Filme des Jahres 1966


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Version von Christian_alternakid :: 01.05.2021

1. Blow Up

In vielerlei Sicht ein Meilenstein der Filmgeschichte. Michelangelo Antonioni fängt hier (als Italiener!) den Spirit der Swinging Sixties besser ein als irgendjemand sonst, lässt die Yardbirds in einer Szene auftreten (weil The Who zu teuer waren!) und verknüpft ein existentialistisches Drama mit einem Hitchcock'schen Krimi-Plot, das genauso fesselt wie verunsichert.
*Der* 60ies Film überhaupt, ein Film gewordenes Pop-Art-Meisterwerk des Existentialismus!


2. Der Mann, der zweimal lebte

Sehr guter, sehr weirder Paranoia-Thriller von John Frankenheimer, der bereits einige Jahre zuvor das Referenzwerk in diesem Genre, „The Manchurian Candidate“, gedreht hatte, was aber von "Der Mann, der zweimal lebte" noch überragt wird.

Sowohl die Optik (Fischaugenkamera!) als auch die rätselhafte Geschichte sind deutlich verstörender und bei der mittig stattfindenden dyonisischen Orgien-Sequenz kann man Spuren der gerade beginnenden Counter Culture herauslesen und eine Vorwegnahme der kultischen „Wicker Man“ – Elemente sehen. Drumherum zeigt Frankenheimer einen kühlen, rätselhaften Paranoia-Film über eine mögliche Geheimgesellschaft und stellt ständig die Frage nach Identitäten. Die faszinierende Kameraarbeit arbeitet stark mit Weitwinkel-Objektiven, die eine halluzinatorische Wirkung erzeugen.

Verblüffend, dass solche Filme in den Mitt60ern mit großen Stars (Rock Hudson!) und etablierten Regisseuren möglich waren! Wer Paranoia-Thriller mag, muss „Seconds“ schauen.

"Seconds" hat übrigens eine der besten Film Trivia ever:
"Seconds became known for its connection to the Beach Boys' Brian Wilson. The story, which originated in the October 1967 magazine article "Goodbye Surfing, Hello God!", goes that when he arrived late to a theater showing of Seconds, he appeared to be greeted with the onscreen dialogue, "Come in, Mr. Wilson." He was convinced for some time that rival producer Phil Spector (one of the film's investors) was taunting him through the movie, and that it was written about his recent traumatic experiences and intellectual pursuits, going so far as to note that "even the beach was in it, a whole thing about the beach." He later cancelled the Beach Boys' forthcoming album Smile, and the film reportedly frightened him so much that he did not visit another movie theater until 1982's E.T. the Extra-Terrestrial."


3. Der junge Törless

Für mich eine der besten Literaturverfilmungen der Geschichte: Völker Schlöndorff nimmt Robert Musil "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" und setzt ihn im gegenkulturellen Gestus der 60er um, so dass Musils Buch genau 60 Jahre nach Erscheinen eine fast unwirkliche Modernität annimmt. "Törless" ist ein Aufschreien gegen Autorität, ein lautes Ja zum Ich und zum Anderssein. Kein Jahrzehnt als die 60er hätten sich besser für eine Verfilmung geeignet.


4. Jimmy Orpheus

Der erste (halbe) Spielfilm von Roland Klick erzählt von einem Wochenende eines proletarischen Drifters im Hamburg von 1966. Wunderbare schwarzweiß Bilder der Reeperbahn und ihrer Absteigen, ein sehr charismatischer, tobibamborschkehafter Klaus Schichan in der Hauptrolle und ein toller Soundtrack. Roland Klick ist wie der frühe Godard auf den Spuren des amerikanischen Genrekinos, mit nouvellevegue'schen Spielereien, aber ohne Verkopftheit: Es passiert nicht viel und doch will Jimmy Orpheus alles, und zwar jetzt. Und das ohne Grund.

