7 Tage, 7 Songs hieß eine der typisch-bescheuerten Facebook-Nominierungsaktionen im Jahr 2015. Aber weil beim Schreiben über Musik dann halt doch oft was Schönes heraus kommt, hat motorhorst.de bei der Aktion mitgemacht und die auch gerne auf der eigenen Seite dokumentiert. Songs, die viel bedeuten. Songs, die wichtig für die musikalische Sozialisation waren. Songs, die bleiben oder schon lange wieder weg sind.
Ach komm, Motor, die Beatles? So ein Quatsch für alte Männer? Wer so etwas sagt, der hat noch nix gesehen, bisher. B-B-B-B-Baaaaaby!
Zum Abschluss noch mal eine große Diskrepanz zwischen Veröffentlichung eines Werks und der tatsächlichen Wertschätzung durch mich. Hier liegt der zeitliche Unterschied bei über 40 Jahren.
Die Frage zu beantworten, wann man zum ersten Mal die Beatles gehört hat, ist ja ein relativ sinnloses Unterfangen. In irgendeiner Form sind die ja immer präsent. Durch das permanente Spielen der allgemeinen Konsenssongs wie "Yesterday" oder "Let It Be", wenn Romantik oder Nostalgie simuliert werden soll, wenn im Fußballstadion zu "Hey Jude" oder "Yellow Submarine" ein Loblied auf den eigenen Verein gedichtet wird oder mal wieder ein Stück für die Werbung freigegeben wird.
Eine große Konfrontation stand für mich zu einer Zeit im Raum, als ich noch im Ländlichen lebte, wo sich Gummistiefel und Mistgabeln "gute Nacht" sagten. In einem Festzelt spielte eine "Beatles Revival Band". Da ich an dem Tag an der Theke arbeitete, konnte ich mir die Dynamik gerade im Publikum recht gut anschauen. Natürlich waren da einige echte Hardcore-Fans da, die eher die "unbekannteren Songs" (gibt es so was bei den Beatles?) hören wollten oder schätzten. Aber vor allem waren natürlich viele alte Esel da, die sich erinnerten, dass sie die Beatles früher auch mal gehört hatten (so wie Leute halt jetzt zu Depeche Mode oder Pet Shop Boys gehen, weil sie mal "Enjoy The Silence" bzw. "Go West" im Radio gehört hatten).
Und die zweite Hälfte oder eher die letzten beiden Drittel des Konzerts waren nicht nur genau auf diese Besucher gezielt, sondern auch z.B. auf mich, um mir zu zeigen, wie viel man eigentlich von den - soll ich es wirklich schreiben? Ach, ich erlaube mir einen kleinen Witz - Pilsköpfen kennt. Und was diese Songs mit einem machen. Die ja auch kaum mal länger als zweieinhalb Minuten dauern und dann kommt schon der nächste Hit und man merkt auf einmal, dass man auf der Bierbank steht und den Maßkrug im Takt schwingt.
Um den Schritt zu machen und sich mit der Band eingehender zu beschäftigen, die nicht nur jeder als wichtigen Einfluss nennt, sondern auch Personen, von denen man es nicht unbedingt vermuten würde, wie etwas Lemmy von Motörhead, muss irgendein besonderer Anlass gegeben sein. Das kann die mehrteilige Dokumentation über die Beatles sein, die ich komischerweise immer noch nicht geschaut habe oder wie in meinem Fall der Release ihrer klassischen Alben als Stereo-Versionen.
Im Jahr 2009 erschien ein Box Set, auf dem u.a. die ersten vier Beatles-Alben erstmalig in Stereo auf CD veröffentlicht wurden. Ein willkommener Anlass, mich einfach mal ins Gesamtwerk einzuhören. Und ich kann nur jedem empfehlen, sich diese Werke auf dem Kopfhörer anzuhören, was da passiert ist unglaublich. Im Allgemeinen gelten ja das weiße Album oder auch Sgt. Pepper als die Referenzwerke, aber mir hat es vor allem die Revolver von 1966 angetan.
Natürlich ist da mit "Yellow Submarine" ein Lied drauf, die ich nicht mehr hören kann, aber wie groß ist da der Schatz an Perlen: "Taxman", "Eleanor Rigby", "I'm Only Sleeping" und eben das abschließende "Tomorrow Never Knows".
Diese Stücke sind alle sehr weit von der Einfachheit eines "Love Me Do" oder der leicht nervigen Monotonie von "Twist And Shout" entfernt, sondern spielen sich alle in sehr unerwarteten Rhythmen, Instrumentierungen oder Songstrukturen ab.
Was da passiert, gerade wenn man Kopfhörer auf hat und dann auf dem linken Ohr die Gitarre spielt und von hinten rechts etwas völlig anderes angeschlichen kommt, sagt mal: Produziert man heute überhaupt noch so oder geht es nur noch drum, alles brachial nach vorne zu mischen, Hauptsache breiig und alles wegspülend?
Was die Kraft der Beatles in der Praxis belegt: Während ich das hier schreibe und "Tomorrow Never Knows" noch mal zur Kontrolle laufen lasse, entspinnt sich hier eine Diskussion, wessen neuer Release das da gerade wäre. Und auf meine Versicherung, dass das ein 50 Jahre alter Beatles-Song ist, kommt Begeisterung auf und es wird lauter gedreht und nicht verstanden, wie so ein altes Stück so modern klingen kann. Diese Flächen aus Sitar-Klängen, das Möwengeschrei natürlich und dann dieser Off-Beat, der das Lied überhaupt nicht trägt, sondern eher als Sprengsel dient, dazu der leicht verdrogte Gesang, aber wie fügt sich das alles zu dem zusammen, was es dann insgesamt ist? Für mich jedenfalls ein unkaputtbares Werk, das ich mir immer und immer wieder anhören kann ohne jemals satt zu werden.
Für manche Sachen muss man einfach älter werden. Ich bin immer misstrauisch, wenn mir ein Zwanzigjähriger sagt, dass Led Zeppelin, AC/DC oder die Rolling Stones seine Lieblingsband wären und muss mich dann zurück halten, um nicht zu fragen, "Was ist in Deinem Leben denn jetzt schon schief gelaufen?". Aber der Punkt, wo man sich mit all diesen Giganten auseinander setzen muss, um zu sehen, dass die nix für einen sind oder wie wichtig diese dann eben doch sind (und wenn man sich nur einen Teil des Schaffens dann heraus zieht), der kommt unweigerlich. Manchmal ein wenig später. 40 Jahre zum Beispiel.
Neues aus dem Elfenland. Wer Radiohead schon hasste, dem bluteten bei Sigur Rós erst recht die Ohren. Kein Wunder, dass ich es einst liebte und immer noch tue.
