Das mit den Darts

01.01.2015 | 2 Kommentare | motorhorst

Warum das richtige Weihnachten für mich erst immer mit den PDC-Championships beginnt
Seit einigen Jahren hat sich ein festes Ritual eingependelt: Zwischen den Jahren stehe ich abends an der Oche. Bzw. liege bequem auf der Couch und schaue den Dart-Spielern der PDC dabei zu, wie sie den Weltmeister der Professional Darts Corporation ausspielen. Wie lange das schon so geht, wurde mir erst die Tage beim Achtelfinalmatch zwischen Raymond van Barneveld und Adrian Lewis bewusst, als die Frage aufkam, ob denn Barney schon mal Weltmeister war und ich mich gut daran erinnern konnte, wie er gegen Phil Taylor gewonnen hatte. Und das war 2007, also doch schon einige Zeit her.

Und wenn man die Tage auf Facebook so herum liest oder generell mit offenen Ohren durch die Welt läuft, stellt man fest, dass man da nicht der Einzige oder ein Exot ist. Also ich. Nicht man. Man aber sicher auch. In der FAZ tauchte in diesen Tagen gar ein Text zu diesem Phänomen auf, der aber leider die Faszination dieses Events nicht im geringsten einfangen konnte. Alleine der Titel "Was ist so toll an fettleibigen Pfeilewerfern?" ließ bereits die Richtung des Artikels erahnen und wartete auch mit entsprechenden Unverständnis auf. Deswegen würde ich gerne erläutern, warum die Zeit nach Weihnachten bis ins neue Jahr gar nicht ohne Darts vorstellbar ist.

Presssäcke und Bierzelt-Atmosphäre
Nick Hornby sagte mal, dass er sich letzten Endes dafür entschied, Autor zu werden, weil er irgendwann merkte, dass es talentmäßig nicht zum Profi-Fußballer reichen würde und er inzwischen zu alt für Rockstar wäre. Als Schriftsteller kann man jedoch sogar bis ins hohe Alter arbeiten, es ist theoretisch sogar möglich, erst zu einem Zeitpunkt den Beruf aufzunehmen, wenn die oben beschriebenen Karrieren schon lange beendet sein müssten.

Eine ähnliche Faszination üben die Darts-Spieler aus, die sich zum größten Teil aus aufgeschwemmten Leibern mit roten Birnen zusammen setzen. Klar, es gibt hier auch schmalhüftige Heringe, aber die Titelträger kamen zuletzt doch alle eher aus der Blauwal-Liga. Selbst der junge Vorjahressieger Michael van Gerwen weist mit seinen 25 Jahren schon einige ordentliche Speckringe auf. Hier liegt das Versprechen verborgen: Auch Du kannst es schaffen, mit deinen etwas überflüssigen Pfunden auf den Rippen und deiner Faszination für Bier, du musst es nur wollen.

Dazu kommt die Umgebung, in der man den Pfeilsport ausübt. Das ist traditionell natürlich die Kneipe. Bei der Weltmeisterschaft gar ist es das größte Bierzelt der Welt namens "Alexandra Palace" in London. Dieses ist vollgestopft mit sturzbetrunkenen, verkleideten Wahnsinnigen aus aller Welt, die jede freie Minute mit dem Grölen ihrer Hymnen verbringen. Diese Ansammlung von Feierbiestern mit den immer gleichen Ritualen lässt jede Public Viewing Fanmeile innerhalb von Sekunden zu einer Ansammlung an fußballinteressierten Fachleuten werden. Denn: Die Ereignisse auf der Bühne haben hier eher untergeordnete Bedeutung. Wird nicht gerade eine 180 geworfen (was mit Hochhalten der beschrifteten 180-Schilder der Sponsoren quittiert wird) oder hat jemand die Chance einen 9-Darter zu werfen (dessen Nicht-Erreichen mit ironischen "Buuuuuhs", das Erreichen aber mit absoluter Extase kommentiert wird), haben die Publikumsaktivitäten wenig mit dem Sportereignis zu tun.

Diese Tatsache ist zunächst verwirrend und abtörnend, sitzt man doch selbst vor dem Fernseher und schüttelt ungläubig den Kopf, wie Phil Taylor immer wieder die dreifache 20 trifft oder kann es nicht glauben, dass ein Spieler nacheinander weder die doppelte 16, noch die doppelte 8 oder 4 trifft. Nicht so der Mob mit den Pint-Gläsern, der "Stand up, if you love the darts" fordert (und der Forderung nachkommt), den 2Unlimited-Kracher "No Limit" in "Instrumental"-Version "singt" und natürlich das bei jeder Unterbrechung eingespielte "Chase The Sun" mit grölt und durch passende "Oi oi oi"-Rufe auf ein anderes Level hebt. In der zweiten Werbepause merkt man übrigens, wie man selbst mit summt und auf dem second screen nach dem Video von Planet Funk sucht (und feststellt, dass das Lied vom Darts-Kontext befreit überhaupt nicht funktioniert).

Die Regie ist während des Events perfekt. Die Begleitung des Spielgeschehens sowieso, wo der Splitscreen mit der Dartsscheibe in der linken Hälfte und den entgleisenden Gesichtszügen der Werfer (Pro-Tipp: Die Augen von Phil Taylor nach jedem Abwurf anschauen) für die Grundspannung sorgt. Aber auch, wenn die Menge eingefangen wird. Bei der Fußball-WM ist es so, dass Schnitte auf die Zuschauer in der Regel 5-10 Sekunden dauern: Kamera fängt jemanden ein, der- oder diejenige bemerkt das (was dazu führt, dass die meisten Zuschauer nicht mehr auf das Spiel, sondern nur auf die Großleinwände starren), fängt wie ein Idiot zum Winken an und nach und nach drängen sich alle Umstehenden mit ins Bild und winken ebenfalls wie die Bekloppten. Bei der PDC dauern dieses Schnitte nur Bruchteile von Sekunden. Man kann als Fernsehzuschauer gerade noch die idiotischen Verkleidungen erahnen (Mexikaner, Dartscheibe vor dem Gesicht, van Gerwen-Lookalikes, Teletubbies) und bevor die Träger reagieren können, ist die Kamera wieder weg. So müsste es immer im Leben sein. Also: alles.