This is Jimmy Orpheus / he's got no cause to run
Working just for whiskey / living just for fun
Got no message for the world
He doesn't care for idle talk


5. Masculin - Feminin oder: Die Kinder von Coca Cola

Würde man Godards Karriereverlauf - vom Ikonoklasten zum berühmtesten Regisseur der Welt hin zum Radikalen, zum Sichselbstverschwinder - nicht kennen, man könnte "Masculin, Feminin" für das wilde Erstlingswerk eines später Großen halten. Aber das Gegenteil ist der Fall, "Masculin, Feminin" markiert mehr das Ende der großen Godard-Phase, in der er das Kino neu erfand, aber noch innerhalb seiner Strukturen blieb. In "Masculin, Feminin" dagegen zeichnet sich schon der Weg ab, den Godard nun gehen würde - kompromissloses Kino, mehr Agitprop als Arthouse wie in "Week-End" bis er in seinen Groupe Dziga Vertov - Werken als Auteur hinter dem Willen zur Revolution verschwand.

"Masculin, Feminin" hat vielleicht auch deshalb den Effekt, mehr im Nachhinein zu wirken als wirklich im Anschauen Vergnügen zu bereiten, zu zerrissen und abstrakt ist Godards Geschichte in 15 Akten über einen jungen Mann, eine junge Frau und ihre Clique. Chantal Goya spielt die typische Anna Karina - Rolle mit größerer Naivität und Jean-Pierre Leaud gibt seinem Paul ("un homme instable") die nötige Hybris mit.

Es bleiben mehr einzelne Sätze ("We control our thoughts which mean nothing, and not our emotions which mean everything.") und verschiedene Szenen im Gedächtnis als ein ganzer Film. Auch wird mir nicht wirklich klar, worauf Godard abzielt, außer eine Art Meta-Film über die Nouvelle Vague, seine Karriere und das Kino zu machen:

"We' went to the movies often. The screen would light up, and we'd feel a thrill. But Madelrine and I were usually disappointed. But Madeleine and I were usually disappointed. The images were dated and jumpy. Marilyn Monroe had aged badly. We felt sad. It wasn't the movie of our dreams. It wasn't the total film we carried inside ourselves. That film we would have liked to make, or more secretly, no doubt, the film we wanted to live."


Favourite Fun Fact:
The film was shot in Sweden. Ingmar Bergman, not being a fan of Jean-Luc Godard, found out about the film, went to go and see it and called it "a classic case of Godard: mind-numbingly boring".


6. The Wild Angels

Eines der legendärsten B-Movies aus Roger Cormans Filmfabrik. "The Wild Angels" ist ein Outlaw-Biker-Film, der wirklich alles hat, was man bei diesem Genre erwarten kann: eine geile Tagline "Their credo is violence, their god is hate", einen der ganz großen Filmsongs des Jahrzehnts (Dave Allan & The Arrows mit "Blues' Theme"), Peter Fonda, Nancy Sinatra und Bruce Dern in den Hauptrollen, einen Sarg mit Hakenkreuz und natürlich die berühmte Rede von Fonda als Heavenly Blues (was! für! ein! Rollenname!), die von Primal Scream für "Loaded" gesampled wurde und als das Vater Unser der Counter Culture gelten darf:

Just what is it that you want to do?
We wanna be free
We wanna be free to do what we wanna do
And we wanna get loaded
And we wanna have a good time
That's what we're gonna do
(No way, baby, let's go!)
We're gonna have a good time
We're gonna have a party

Leonard Maltin urteilte: "OK after about 24 beers" und wer wäre ich, würd ich hier widersprechen!


7. Persona

Selbst für Bergman-Verhältnisse einer der schwer zugänglichen Filme, aber als rätselhaftes Essay über Identität endlos analysiert und mit der berühmten "Verschmelzungs-Szene" filmisch auch heute noch eine Referenz. "Persona" wurde der "Mount Everest der Filmanalyse" genannt und hat Filmhistoriker Peter Cowie zum Bonmot "Everything one says about Persona may be contradicted; the opposite will also be true" geführt. Der Einfluss auf David Lynch ist nicht zu übersehen.