Als im Jahr 2000 das Debütalbum von Sigur Rós erschien, ging die Streiterei schon los: Das ist gar nicht das Debüt, es gab vorher schon die "Von" in Island. Und davon abgesehen, erschien Ágætis byrjun auch schon 1999 und damit in den 90ern. Eine Diskussion, die bei jeder (JEDER) Listenerstellung mit den "besten Alben der 00er" (aber zwangsläufig natürlich auch "...des letzten Jahrhunderts") geführt wird. Und wo gehören die Akzente drauf? Auf das u in Sigur oder da o in Ros? Und was sind das für bescheuerte Buchstaben im Albumtitel. Tja, wenn man sich mit solchen Oberflächlichkeiten aufhält... Menschen.
Ágætis byrjun war schon ein Erdrutsch (um der albenbeschreibenden Fachsprache mal einen weiteren schiefen Vergleich hinzuzufügen). Eine Band aus Island war schon lange keine Sensation mehr, schließlich war eh jeder zweite dort lebende Mensch Musiker und vollbrachte auf dem Indie/Elektroniksektor wahre Wunderdinge (Björk, Gus Gus, Múm, man war ja fast dankbar, dass irgendwann so ein mediokrer Mist wie Of Monsters and Men kam, um die Verhältnisse mal zu relativieren). Das an Radiohead-geschulte Ohr war auch nicht gänzlich unvorbereitet auf die Klänge aus dem Elfenland. Aber diese Kombination aus mit Geigenbögen gespielten Gitarren, breitwandigem Sound von gefühlt 24 Musikern und dem Gesang, der in einer unverständlichen Fantasiesprache (ab der Nachfolge-CD mit den Nierchen ja tatsächlich das ausgedachte Hopelandish, vorher das für alle Nicht-Isländer ebenso erfunden klingende Isländisch) erklingende Gesang - das sind eigentlich nicht die Elemente, aus denen ein weltumspannender Erfolg wird. Hier dann aber doch.
Meine persönliche Anekdote betrifft eine meiner drei DJ-Residencies in den 00er-Jahren (also ab 2000 bzw. in Island ab 1999. Wobei beginnen die 00er schon 2000? Bzw. das 21. Jahrhundert? Ihr fangt ja auch bei 1 zum Zählen an. Nicht bei 0. Außer, ihr seid Physiker! Oder habt schon mal bei einem Array verzweifelt das erste Element gesucht). Diese längeren Anstellungen in Clubs als Musikbeschaller endeten alle im Untergang des jeweiligen Clubs, wobei ich natürlich daran nie schuld war (ist klar, Motor). Großer Bestandteil meiner Philosophie war immer, den Abend gebührend zu beginnen und auch wieder würdevoll zu beenden. Im Rosalectro lief z.B. zu Beginn gerne "Mother" in der 67-Minuten von Goldie, da die Gäste oft erst spät kamen. Im ID² startete ich gerne mit der Kombination aus den Live-Versionen von Depeche Modes "Oberkorn/My Secret Garden", weil Dave Gahan da zu Beginn "Good evening, everybody" sagt.
Ebenso musste der Abend dann zu einem Ende gebracht werden. Meist lief da ein signature Song wie "So lebe ich" von Blumfeld oder etwas ähnliches zum "Runterkommen": "Du trägst keine Liebe in Dir" von Echt (wegen der oberflächlich wahrgenommenen Ironie und der heimlich empfundenen Wahrhaftigkeit) oder "Blue Monday" von New Order (wegen der ewigen Gültigkeit).
Im ID² legte ich gerne "Starálfur" am Ende ein, um den Wenigen, die vergessen hatten heimzugehen, zu signalisieren "Alles okay, folks, das Raumschiff ist wieder sicher gelandet, trinkt euren Jacky-Cola aus und geht endlich heim".
Als die letzten Klänge verhallt waren, kamen an einem dieser Abende zwei Mädchen auf mich zu. Die eine trug weite Gewänder, die sich bei jedem Schritt veränderten, farblich und in der Form: Mal war es ein hellgrüner Umhang, dann ein silberner transparenter Schleier, um bei ihrem nächsten Schritt zu einem Pfauenrad in allen Farben des Regenbogens (und noch 2 anderer) zu werden. Die andere war sehr klein, hatte zwei Paar libellenartige Flügel und umflog die Erste mit dem changierenden Kleid und kicherte dabei unentwegt aus ihrem sommersproßigen Gesicht. In einer Mischung aus dem bekannten Björk-Englisch und dem gerade erst erfundenen, ebenso charmanten Björk-Deutsch erklärten sie mir, mit Tränen in den Augen, dass das für sie eine lebensverändernde Erfahrung war, solch ein sphärisches Stück aus ihrer Heimat zu hören. Heute, hier, Millionen von Kilometern von Island entfernt, während ihres studienbedingten Aufenthalts in der schönsten Stadt der Welt (damals: Bayreuth).
Ich war nun selbst gerührt und gefesselt, bat die beiden in meine Kutsche, die mir eine Fee kurz zuvor aus einem Kürbis gezaubert hatte und fuhr mit ihnen in eine Nacht, in der wir uns Geschichten von Geysiren, Bananenpflanzen in Hveragerð und dem mittelalterlichen Manuskript Mörðuvallabók erzählten, aber auch die Art der isländischen Nachnamensbildung (mit -son bzw. -dottir) bewunderten. Eine Nacht, die scheinbar endlos sein sollte.
(Notiz an mich: Vor der Veröffentlichung bitte den Schluss wieder so ändern, dass da steht, dass ich die beiden leider nie wieder nach dem kurzen Gespräch gesehen habe, wenn mich der Moment schon etwas bewegt hat. Und mal ernsthaft die Frage stellen, ob das mit dem Kleid und der fliegenden Elfe sein muss)
Ein Schritt vor, zwei zurück. Der musikalische Lebensweg folgt oft nicht der Chronologie von Releases und Trends, deswegen führt uns in den 2000ern Entdecktes zurück in die 80er. Und zum Beton.
Zeitlich ist das ein Schritt zurück, in meiner persönlichen musikalischen Biographie beginnt das Kapitel Fehlfarben aber erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts.
Die Geschichte der Neuen Deutschen Welle ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Zumindest für mich und sicher auch für viele andere Spätgeborene, für die es eine Selbstverständlichkeit darstellt, das Proseccoglas jubelnd in die Luft zu recken und schnell auf die Tanzfläche zu torkeln, wenn Nena das Lied von den 99 Luftballons singt oder Geier Sturzflug das Bruttosozialprodukt steigert.
