Filme des Jahres 1967

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Version von Christian_alternakid :: 26.08.2021

1. Tanz der Vampire

Normalerweise sind Horror-Komödien ja das Grausigste aller Filmgenres (gut, neben Musicals), aber Roman Polanski war 1967 einfach so früh und so gut am Start, dass er diesem Thema für immer seinen persönlichen Holzpflock ins Herzchen gerammt hat.
"Tanz der Vampire" ist flott, aber nie doof ("Pardon me, but your teeth are in my neck") und spielt nicht nur erfolgreich mit allen möglichen Referenzen an die Vampirkultur, sondern gelingt es darüber hinaus noch, bei all dem Slapstick auch eine gewisse Spannung zu erzeugen.


2. James Bond 007 - Man lebt nur zweimal

Für mich ist "You Only Live Twice" mehr noch als "Goldfinger" der archetypische James-Bond-Film: exotische Locations (hier Japan und das Weltall), Schurken mit auf 11 gedrehter Megalomanie (die Raketenbasis im alten Vulkankrater, irr!), eine Story, die zum Blueprint für kommende Bonds werden sollte (Drehbuch von Roald Dahl), einer der ganz großen Eröffnungssongs (Nancy Sinatra nach John-Barry-Noten), bester Sixties-Style (Production Design von Kubricks Ken Adam) und natürlich Sean Connery.

Vor zwanzig Jahren hatte ich "You Only Live Twice" noch mit 9/10 bewertet, aber gewisse Längen, insbesondere in der Japanisierung von James Bond zu Unterwanderungszwecken, sind dann doch nicht zu bestreiten. Alles in allem aber immer noch ein großer Spaß mit allerbesten Schauwerten.
Yolo!


3. Der eiskalte Engel

Erneut eine stilistische Meisterleistung von Melville. Gnadenlos kühler Thriller, so eiseskalt, dass er beinah seine eigene Spannung erfriert.
Mit etlichen fantastischen Momenten, als Beispiel sei ein Schnitt in einer Szene genannt, der direkt von der Polizeibesprechung in die Verbrecher-Runde geht und dermaßen übergangslos in einer Bewegung von zwei verschiedenen Charakteren ist, dass ich zurückspulen musste, um noch einmal diesen Szenenwechsel zu verstehen. Ebenfalls großartig dann die stille und in Teilen sogar regungslose Verfolgungsjagd gegen Ende.

Bis auf diese Sequenz ist "Le Samourai" allerdings eher kein Nervenfetzer, sondern mehr eine distanzierte Betrachtung über ein Katz-und-Maus-Spiel, das ihre Faszination aus dem Stil der Bilder und der Konsequenz der Erzählung zieht.


4. Belle de Jour - Schöne des Tages

Luis Bunuels großes Spätwerk ist für seine Verhältnisse beinah plotorientiert, zumindest verglichen mit den Absurditätshöhen, die er bei "Das Gespenst der Freiheit" oder "Der diskrete Charme der Bourgeoisie" in den 70ern erklimmen wird.

"Belle De Jour" erzählt die Geschichte einer Ehefrau, die aus Verdruß am modernen Leben zur Edelprostituierten wird. Bunuel ist dabei nie ganz auf eine Position festzunageln.

"Belle De Jour" bleibt dank Bunuels grundsätzlichem Hangs zur Abstraktheit ein Film des kalten Fühlens, der sich nie erklären will.


5. Spur der Steine

Meistens ist es schwer nachzuvollziehen, warum die DDR-Führung manche Filme ihrem Volk nicht zumuten wollte, zu sehr manifestiert sich hier die Paranoia einer Diktatur als dass die Filme wirklich allzu offenherzig kritisch ihre Punkte vorgetragen hätten.

Bei "Spur der Steine" dagegen wundert es mich, dass Frank Beyer diesen Film überhaupt zu Ende drehen durfte. Ein subversives Meisterwerk von auch heute noch erstaunlicher Wut, das sich um das Kraftfeld Manfred Krug dreht, der als Individualist, Rüpel, Gauner und hart arbeitender Working-Gang-Leader eine Projektionsfläche für viele Sehnsüchte darstellt.

Nicht jeder Winkelzug und jede Gremiumssitzung ist mir mit meinem westdeutschen Blick verständlich, aber im Grunde ist auch egal, welches Komitee jetzt warum Krugs Vorarbeiter Ballas auf dem Kieker hat, denn er wäre für jede Gesellschaft ein Unruheherd des Unangepasstseins.

Erstaunlich und erfreulich modern ist zudem die zentrale Frauenfigur Kati Klee, die auf dem Bau arbeitet, in einer ungewöhnlichen Dreiecksbeziehung landet und für die Männer ihre Frauen verlassen (oder dann eben letztlich doch nicht).

Starker Film.