8. Playgirl - Berlin ist eine Sünde wert

Unverständlich, warum Will Tremper praktisch aus den Filmerinnerungen getilgt ist, war er doch mit "Die Endlose Nacht" und eben "Playgirl" einer der ersten deutschen Regisseure, der den spielerischen Regelbruch der Nouvelle Vague in Deutschland umsetzte. "Playgirl" ist darüber hinaus ein Showcase für Eva Renzi, die hier einen Wirbelwind und eine Femme Fatale spielt und diesen Film owned.


9. Der Glückspilz

Einer der großen Walter Matthau / Jack Lemmon - Filme und neben "The Apartment" und "Some Like It Hot" wichtigster Eintrag in Billy Wilders beeindruckende Filmographie. Matthau gewann für "The Fortune Cookie" seinen einzigen Oscar. Das Lexikon des Internationalen Films schreibt: „Eine brillant inszenierte hintergründig-schwarze Komödie, die Geldgier, Dummheit, Scheinheiligkeit und Vorurteile attackiert und erst mit dem (nicht unbedingt motivierten) Ende Menschlichkeit und Freundschaft über Beutelschneiderei und Rechtsverdrehung siegen läßt. Hervorragend gespielte, intelligente Unterhaltung, getragen von sarkastischem Witz.“


10. Das Geheimnis des Dr. Z

Entgegen meiner Erwartung ist Jesus Francos "Das Geheimnis des Dr. Z" gar nicht trashig (abgesehen vielleicht von der grundsätzlichen Trashiness der eher unklar erzählten Dr. Frankenstein - Variation im Zentrum der Geschichte), sondern schwarz-weiß elegant in tolle Bilder gekleidet. Gerade Kostüme und Settings sind stark, die Aufnahmen mit ihrem maximalen Kontrast beinah expressionistisch und Georges Franjus Horrorklassiker "Les yeux sans visage" nicht unverwandt.
Eine doch recht unbekannte, vergessene Perle.


11. The Good, The Bad & The Ugly

Deutlich besser als "Für eine Handvoll Dollar", aber für meinen Geschmack mit gut 3 Stunden dann doch überlang.
Die Bilder sind fantastisch, der Showdown tatsächlich faszinierend (und viele Male schlechter kopiert), aber die Groteskheit des Civil-War-Settings, die Unzugänglichkeit aller drei Protagonisten und die doch etwas zu häufigen Deus-Ex-Machina-Momente und Zufälle (meine Güte, das Land, das Leone zeigt, ist ja nun wirklich fucking weit, aber dennoch laufen sich alle ständig gegenseitig über die Füße!) machen mich dann doch zu einem der Wenigen, der hier nicht höchsten Lobpreis singt.


12. Tokyo Drifter

"Tokyo Drifter" ist ein Yakuza-Film, den Seijun Suzuki in subversivem Protest gegen sein Studio zur existentialistischen Farbenexplosion ummodellierte und der deshalb vor allem über seine Schauwerte funktioniert. Zuweilen wirkt "Tokyo Drifter" als wäre Melvilles "Le Samourai" (erst ein Jahr später gedreht!) in einen Farbeimer gefallen. Inhaltilch muss man mit den verqueren Ehrenkodices der Yakuza klar kommen, um überhaupt den Fortgang der Handlung oder die Motivation der Charaktere zu verstehen, weswegen mich abgesehen vom fantastischen Look "Tokyo Drifter" emotional auch nie erreichen konnte.


13. Alfie

"Alfie" ist drei Jahre vor "The Italian Job" und fünf vor "Get Carter" der Film, der Michael Caine auf die Karte der FIlmgeschichte setzte. Alfie - und damit Caine - ist ein Charmeur und Schlawiner, ein Casanova und Rumtreiber. Nicht alles an "Alfie" ist gut gealtert, sicherlich ist das Frauenbild gleich in mehrfacher Hinsicht heute nicht mehr nachvollziehbar, aber der Charme von Caine und das London der 60er bleibt.