Den Begriff NDW habe ich irgendwann zu Beginn der 80er mal in der Bravo gelesen oder in den Schlagern der Woche auf Bayern 3 gehört. Ziemlich sicher lief damals eine Sendung im Fernsehen, entweder der Rockpalast oder etwas vergleichbares, wo zahlreiche Bands der so genannten Neuen Deutsche Welle spielten, ich kann mich dabei noch an Ideal erinnern, andere Acts könnten eventuell Spliff oder Nena oder auch BAP gewesen sein. Da dies das erste Live-Konzert war, das ich sah, haute mich das ziemlich um, also diese vielen Menschen vor der Bühne und wie die da im Einklang alle mitklatschten, wenn es auf der Bühne rund ging oder eingefordert wurde, mitzumachen. Ja, eigentlich muss damals BAP dabei gewesen sein, denn dieses mechanisch-dumpfe Einklatschen lässt automatisch "Verdamp lang her" in meinem Hinterkopf erschallen, wie schrecklich.
Moment mal, BAP und NDW? Bist Du Dir sicher? Ja, genau da geht es los mit dem Riesenmissverständnis. An der Stelle kommt mir übrigens eine andere Zeile in den Kopf, die Tom Liwa gut zehn Jahre später über eine ganz andere Welle von deutschsprachigen Bands sang: "Fünf Jahre nach mir und drei Jahre nach Blumfeld kaufen sie alles ein, was deutsch singt und laut genug lügen kann. Und viele von denen sind besser als wir es je warn."
Der Punkt auf den ich hinaus will ist der, dass es zwei NDWs gab. Zum einen die oben beschriebene, die ich kannte. Die ich im Radio hörte. Und die für mich dank zweier BRAVO-Poster auch herrlich systematisiert wurde: Alles was deutsch sang und Schlafanzüge auf der Bühne trug, gehörte zur NDW. Idiotisch wie diese Definition war auch die Reihe der Bands, die auf diesen Postern gelistet war: Neonbabies, Relax, Palais Schaumburg, Frl. Menke, Kraftwerk, Spider Murphy Gang, BAP, Hubert Kah. Ich habe da natürlich vor allem die unpassenderen heraus gesucht, aber da eben Bands wie Relax oder Spider Murphy damals besonders präsent war, habe ich die dann eben auch als die Vertreter dieser Musikgattung wahrgenommen und von den anderen wenigstens den Namen mal gelesen, auch wenn die nie im Radio liefen (also Palais Schaumburg, Neonbabies oder The Wirtschaftswunder). Und in meiner kindlich-jugendlichen Unbedarftheit kaufte ich mir auch gerne die UKW-Single "Ich will" (absurderweise neben "Wissenswertes über Erlangen" von der Max-Goldt-Band "Foyer des Arts") und feierte Hubert Kah und natürlich Nena.
Dann war das aber irgendwann auch gegessen. Andere Musikströmungen wie der frühe HipHop, vor allem aber New Wave und New Romantics-Sachen waren einfach viel interessanter, von frühen Chicago House-Geschichten ganz zu schweigen. Das was ich als NDW kannte, ließ nur noch Trottel auf noch größeren Trottel-Parties komplett ausrasten (ja, auch damals war die Nostalgie schon nicht mehr das, was sie mal war) oder wurde über den neu aufgekommenen Vertriebskanal Fernsehen verramscht, wo man dann eine CD mit den 88 größten NDW-Hits kaufen konnte. Ironischerweise wurden diese Werbejingles an irgendeiner Stelle immer mit dem Satz "Keine Atempause - Geschichte wird gemacht: Es geht voran!" untermalt, was bei mir aber kein Glöckchen des Wiedererkennens klingeln ließ. Die Fehlfarben waren mir jenseits ihres Bildes auf dem ominösen Bravo-Posters absolut kein Begriff.
Auftritt Jürgen Teipel. 2001 veröffentlichte er "Verschwende Deine Jugend", eine oral history des Punk und New Wave, also der Neuen Deutschen Welle in Deutschland. Also der echten NDW. Die, die es gab, bevor die Industrie den ganzen Trend vereinnahmte und die Produkte auf den Markt warf, für die ich schon so viel Platz in diesem Text verbraucht habe.
Plötzlich ergab das alles viel mehr Sinn. Über den zugehörigen Sampler zum Buch und die anderen Quellen, die man so hat, erschloss sich mir knapp 20 Jahre später eine Musiknische, für die ich seinerzeit einfach noch 3-5 Jahre zu jung gewesen war. DAF waren mir tatsächlich schon ein Begriff, "Der Räuber und der Prinz" hatte ich eventuell in Bio's Bahnhof oder bei Formel Eins schon gesehen und fand das zumindest witzig. Ideal war eh gut, Blaue Augen, Ich steh' auf Berlin - Bombe! Neubauten hatte ich auf dem Schirm, seit mir xmagic die "Tabula Rasa" geschenkt hatte und seit "Ende Neu" hab ich sie geliebt.
Aber was war z.B. mit diesem Referenz-Album, das immer wieder genannt wurde? Das in vielen Listen, auch den allgemeiner gehaltenen, auf vorderen Plätzen auftauchte und zum Teil sogar den Titel "Bestes deutsches Album aller Zeiten" trug?
An "Monarchie und Alltag" von den Fehlfarben führte kein Weg vorbei. Auch wegen der ominösen Geschichte, dass der Sänger und Texter Peter Hein kurz nach dem Album und vor der ersten Tour die Band verließ. Ein Hauch von Joy Division im Kleinen? Nur, dass hier der Job bei Rank Xerox zum Glück den Freitod ersetzte?
Kurz gesagt: Ein Killer-Album. "Gottseidank nicht in England", da ist ja schon der Titel pures Gold. "Grauschleier", "Das sind Geschichten", "Apokalypse". Nur Hits. "Militürk", hmmm, das hatte ich schon mal gehört, von dieser anderen großen Band, der ich mich jetzt wieder erinnerte und die mit ihren minimalen, aber wuchtigen Elektro-Beats sofort den Weg in die heavy horsty rotation fand: Bei DAF hieß der Song, der auf einem Mittagspause-Stück beruht "Kebab-Träume".
Und ja, da war ja auch das Stück, das ich kannte, seit Jahren, ohne es wirklich zu kennen: "Ein Jahr (Es geht voran)", genau, das aus der Werbung. Das war schon eingängig, aber fast das schwächste auf dem ganzen Album.
Ein Jahr später hatte ich Teipel dann live gesehen, in einer Multimedia-Show gab es nochmal Standbilder von den Interviews fürs Buch und dazu die O-Töne vom Band, die man aus dem Buch kannte. Und kurz darauf war wieder Popkomm in Köln, ein Fest. Ein Kurztrip nach Düsseldorf führte mich nachmittags zur "Zurück zum Beton"-Ausstellung, quasi der musealen Version des Teipel-Buchs.
