in "Der Rausch": während man in einem Hollywood-Film à la "Leaving Las Vegas" natürlich den Weg in den Untergang vorgezeichnet sähe und man als Zuschauer nur auf die Häkchen in der Melodram-Checkbox wartet, verweigert sich Vinterberg einem formelhaften Film und bricht in jede Richtung aus. In die größte Tragik, in das größte Glück und trifft so eine viel subtilere Aussage über Alkohol, nämlich dass er das Öl ist, das den Motor der Gesellschaft auf jeder Ebene schmiert und nur in verschiedenen Verkleidungen unterschiedliche Akzeptanz erfährt.
Daneben ist "Der Rausch" auch inszenatorisch meisterhaft, zwei Szenen seien stellvertredend genannt: ein mit größter Würde und dennoch Härte inszenierter Todesfall und die wilde Tanz-Schlußsequenz von Mads Mikkelsen zu "What A Life" von Scarlet Pleasure.
Der beste Film Vinterbergs seit "It's All About Love" und ein so überraschender wie verdienter weltweiter Arthouse-Hit, der ihn bis zu Oscar-Weihen geführt hat.
Bloody Mary am 15.09.2021 um 00:56 Uhr:
Ich glaube, was man nicht unbedingt anlegen sollte, ist der Maßstab des Realismus. Hier geht es eher um exemplarische Darstellung und auch um Überzeichnung. Der selbstverständliche Stellenwert und die positiven wie negativen Konsequenzen vom Alkoholkonsum in der Gesamtgesellschaft wird sehr facettenreich darstellt. Das Abgleiten in Alkoholismus ist bestimmt nicht normierbar darstellbar, ich fand´s hier aber nicht sehr nachvollziehbar. Es gibt nichts, was es nicht gibt, aber dass sich gleich vier studierte Leute mit Verantwortung für Kinder entscheiden, von heut auf morgen Spiegeltrinker zu werden, die in der Arbeitszeit mit Schnaps einen Pegel halten wollten, betrifft jetzt zwar nicht dich und mich, aber kann man für Kino schon mal akzeptieren. Alles weitere - ich fall zwar in Stufe I schon negativ durch lallen etc. auf, will aber trotzdem keine Pegel- und Uhrzeit-Begrenzung mehr (Stufe II), bis hin zu Stufe III "Wie viel passt rein", was ja "Ich sauf mich tot" nahe kommt, lässt sich als Zuschauer kaum nachvollziehen. Dass Alkohol süchtig macht und einen verleitet, immer mehr zu trinken, wird so zwar schon auch dargestellt, aber die persönliche und gesellschaftliche Entwicklung und der zeitlich nachvollziehbare Rahmen fehlt komplett, es ist rein exemplarisch. Fast niemand wird Alki, weil er die Hypothese eines Theoretikers ausprobieren wollte. Fast niemand bunkert nach kurzer Zeit eines Experiments Batterien von Schnapsflachen (und das noch außerhalb von zu Hause), wie es ein Langzeitalki tun würde. Die schauspielerischen Darstellungen und Feier-Sequenzen waren auch sehr nah an der Überzeichnung, dass wohl hier eine realistische Story nicht wirklich beabsichtigt war. Ich weiß jetzt nur nicht, ob man das kritisieren sollte, da ja so viele Facetten trotzdem dargestellt wurden, ob realistisch eingebettet oder nicht.motorhorst am 16.03.2022 um 06:57 Uhr:
Schöner Drogenverherrlichungsfilm, der im Vergleich mit z.B. Trainspotting die Vorteile hat, dass jedeR den Inhalt nachvollziehen kann, weil er/sie es kennt, mit vollgeschissener Hose in einem Straßengraben 200 Meter entfernt vom Kerwa-Zelt, aufzuwachen und weder Geld noch Erinnerung sein eigen nennt.Zudem fällt es auch etwas leichter als bei Heroin es sich einzureden, dass das alles nicht so wild wäre und bei Alkohol die Gesellschaft eher bei einem ist, wenn man sich dessen vergewissern will und schon mal eine Schneemaß im Cowboystiefel ansetzt.
Davon abgesehen schön inszeniert, mit einem ausdruckstark-ausdrucksloser Mads Mikkelsen, der eine der cringiesten Tanzperformance aller Zeiten darbietetet, genau wie damals nach dem achten Jackie-Cola beim Kellerfest in Bocksrück, weißt du noch?
Weder im unnötigen Score ersäuft, noch mit zu vielen erklärbärigen Szenen aufgebläht und doch so geschickten, kaum merkbaren oder wirklich einordenbaren Zeitsprüngen versehen, die zielgerichtet zur Klimax führen ohne dass man langweilige Prozesse und Subhandlungen ertragen müsste, deren Inhalt das Gehirn auch so gut füllen kann.