14. Fahrenheit 451

Francois Truffauts Adaption von Ray Bradburys dystopischem Roman war Truffauts erster Farbfilm und hat in seinen Farbmalereien auch seine größten Stärken.


15. Ein Mann zu jeder Jahreszeit

Der Oscargewinner von 1967 und fünfterfolgreichster Film des Jahres 1966 ist ein aus heutiger Sicht etwas staubiges Kostümdrama um Henry VIII. versus Thomas More vor dem Hintergrund der Scheidung von Henry mit Catherine von Aragon und neuerlicher Heirat mit Anne Boleyn, was zum Zerwürfnis der britischen Krone mit der katholischen Kirche führte.

"Ein Mann zu jeder Jahreszeit" ist durchaus unterhaltsam, leidet aber daran, dass seine Hauptfigur Thomas More ein solcher Saubermann ist, dass Meister Propper dagegen wie eine Drecksau wirkt. Paul Scofield spielt seinen Thomas More mit leidender Ernsthaftigkeit, was aber 1967 für einen Oscar als bester Schauspieler reichte - die viel interessantere Figur ist dagegen der von Robert Shaw gespielte Henry VIII. (immerhin: Oscarnominierung), dessen Gefühlsschwankungen man nie recht einordnen kann und der so vielschichtiger wirkt als Scofields More.


16. Sword Of Doom

„Ebenso bitteres wie blutiges Samurai-Drama, das längst zum Klassiker des Genres geadelt wurde. Furiose Schwertkämpfe, eine überwältigende Kameraführung und die Ahnung vom Verlust eines Lebens in Ehre verdichten sich zum packenden Porträt eines Mannes und einer Zeit, die glaubt, ihrer Zukunft verlustig geworden zu sein.“
– Lexikon des internationalen Films


17. Ride in the Whirlwind

Ein Counter-Culture-Film im Kleid eines Westerns: Jack Nicholson, der auch das Drehbuch geschrieben hat, als von den Autoritäten unschuldig verfolgter Cowboy, der sich des Ganovens Harry Dean Stanton erwehren muss.


18. Jahrgang 45

Vom italienischen Neorealismus beeinflusster DDR-Film, der letztendlich dort nie erscheinen durfte, da er der Staatsführung die beneidenswerten Seiten eines Lebens in der DDR-Diktuatur zu wenig goldglänzend hervorhob.

Aus heutiger Sicht lässt einen dieser Bann schon wundern, wirkt "Jahrgang 45" auf den ersten Blick wirklich nicht wie ein BIlderstürmer, sondern erzählt seine Geschichte einer Scheidung und eventuellen Wiederversöhnung eines jungen Paares im Prenzlauer Berg mit schlichten, unaufgeregten Szenen. Anscheinend waren aber die echt wirken Sequenzen in den grauen Straßen und den noch nicht fertig gebauten Hochhäusern schon genug, um den Osten in ein schlechtes Licht zu stellen.

Das ist auch deshalb schade, weil gerade diese Szenen die größte Stärke des Films sind: immer wenn "Jahrgang 45" in die Jugendkultur der Mitt60er abtaucht und vorsichtig ein BIld von Driftern und Halbstarken zeichnet, lebt er auf. Wohingegen die zentrale Entliebegeschichte wenig Eindruck hinterlässt und bestenfalls auf der Subtext-Ebene des Driftens auch in Herzensdingen von Belang scheint.


19. Wie klaut man eine Million?

Etwas zu sehr auf der augenzwinkernden Seite gelagerte Heist-Komödie mit einem tollen Peter O'Toole, aber einer zu überzogen spielenden Audrey Hepburn. Leidlich unterhaltsam, aber kein großer Wurf wie beispielsweise "Charade".


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