Im Gebäude 9 sollten die Fehlfarben am Abend ihr erstes wiedervereinigtes Konzert (sieht man von einem Showcase in einer Galerie ab) geben, noch dazu mit Kreidler als Vorband. Das schlug ich mir aber gleich aus dem Kopf und war mit der Straßenbahn schon auf dem Weg ins Hotel, als säm mich anrief und meinte, gerade würden sie wieder Leute in die Halle lassen, die einen Messeausweis hatten. Also zurück, rein und dann stand man direkt vor der Bühne, von der Peter Hein später "Zurück zum Beton"-Buttons und den zugehörigen Mittagspausen-Song werfen sollte. Aus einem Guckloch oben schaute Mufti, also FM Einheit von Abwärts bzw. Neubauten heraus, auf einmal waren die Figuren aus dem Buch vor meinen Augen zur Realität geworden.
Der letzte Song des Konzerts war der, der auch der letzte auf dem Album ist. Der, der die Essenz der Fehlfarben ist, mindestens die Essenz von Monarchie und Alltag. "Paul ist tot". Der kryptische Text scheint vom Verlust einer Person zu handeln, mit der Peter Hein einst noch "flipperte, zusammen", Paul wäre nun aber tot, kein Freispiel mehr drin. Letzten Endes war Paul zwar nur der Flipper selbst, aber egal, das ging aus den Lyrics nicht hervor und so kann man sich selbst seine eigene Bedeutung zusammen reimen.
Aber ich springe schon wieder: Die Gänsehaut, die der Anfang des Stücks schon herbei zaubert: Dieses plinkplinkplink, auf dem Hals der Gitarre gespielt und schon setzen die Synthie-Flächen ein und lassen schon nix Gutes vermuten und tatsächlich: Ein Saxofon setzt ein! Kleiner Spaß, so schlimm ist das nicht und wenn ein Saxophon nix kaputt machen kann, dann ist das ein guter Song! Nach über einer Minute beginnt der großartige Text, also zu einem Zeitpunkt, wo ein zeitgenössischer Punk-Song bereits vorbei ist oder zumindest in seinen finalen Zügen liegt.
"Paul ist tot" dauert fast 8 Minuten und es reiht sich ein zitierfähiger Satz an den anderen, aber der eine entscheidende kommt nach zweieinhalb Minuten zum ersten Mal und jeder, der ihn vorher wenigstens einmal gehört hat, brüllt ihn in diesem Moment mit: "WAS ICH HABEN WILL, DAS KRIEG ICH NICHT - UND WAS ICH KRIEGEN KANN, DAS GEFÄLLT MIR NICHT!".
Ein Monument von einem Slogan, den man auf alles und jeder für sich auf etwas anderes beziehen kann und der immer richtig ist.
Ich habe die Fehlfarben seit damals schon ein gutes halbes Dutzend mal gesehen und natürlich stellt sich nie dieser Effekt des Neuen bzw. genauer gesagt des unerwartet Ausgegrabenen bei einer archäologischen Expedition in die 80er mehr ein. Aber bei jedem Fehlfarben-Konzert gibt es diesen einen magischen Moment, wo die Band einen immer wieder kriegt.
Ein solcher Moment war ein halbes Jahr nach dem Gebäude-9-Auftritt in Erlangen, als ich zwei ältere Herrschaften beobachtete. Einer der beiden hatte eine neue Errungenschaft mitgeschleift, die nicht wirklich großen Spaß an dem Abend hatte, mit einer Musik, die ihr fremd war und einem Nostalgierausch ihrer beiden Begleiter, den sie nicht nachvollziehen konnte. Bei "Paul ist tot" hatte die Dame den Saal des E-Werks bereits verlassen, die beiden Herren reckten ihre Weizengläser in die Luft, hatten die freien Arme um einander gelegt und brüllten mit Tränen in den Augen "Was ich haben will, das krieg ich nicht - und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht" und es gab keinen Zweifel daran, dass die beiden in diesem Moment einen der schönsten Augenblicke ihres Lebens hatten.
Einen elektronisches Einschlag erhält diese Reihe durch ein Stück aus dem Soundtrack von Trainspotting, der aber nicht der ganz naheliegende ist. Lager lager lager eben nicht.
Und wieder der Einfluss von MTV. Meine Vorgehensweise, neue Songs bei "Headbanger's Ball", "120 Minutes" oder später "Alternative Nation" zu entdecken und die mir unter Umständen auch mit sanftem Zwang schön zu hören, habe ich ja bereits beim Tocotronic-Text beschrieben: Auf eine Audiokassette wurden die Songs von der VHS-Aufnahme herunter überspielt und dann in der nächsten Woche (oder auch Wochen/Monaten) rauf und runter gespielt. Die Entscheidung war da immer schnell getroffen: Wenn sich etwas sofort festgesaugt hat oder wenigstens ungewöhnlich klang, landete es auf dem Tape. Überspielen konnte man es immer noch. Nicht immer lag ich dabei stylistisch so sicher, wie das angebracht gewesen wäre. So hörte ich x-mal am Ende von "Something for the Weekend" (The Divine Comedy) die ersten Takte von "Babies" (Pulp), welches mir seinerzeit wohl nicht kassettenwürdig genug schien. So erkannte ich es dann aber Jahre später wenigstens schnell wieder und es fand sofort den Ehrenplatz im Herzen, den es heute noch inne hat, das Lied.
Auf einer dieser Kassetten fand sich dann auch "Rez" wieder. Mein erster Kontakt mit Underworld und glücklicherweise vor dem ganz großen Hype, der mit "Born Slippy (NUXX)" dank Trainspotting 1996 losbrach. Ein sehr ungewöhnliches, sperriges, elektronisches, vor allem aber instrumentales Ungetüm mit einer Spielzeit von über 10 Minuten - und das Video wurde dennoch komplett ausgespielt! Apropos Video: So wenig wie Karl Hyde als Sänger in dem Song in Erscheinung tritt, findet auch die Band im Video statt. Punkte und Klekse tanzen da über den Schirm, später auch Linien oder Kreise. Sind das Aufnahmen aus einem Mikroskop, unter dem eine Petrischale steht? Oder ist das gar eine reale Adapation des "Game of Life" aus den 70ern, wo Zellteilungen und Neuformationen mit dem Ziel, neues Leben zu schaffen stattfinden? Egal.