Kommentare und Spitznamen
Einen nicht unerheblichen Anteil an der Faszination ("am Erfolg" wäre hier gelogen) dieses Events ist auch das unterirdische Drumherum. Inzwischen hat fast jeder Spieler eine Einlaufmusik (herrliches Wort), die an Banalität kaum zu unterbieten ist. Bei Phil Taylor, dessen Spitzname "The Power" ist (was er sich offenbar stolz im Vollrausch von einem farbenblinden Schimpansen auf den Unterarm tätowieren ließ), ist das mit dem gleichnamigen Snap!-Hit zwar noch nachvollziehbar, aber nicht wenig nervig. Die anderen Größen verwenden solche facepalmigen tot gespielten Ohrfoltern wie "Seven Nation Army" (Michael van Gerwen) und "U Can't Touch This" (Andy Hamilton), so dass man richtig dankbar über den deutschen Newcomer Max Hopp ist, der angeblich (habe keines seiner Spiele gesehen) "Teenage Kicks" als Walk-On-Music hat und das als 18jähriger.

Apropos Spitznamen. Jeder Spieler hat natürlich einen Kampfnamen. Keine Ahnung, ob diese auch regelmäßig benutzt werden, in der Wikipedia tauchen sie aber leider auch auf, also muss irgendetwas dran sein. Und da kommt der übertragende Sender Sport1 ins Spiel. Wie in seligen Zeiten, als der Vorgänger DSF noch NBA-Basketball übertrug, werden diese Spitznamen ausgelutscht und ausgewrungen als gäbe es kein Morgen. Seinerzeit war es vor allem Frank „Und er drückt ein für Zwei“ Buschmann, der Konstruktionen wie Clyde "The Glide" Drexler und Hakeem "The Dream" Olajuwon wirklich bei jedem Ballkontakt der betreffenden Spieler in den Ring schmeißen musste. BEI JEDEM! Was muss er zuhause für ein Feuerwerk abgebrannt haben, als die beiden dann tatsächlich zusammen für die Houston Rockets spielten (neben Robert "Big Shot Rob" Horry und Sam "Sam I Am" Cassell).

Diese "schöne" Tradition wird von den Sport1-Moderatoren, vor allem von Elmar Paulke, bis zum Erbrechen fortgeführt. Und hab ich schon erwähnt, wie idiotisch die Spitznamen sind? Also vielleicht nicht Phil "The Power" Taylor, da er ja wirklich eine Macht ist und die Alliteration sicher eine Rolle spielt, wie auch bei "Mighty Mike" van Gerwen. Aber wie sehr kann man eigentlich sein Gesicht schmerzverzerren bei "Jackpot" Adrian Lewis, "The Machine" James Wade oder "The Flying Scotsman" Gary Anderson? Namensableitungen wie Raymond "Barney" van Barneveld, Mervyn "The King" King oder - fast schon gut - Kevin "The Artist" Painter lasse ich mir ja noch eingehen. Auch Simon Whitlock, der für sein bescheuertes Aussehen bzw. seinen Haar/Bartstil den passenden Namen "The Wizard (of Oz)" bekam - obwohl meiner Meinung nach "The Warlock" doch viel besser wäre - kann ich gerade so akzeptieren. Aber selbst die jungen Deutschen haben ja schon originelle Beinamen wie Max "The Maximiser" Hopp oder Sascha "Stoiner" Steiner erhalten.

Das ist zwar alles nicht schlimm, ach Quatsch, was schreibe ich denn da? Das ist eine Katastrophe für jeden, der noch nicht die kolportiere Durchschnittsmenge von 7 Pints jedes Anwesenden im "Ally Pally" (Argh!) konsumiert hat. Aber es wäre noch erträglich, wenn die Kommentatoren nicht jedes Mal, also: JEDES MAL, den idiotischen Nickname verwenden würden. JEDES MAL.

Und doch: Auch das gehört dazu. Wie die völlig deplatzierten Models, die die Spieler beim Reinlaufen eskortieren und von der Leibesfülle der Darter dabei gegen die Absperrungen gepresst werden. Die Caller, die mit heißerer Stimme "Onehundredandeiiiiiiiiiiiiiiiiiiiighty" verkünden und der Check24-Werbung, die im laufenden Jahr schon für 473 aus dem Fenster geworfene Fernsehgeräte verantwortlich ist. DAS ist die Faszination dieses Sports. Game on.
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Kommentare

Bloody Mary am 01.01.2015 um 20:32 Uhr:

Lang nicht mehr so gelacht, super Text! Und scheiße, wieso schau ich das nicht schon seit vielen Jahren?

motorhorst am 02.01.2015 um 07:03 Uhr:

Vielen Dank für die Blumen.

Und ein kleiner Appendix: Diese Spitznamen sind offenbar wirklich gewollt, da mir beim Viertelfinale-Schauen aufgefallen ist, dass nach einem gewonnenen Leg der Spitzname des Gewinners mit so einem Comic-Sprechblasen-Effekt kurz eingeblendet wird. Also, Entschuldigung Elmar Paulke, das ist dann schon so in Ordnung....NEIN! Ist es trotzdem nicht!


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