6. Dont Look Back

Im Grunde erzählt "Don't Look Back" 'nur' die Geschichte einer Konzerttour Bob Dylans durch England in 1966. P.A. Pennebacker gelingt es aber trotzdem, einen viel größeren Scope abzudecken, obwohl alles einfach "passiert", wenig inszeniert ist oder darauf hingearbeitet erscheint.

"Don't Look Back" ist auch ein wunderbarer Einblick für all jene, denen nicht so ganz klar ist, warum dieser alte, enigmatische Katzen-Krächzer mit dem wirren Feudel auf dem Kopf mal die Verkörperung von "Coolness" war.
Dylan ist irre "da" und gleichzeitig in größter Lässigkeit immer woanders als alle ihn haben möchten.

Die Konzertaufnahmen von Dylan allein auf der Bühne, angestrahlt von einem einzigen Scheinwerfer sind ein Meisterstück. Total reduziert, null fancy, aber machen auch gerade deshalb deutlich, was für eine Präsenz Dylan hatte und dass er überhaupt keine Sperenzchen nötig hatte.

P.S.: Von den Liveaufnahmen sind übrigens "Love Minus Zero" (ab 27:20) und "It's Alright Ma, I'm Only Bleeding" (ab 23.30) die Höhepunkte:

www.youtube.com/watch?v=5VvHyCy5kDs


7. Die Reifeprüfung

Neben "Bonnie & Clyde" ist "Die Reifeprüfung" ("The Graduate") der filmhistorisch wichtigste Film des Jahres, sozusagen das verspieltere Antlitz von New Hollywood zu Arthur Penns radikaler Gangsterpärchenballade. Doch auch ohne Maschinengewehrmorde liegt in "The Graduate" ordentliche Sprengkraft, hat er doch einiges zu freier Liebe und freien Frauen zu erzählen. Mike Nichols Nachfolgefilm zu "Wer hat Angst vor Virgina Woolf?" war zudem ein phänomenaler Erfolg, spielte weltweit 100 Millionen Dollar ein, war der erfolgreichste Film des Jahres und brachte Nichols im Folgejahr den Oscar für die beste Regie.

Nur der "Evangelische Filmbeobachter" gab die übliche Spaßbremse:
„Verwaschener Hollywood-Film, bei dem nicht einmal klar wird, ob die bisweilen auftretende Komik gewollt oder ungewollt ist. Unnötig.“


8. Incident ... und sie kannten kein Erbarmen

"Incident" ist ein im besten Sinn unangenehmer Film.

Larry Peerces 1967er Drama nimmt sich zunächst viel Zeit, seine Charaktere einzuführen. Nach gut der Hälfte der Spielzeit sitzen nun all unsere Figuren zusammen in einem U-Bahn-Wagen und zwei junge, betrunkene Halbstarke (Tony Musante & Martin Sheen) terrorisieren alle Anwesenden. Fehlende Zivilcourage trifft auf rassistisches, homophobes Verhalten von jungen Schlägern und führt unweigerlich zur bitteren Eskalation.

Stark und verstörend.


9. 2 oder 3 Dinge, die ich von ihr weiß

Der Plot von "2 oder 3 Dinge, die ich von ihr weiß" hängt am dünnsten Faden: eine junge Ehefrau aus den Hochhausbauten am Rande von Paris prostituiert sich.

Doch Godard ist weniger am Elend oder am Abstieg interessiert, sondern an der Kommodifizierung von allem und jedem. Aus dem Off flüstert er philosophische Exkurse - vom Existenzialismus über den Marxismus bis zur Psychogeographie des Situationismus - in den Bildern zeigt er schöne Menschen in besten Bildkompositionen und stärksten Farben. Das ist mal hypnotisch, mal egalig, immer schwer zu greifen, aber nie anstrengend (im Gegensatz zum späten Godard).

Im direkten Vergleich bevorzuge ich allerdings Godards im Vorjahr gedrehten "Masculin, Feminin" (#5, 1966), der ähnliche Themen spielerischer verarbeitete.


10. Land in Trance

Mit nur 28 Jahren drehte Glauber Rocha diese erstaunliche Anklage gegen die brasilianischen Zustände. Ein komplexer Film, der in Rückblenden von den Fehlern und den enttäuschten Hoffnungen der Hauptfigur erzählt und die Korruption jeder Seite der Gesellschaft anklagt.

Das ist manchmal auch verwirrend und etwas anstrengend, belohnt aber mit einer fantastischen zehnminütigen Schluß-Montage, der es gelingt im schwarz-weißen Bild ein psychedelischen Polit-Feuerwerk zu zünden, das ich so höchstens bei Werner Herzogs Ende von "Lebenszeichen" gesehen habe.

Allein dafür ist "Land In Trance" (aka "Entranced Earth") unbedingt sehenswert!