Wenn man zum ersten Mal bewusst instrumentale Stücke hört, glaubt man ja, diese nicht wie einen normalen Vocaltrack im Kopf behalten und dann anhand von Schnipseln auch wieder identifizieren zu können. Aber ebenso wie das etwa zur selben Zeit veröffentlichte (und natürlich auch über 120 Minutes kennen gelernte) "Frosch" von Mouse On Mars bleibt einem "Rez" sofort im Sinn und schiebt sich immer wieder ins innere Ohr und geht da nicht mehr raus. Und es besteht beileibe ja nicht nur aus einer Melodie oder Sequenz, die endlos wiederholt wird, sondern ein stetiger Aufbau lässt das Stück im Verlauf größer und größer werden. Und - vielleicht der Clou - in der letzten Minute geht der Weg dann auch wieder zurück, d.h. der Track endet nicht auf dem Höhepunkt, der einen atemlos zurück lässt, sondern schwillt langsam wieder ab und verkriecht sich in dem kleinen Schneckenhaus, aus dem er zuvor heraus kroch.
Underworld ist seitdem eine meiner Lieblingsbands (Ich hab da eigentlich nie nur eine, sondern eher so einen Pool von 30-50 verschiedenen Künstlern ohne echte Rangfolge) und ich sage ganz bewusst Bands, denn Underworld ist sicher ein elektronischer Act, der live im Normalfall rein auf elektronischen Geräten und dem Sänger beruht. Letzterer, Karl Hyde, nimmt auch mal die Gitarre zur Hand, die aber dann so verfremdet ist, dass sie meist nicht als solche zu erkennen ist und zudem eher Sounds liefert als eine Melodie oder den Rhythmus vorzugeben. Wenn man sich aber die Reaktionen im Publikum eines Underworld-Konzerts an schaut, dann sind die kaum von einem Rockkonzert zu unterscheiden. Naserümpfern, die Nicht-Gitarren-Musik kategorisch ablehnen, versuche ich Underworld immer als Rockband mit elektronischen Mitteln zu verkaufen, was dann aber auch wieder blöd klingt, weil man da eher an The Prodigy oder auch die Chemical Brothers denkt. Auf der anderen Seite kennt aber ja auch jeder "Born Slippy.NUXX" und geht darauf gut ab, weil er es ja aus dem Film kennt und dann laut "Woohoo" schreien kann, wenn es in der Rosi läuft und am Besten tanzt man noch wie Vincent Vega den Zwillentanz dazu, dann hat man alle 90er-Film-Klischees auf einmal erledigt und kann danach wieder an die Bar.
Wenn schon Trainspotting, dann sei noch auf einen anderen Underworld-Track hingewiesen: Wie "Rez" (welches aber nur auf der CD-Bonus-Version enthalten ist) befindet sich auf dem dritten Underworld-Album "dubnobasswithmyheadman" auch das Stück "Dark & Long". Die wesentlich dynamischere und zu empfehlende "Dark Train"-Version findet sich auf dem zweiten Soundtrack zu Trainspotting (irreführenderweise mit "Trainspotting#2" bezeichnet) und wird natürlich auch im Film gespielt. Diese hat zwar nicht die Stelle aus Born Slippy, wo man das Bier hochrecken und wie am Spieß schreien muss, aber es ist ein Paradebeispiel für den typischen Underworld-Song: Die hypnotischen, mantrartigen Slogans von Karl Hyde (bei den Lyrics kann man immer wieder Querverbindungen zu Werbeslogans ziehen und Underworld entstammen ja auch der Londoner Agentur Tomato) über ein sich aufbauendes und steigerndes Korsett aus hauchenden Chören und Synthesizer-Flächen, die zumindest mich mehr tragen und anheizen als stumpfe Beats. Aber ein jeder Jeck ist halt anders.
Nach den Jahren voller schwermütiger Gitarren und amerikanischen Bands blieb es bei Schwermut und Gitarren, die kamen aber nach den Flurschäden, die die NDW fast 10 Jahre hinterlassen hatte, aber endlich wieder aus Deutschland
"MTV Makes Me Wanna Smoke Crack" sang Beck bereits 1993 und natürlich ist die Ablehnung des Musikwerbesenders relativ leicht nachzuvollziehen, besonders aus heutiger Sicht, wenn man mit einer Mischung aus Entsetzen und Schadenfreude auf den Trümmerhaufen guckt, der von dem einst visionären Senderkonzept übrig geblieben ist. Aber...
Anfang der 90er, wir befinden uns immer noch in der Prä-WWW-Zeit, war nach einer kurzen Phase mit Sendern wie Sky Channel aus England und deutschen Pendants wie der musicbox (später: Tele 5) irgendwann selbst in Bayreuth MTV Europe zu empfangen und schnell nicht mehr als ständiger Tagesbegleiter wegzudenken. Während am Nachmittag Ray's Request bzw. MTV's Most Wanted für Kurzweil sorgte, verschafften einem Genre-Sendungen wie "Headbanger's Ball" oder "120 Minutes" neues Material aus Sparten, die eher ein Nischenpublikum als Zielgruppe hatten. Aber auch außerhalb dieser Perlen liefen oft gute Videos und viele Jahre vor Handy-Klingeltönen konnte der Fernseher ohne große Bedenken immer auf "an" (und natürlich "Kanal 15", also MTV) stehen.
1995 wurde das Format "120 Minutes" durch "Alternative Nation" abgelöst, was lediglich als eine Umetikettierung wahrgenommen wurde, denn der Fokus lag hier wie dort auf eher subkulturellen Indie-Themen. Ungefähr zur selben Zeit lief auf einmal ein deutschsprachiger Song in dieser neuen Sendung. Nach einem zaghaften Geschrammel auf der Akustikgitarre, das noch gut von z.B. Pavement hätte stammen können, setzte der Gesang ein und ließ aufhorchen bzw. alle Aufmerksamkeit auf den Fernseher und das gezeigte Video richten: "Sie hat zwei Beine / Und sie hat zwei Augen / Und aus denen kann sie schauen / Und sie schaut zu mir". Hingeschrieben klingt das genau so lo-fi, wie der Song bzw. das Video in diesem Moment herüberkamen.
"Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk" hieß der Song, wie Musikkennern bereits klar ist (und auch Menschen, die z.B. den Titel von Texten wie z.B. dem gerade gelesenen lesen) und er stammte von der mir bis dato unbekannten Band Tocotronic aus Hamburg. Der Sänger, ein schmaler Junge mit asymmetrischer Frisur sitzt in einem Schlafanzugoberteil am Küchentisch und singt den Song während er sich selbst dazu auf der Gitarre begleitet und das besungene Indiemädchen mit den zwei Augen zu den Klängen aus dem Schlaf erwacht und versonnen Richtung Küche lächelt. Bereits in dieser Eingangsszene bündelte sich die Art und Weise, wie wir fortan leben wollten.
Aber irgendwie war das dann doch nicht so ganz die Manic Pixie Dream WG, wie es zunächst schien, sondern eigentlich sitzt der Sänger, also Dirk von Lowtzow, inzwischen in das ikonische "Elektro Vetter"-Shirt gehüllt mit seinen beiden Bandkollegen Jan Müller (mit der ebenso stil- und epochenprägenden orangen Adidas-Trainingsjacke) und Arne Zank (im nicht minder stylischen Parka) an besagtem Tisch und sie spielen den Refrain "Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk", den wir so oder so ähnlich zu dieser Zeit auch immer vorwurfsvoll hörten (wenn auch nicht mit "Dirk" am Ende, es sei denn, wir hießen damals so), im Jahre 1 nach Kurt Cobain. In dieser zweiten Szene fasste Tocotronic also genau zusammen, wie wir damals tatsächlich lebten.
Dann gibt es noch mehr Trainingsjacken und Retro-Logos und das Mädchen wieder im Zimmer, aber nie mit Dirk zusammen, nur in so einer Art Traumsequenz, also wohl nicht wirklich und im Hintergrund sind so liebevolle Details wie ein Godzilla/Frankenstein-Poster an der Wand oder einer M&M-Figur und einem Sandmännchen auf der Fensterbank und Band-Auftritte in dunklen Kellern oder eher spärlich besuchten Clubs. Und dann dieses Gitarrensolo, to end all gitarren solos, das aber eher eine verzweifelte Parodie auf ein echtes Solo ist. Und dann spielen Dirk und das Mädchen doch irgendwie zusammen Pong, im Bett sitzend, also vielleicht ist es ja doch eine fröhliche Geschichte, mit gutem Ende und die "Nevermind" wird aufgelegt und ein "Reservoir Dogs"-Poster hängt an der Wand. Am Ende steht es 5:7.
Ich habe mir die CD nicht sofort gekauft, sondern wie ich es damals zu tun pflegte, überspielte ich den Song von der VHS-Kassette, mit der ich jede Woche Alternative Nation aufgenommen hatte, auf eine Audio-Kassette, die mich dann die nächsten Wochen im Auto beschall. Das erste Album "Digital ist besser" und auch die kurz danach veröffentlichte EP "Nach der verlorenen Zeit" hielten wir noch ein paar Mal im Drogeriemarkt Müller in der Hand, uns immer über die langen und verschrobenen Titel amüsierend: "Michael Ende, Du hast mein Leben zerstört", "Die Idee Ist Gut, Doch Die Welt Ist Noch Nicht Bereit", "Über Sex Kann Man Nur Auf Englisch Singen", "Ich Muss Reden, Auch Wenn Ich Schweigen Muss". Dann wurde aber natürlich alles gekauft.
Tocotronic ist eine Band, die auch heute, 20 Jahre später, ein wahnsinnig wichtiger Bestandteil meiner musikalischen Sammlung, des Auflege-Repertoires und des ganzen popkulturellen Sinns und der Identität ist. Zusammen mit nur ganz wenigen Acts steht die Band im Fach "Können machen, was sie wollen, werden mich nie enttäuschen". Und haben sie halt auch noch nie. Zudem besteht Tocotronic bis auf die Hereinnahme von Rick McPhail als zweiten Gitarristen (auch schon seit über 10 Jahren offiziell in der Gruppe) immer noch aus den Original-Mitgliedern, was in dieser Zeit des Wandels und der Unstetheit....okay, jetzt wird es echt albern.
Was für eine Band. Was für ein Song und ein Video. Auch nach 20 Jahren noch.
Hammer-Anekdote über das Elektro Vetter-Shirt aus dem Video:
Die habe ich gestern auf Facebook gelesen, weil sie ein befreundeter Journalist als Kommentar zu einer seiner Freundinnen gepostet hat (mit der ich aber nicht befreundet bin), die ebenfalls "Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk" als Song des Tages postete. Ich habe gerade fast eine Stunde lang die Facebook-Timeline durchsucht, sämtliche idiotischen Sortierreihenfolgen geändert und Google versucht oder auch die so genannte Suche, die noch nie etwas gefunden hat. Ich habe keine Chance, den Text wieder zu finden. Ich hasse Facebook, wie es konsequent Inhalte versteckt und nach irgendwelchen Regeln durcheinander mischt, die kein Schwein nachvollziehen kann oder will. Ich sehne den Tag herbei, wenn man auf einer Webseite mal wieder eine Rückmeldung zu einem Text bekommt und nicht aus Profilierungssucht oder einfach nur wegen des guten Gefühls, wenn eine Stunde schreiben mit einem oder zwei "Likes" belohnt wird, auf Facebook angewiesen ist.
Das Meisterwerk der subversiven Popmusik überhaupt: Ein Millionenseller, der vom theoretisch unpoppigsten Thema ever, nämlich dem inneren Konflikt des Gläubigen mit seinem eigenen Schwulsein, handelt.
Pet Shop Boys – It’s A Sin (1/7)
Gehen wir das Ganze chronologisch an: die erste Band, die mich wirklich geflasht hat, waren die Pet Shop Boys. „Suburbia“ – noch ein wenig früher als „It’s A Sin“ – war der allererste Song, den ich derbe geil fand, aber „It’s A Sin“ war dann 1987 endgültig die große Pop-Offenbarung. Der damals Zehnjährige in mir war hin- und hergerissen: sollte ich mir auf ZDF um 17.50 Uhr die „Robin Hood“ – Vorabendserie mit Jason (!) Connery ansehen oder doch auf Bayern3 die wöchentliche Top Ten Sendung – damals noch unter dem Namen „Schlager der Woche“ – hören? Das Gute war: „It’s A Sin“ war im Sommer 1987 sechs Wochen auf Nummer 1 und so konnte ich mir schön die Episoden um den hellblonden Robin Sherwood auf dem ZDF reinziehen, die aber so rechtzeitig endeten, dass ich auf Bayern3 noch die Nummer 1 der Schlager der Woche hören konnte! Eine Win-Win-Situation im Summer of Sin, wie es damals auf dem Pausenhof hieß!
Als Jason Connerys große Serie nicht mehr ausgestrahlt wurde, bin ich übrigens endgültig ins Schlager der Woche – Camp gewechselt und konnte so in den Folgejahren auf kariertem Papier fein säuberlich die Entwicklung der einzelnen Chart-Singles festhalten und Statistiken erstellen.
Warum aber nun „It’s A Sin“? Das Kuriose ist: ich kann es heute viel besser begründen als damals. Das herrlich theatralische Video hat die britische Regielegende Derek Jarman gedreht, der gut zehn Jahre vorher den vielleicht extravagantesten Punkfilm überhaupt gemacht hatte: „Jubilee“ – und der zentrale Satz aus „Jubilee“ sollte mich dann auch in den nächsten Jahrzehnten nicht loslassen: "As long as the music is loud enough, we won't hear the world falling apart."
Zudem ist „It’s A Sin“ wahrscheinlich das Meisterwerk der subversiven Popmusik überhaupt. Mitte der 80er war Schwulsein noch stärker ein „Problem“ als heute und selbst die Pet Shop Boys noch fest in the closet (wobei das ähnlich absurd scheint wie bei Judas Priests Rob Halford: ist ja jetzt im ganzen Auftreten nicht so überraschend…). „It’s A Sin“ thematisiert aber, gerade auch im Kontext mit Jarmans Video, recht unverhohlen die Haltung der katholischen Kirche und die Probleme, vor die das einen gläubigen Schwulen stellt
Father, forgive me, I tried not to do it
Turned over a new leaf, then tore right through it
Whatever you taught me, I didn't believe it
Father, you fought me, cause I didn't care
And I still don't understand
Mit „It’s A Sin“ verkauft sich so ein Song millionenfach, der vom theoretisch unpoppigsten Thema ever, nämlich dem inneren Konflikt des Gläubigen mit seinem eigenen Schwulsein, handelt. Die Pet Shop Boys zeigen damit (und das nicht zum letzten Mal) dass die Music For The Masses mehr sein kann als Soundfutter auf dem Weg zur Arbeit/Schule.
In autobiographischer Reihenfolge überspringen wir die belanglose Radiopop-Phase der 80er und kommen so von den ersten HipHop-Schritten direkt zu evilen Hardrock-Gitarrenwänden.
Der Ursprung des Interesses und der Begeisterung für dieses Lied bestand in einer dieser klassischen, rollbaren Strandmatten (aus Bast, mit dem grünen Stoffrand), auf der ein Mädchen mit schwarzem Stift "Take me down to the Paradise City / where the grass is green and the girls are pretty" geschrieben hatte. So einfach ist es manchmal, dass man seinen kompletten Musikgeschmack anpasst oder dreht. Und wem das noch nicht absurd genug ist, setze ich gerne noch ein Sahnehäubchen oben drauf: Zusammen mit "Pride (in the Name of Love)" von U2 sorgte das oben zitierte "Paradise City" von Guns N'Roses dafür, dass ich innerhalb kürzester Zeit so richtig in die Heavy Metal-Welt eintauchte und - um es mal positiv zu sehen - über den Umweg Grunge in der Abteilung Independent zu landen, was aber eine andere und spätere Geschichte ist.
Aber, aber...das ist doch gar kein Heavy Metal? Ja, schon klar. Aber das ist die Einstiegsdroge (wie wenn man zuerst Haschgift spritzt und dann auf einmal Heroin schnupft, kennt man ja). Und wenn das härteste vorher der Tsangarides-Mix von Depeche Modes "Never Let Me Down Again" war, dann ist diese Gitarrenpassage aus "Pride" schon ein ziemlicher Hammer. Oder eben das Anfangsgedängel von "Paradise City".
Ich war gerade 18 geworden, stand kurz vor dem Abitur und besorgte mir die ersten beiden Gn'R-Alben (wenn man Lies mal als Album sehen will) und trotz solcher offensichtlicher Missgriffe, wie dem Text von "One In A Million", war das schon ein Ding. In meinem 127er Fiat, der kurz nach dem gemachten Führerschein bis zur finalen Transaktion (1 Kasten Bier) mein ständiger Begleiter sein sollte (also für 2 Jahre, logisch, TÜV halt), lag im Seitenfach vorne links immer eine Trillerpfeife, die ich in dem Moment, wenn im Song die, nun ja, "Trillerpfeifenstelle" kam, herausholte und kräftig hinein blies, was im Regelfall im Fond des Wagens für ausgelassene Begeisterung sorgte (Ich war schon damals der Showman, als den ihr mich alle zu kennen glaubt).
Der Song beginnt gleich nach dem beschriebenen Gedängel mit dem Mitsprech/sing/gröhl-Part, dessen Text eben auf der im doppelten Sinn beschriebenen Strandmatte stand, "Take me down to the Paradise City / where the grass is green and the girls are pretty" und wer alleine bei diesen Zeilen noch nie die Faust bzw. Gaaßmooß in die Luft gereckt und laut mit skandiert hat, der werfe den ersten Stein. Dann kommt entweder ein Keyboard oder eine sehr speziell gespielte Gitarre und dann eben die Trillerpfeifen- (oder wieder extrem verzerrte Gitarren-) Szene und gerade wenn der Jubel in meinem Auto, hinter meinem Fahrersitz und vor den zwei gigantischen Wohnzimmerboxen, die den kompletten Kofferraum dahinter ausfüllten, abklingt ist man auch schon mitten drin in dem wüstesten Gerocke, das sich ein unbedarfter Musikhörer vorstellen kann.
Später gibt es natürlich noch ein paar Soli, die mich aber nie sonderlich interessierten, weswegen ich kurz darauf lieber zu Kreator oder Slayer griff als zu Iron Maiden oder Queensryche (Obwohl die Number Of The Beast und Operation Mindcrime sehr oft liefen und ich auch heute gerne noch in beide hinein höre). Dann schon lieber wieder die wilde Fahrt am Ende, wenn nach dem "Hooooooome"-Break zwischendrin dann noch mal das große Chaos losbricht und Axl nur noch jammert und wimmert, was er in seinem künstlerischen Leben auf und abseits der Bühne eben am besten konnte. Wenn notwendig, gab das Video dazu noch einen zusätzlichen Kick in den Hintern, weil man bei dieser Sequenz die wogende Menschenmasse im Publikum sah, die dazu komplett commando ging. Bald fand ich mich auch in solchen Menschenknäulen wieder, jedoch nie bei Guns N'Roses.
Noch Jahre später - manchmal noch heute - beiße ich mir in den Hintern, nicht auf der 1992er Tour bei dem legendären Konzert in Würzburg dabei gewesen zu sein. Wirklich JEDEr aus Bayreuth scheint dort gewesen zu sein und auch fast alle Indie-Boys und Girls, die ich später kennen lernen durfte (ein Teil war auch in Stuttgart). Wenn ich nur 5 Cent bekäme, für jeden Schuh der im Schlamm feststeckte, jede Heimfahrt in der Unterwäsche und was weiß ich, dann wäre ich sicher auch kein Millionär. Aber fast. Mich grämt aber nicht die verpasste Chance, auf W. Axl Rose warten zu dürfen, sondern das relativ spektakuläre Vorprogramm mit Faith No More (zu Angel Dust-Zeiten) und Soundgarden (zu Badmotorfinger-Zeiten). Aber wozu verlorenen Punkten nachtrauern?
Ich habe nur ein einziges Mal im Second Hand Laden CDs verkauft, noch dazu für einen lächerlichen Betrag, den ich sofort wieder in andere gebrauchte CDs umsetzte. Neben einem Bathory- und einem Morbid-Angel-Album (die große "Altars of Madness"), bei denen ich jeweils dachte, der Phase entwachsen zu sein, waren auch die beiden "Use Your Illusion"-Alben dabei. Nicht ganz unschuldig daran war die Nirvana-Episode, die vielleicht nie oder vielleicht genau so passierte: Ein Fan sprang beim Konzert auf die Bühne. Er trug ein Guns N'Roses-Shirt. Kurt Cobain brach den Song ab und sagte, der Besucher könne nicht gleichzeitig Fan von Nirvana und Guns N'Roses sein. Darauf hin zog der Fan das T-Shirt aus, warf es weg und sprang unter dem Jubel der Fans wieder in die Menge.
Ich hatte mir beide Alben am Erscheinungstag gekauft.
Facebook-Trottel posten sieben für sie wichtige Songs an sieben Tagen. Ich bin einer davon, dehne die Aktion aber vielleicht auch in die Unendlichkeit aus.
Zum ersten Mal so etwas wie Distinktionsgewinn durch Musikhören erfuhr ich etwa 1983/84, als eine komplette Musikrichtung auf mich herein brach, die sich mir weder durch Bravo noch durch die Top Ten/Hitparade im Bayrischen Rundfunk am Freiagabend vorgestellt hatte. Weder HipHop noch Rap waren damals Begriffe, die der Allgemeinheit geläufig waren, weswegen man diese auch nicht wissend droppen konnte, sondern geheimbündlerisch herumdruckste, nicht zuletzt um auch sein eigenes Unwissen zu verbergen.
Leider habe ich gerade nicht Zugriff auf die Original-Platte von damals, deren Cover ich irgendwann mit Tesafilm Stück für Stück umwickelte, um so dem Verfall durch das ständige Verleihen an alle Mitschüler meiner Jahrgangsstufe entgegen zu wirken, aber ich werde beizeiten ein Fotos posten. Das Video natürlich super campy, was die Anzahl an Worte, die damals wirklich niemand verwendete, die in diesem Text aber vorkommen, schon auf eine zweistellige Zahl hinauf schraubt.
Wichtig: Damals wie auch oft noch heute, kam die Empfehlung, sich den illen Shit mal reinzupfeifen, von Bekannten. Daran hat sich trotz Spotify und YouTube und allem anderen Quatsch nix geändert: Die besten Tipps kommen immer noch von Freunden.
Der Song wurde dann übrigens stilecht auf einem Ghettoblaster gehört, der ca. 12 Batterien (diese ganz fetten) brauchte, um dann einen ganzen Abend zu halten. Das geschah wirklich, nicht nur in eurer nostalgischen Erinnerung, die nach genauerem Überlegen dann doch nur aus "Generation Golf" stammt. So konnte man dann stolz wie Oskar über den Campingplatz laufen und sich cool fühlen und in Wirklichkeit allen Leuten big time auf den Geist gehen, wie es die Chabos auch heute noch machen. Alles wie gehabt, also.
Wie erschließt sich im Nachhinein die Faszination für HipHop zu dieser Zeit, wo man schon mit elementarstem Englisch so eine Schwierigkeiten hatte? Noch dazu, wo es kabelfensehlos eine heraklesartige Arbeit war, überhaupt an authentische Übermittlung von US-Kultur zu gelangen? Wenn ich nur an das "Aha!"-Erlebnis beim Schauen von Rocky III denke, als sich offenbarte, dass sich hinter der mythischen Figur "Halkuchen", von der jahrelang die Rede war, ein Wrestler namens "Hulk Hogan" versteckte...nun ja, da fährt mir schon ein leichter Schauer der Peinlichkeit über den Buckel.
Aber um auf die Eingangsfrage vor diesem Exkurs zurück zu kommen: Es war wohl der Beat. Der relativ minimalistische Sound, diese Synthie-Sprengsel, die dem Gehörten in erster Linie die Kraft gaben. Und natürlich auch die Rhythmik, die auch ohne Verständnis erkennbar war und mich mitnahm: Don't. Push. Me. Cause. I'm. Close. To. The. Eeeeeeeeeeeedge.
Das war auch ohne Kenntnis des Sinns irgendwie klar.
Große Verwirrung stiftete in den folgenden Jahren die Vielzahl von Großmeistern, die da jenseits des Schachspiel-Betriebs existierten. Grandmaster Flash, Grandmaster MelleMel? Sind das Feinde? Aber wieso arbeiten die dann beide mit den Furious Five zusammen? Tja, löst das mal ohne Internet. Gerne wird die Zeit ohne www ja verklärt, aber leckt mich bitte am Arsch, es war eine Qual.
Irgendwann dann die Erleuchtung. Flash war der DJ, der hat überhaupt nicht gesungen bzw. gerappt. MelleMel war dann der Rapper.
Im Video selbst war dann wohl doch Flash der Typ in der Fantasie-Uniform, bei der man doch etwas peinlich berührt denkt: Und wo sind der Cowboy, der Indianer und der Seemann?
Quatsch, das ist einfach mit sehr beschränkten Mitteln gefilmt und wird Song-Inhalt und der Zeit eigentlich mehr als gerecht. Schaut lieber mal eure eigenen Fotos aus der Zeit an. Aha, auf einmal ist Ruhe im Karton.
Ich hab mir dann so nach und nach die ganzen Alben gekauft, liegt alles auf Vinyl irgendwo im Dachboden und wird aber auch heute noch gerne mal als MP3 hervor geholt. Nicht unbedingt "White Lines", das trotz der Thematik irgendwie so ein fröhlich-joviales Kirmes-Element hat, aber "The Message" doch immer wieder gerne mal, Da ich auf mysteriöse Sounds von unten rechts stehe, liegt auch gerne mal "Girls love the way he spins" auf dem MP3-Teller, wie das sehr aufgekratzte "Scorpio". Über das Frank-Sinatra-Cover "New York New York" brauchen wir natürlich gar nicht erst reden, das wäre auch ein verdienter Kandidat für "Episode I" gewesen.
Dass der Grandmaster in späteren Jahren tatsächlich auch in Bayreuth "gespielt" hat, ist natürlich eine der bizarreren und auch komischeren Geschichten der Pophistorie. Ich verzichtete damals auf einen Besuch im A9, vielleicht um irgendwelche Illusionen zu erhalten, vielleicht auch nur, weil ich da gerade "anders drauf" war.