06.06.2016 | 0 Kommentare | motorhorst
Über Ministry bin ich irgendwann in den 90ern gestolpert und zwar zu Zeiten des Albums mit den Hieroglyphen drauf, welche mir ein griechischer Freund schließlich als das griechische Wort für Köpfe identifizierte. Latinisiert schreibt man das Kephali und die Einzahl Kephalos ist gleichzeitig der Name einer Figur aus der griechischen Mythologie.
Ich weiß nicht mehr genau, ob mir jemand zuerst das Album auf CD aufdrängte. Zu der Zeit kamen ja ständig von irgendwoher Leute mit neuen CDs, die man sich dann flugs auf ein Tape kopierte und im Gegenzug ebenso eine der unglaublich teuren und entsprechend kostbar-seltenen CDs weitergab und hoffentlich irgendwann wieder bekam. Oder ich sah zuerst eines der Videos auf MTV, vermutlich bei Alternative Nation oder noch bei 120 Minutes, unter Umständen auch beim Headbanger's Ball. Sollte der Weg des Videos der meines Kennenlernens gewesen sein, wird das entweder "N.W.O." oder sehr viel wahrscheinlicher "Jesus Built My Hotrod" gewesen sein.
Zu letzterem Stück habe ich auch eine konkrete Erinnerung, die mir abwechselnd eine Gänsehaut der Nostalgie auf den Halsrücken zaubert und mich wohlig amüsiert lachen lässt. Wer das Stück nicht kennt, sollte es sich anhören und dabei vorstellen, wie ein einzelner Headbanger auf der Tanzfläche des Raskalnikov in Bayreuth steht (außer ihm sind noch ca. 20 Personen anwesend, so viele waren wir immer am Indie-Montag) und das komplette Lied durch "im Takt", also in einer wahnsinnigen Frequenz, seine Lockenbracht von links nach rechts und oben und unten dazu durch die Gegend schleudert. Und dann die Stelle, wenn Al sagt "I wanna love you" und man denkt "kurze Verschnaufpause", dann geht es nach 1 Sekunde sofort wieder Vollstoff weiter. Ich habe mit dem Typen gelitten und ich habe ihn bewundert und bin heute froh, dass ich das damals nicht feiern musste, weil wir so etwas nicht gemacht haben. Das Wort Feiern existierte da zwar schon, bedeutete aber etwas völlig anderes als heute.
Ministry lag fortan in dem gedanklichen Ordner "Industrial", den meisten Leuten war es viel zu arg und man musste nach 1-2 Liedern die CD wieder wechseln, um sie nicht in den Wahnsinn zu treiben. Irgendwoher hatte ich ein nicht gut sitzendes T-Shirt mit dem Cover der oben erwähnten Scheibe ergattert und als ich beim Bizarre 1996 damit über den Butzweiler Hof schritt und mir ein Wildfremder aus 50 Metern "Wooooooouuuahaaaaa!!! MINISTRY!!!" zurief, war mir der Respekt des Griechen, der an meiner Seite stolzierte, sicher.
Zudem zelebrierte Mastermind Al Jourgensen, der - ähnlich wie sein Zeitgenosse Trent Reznor für Nine Inch Nails - quasi synnonym mit "der Band" war, seinen selbstzerstörerischen Lebensstil in Form von Drogenkonsum und der Feier desselben, etwa in Form des an Pink Floyd angelegten Albumtitels "Dark Side Of The Spoon".
Diese lange Vorgeschichte macht den Song, den ich gewählt habe, umso unwahrscheinlicher. Ich habe das Stück vor ca. 2 Jahren entdeckt und glaubte eigentlich durch eine Liste nach dem Schema "Die besten/unbekanntesten/unwirklichsten New Wave Stücke aller Zeiten" darauf aufmerksam geworden zu sein. Allerdings finde ich keine solche Aufstellung in meiner Datenbank und muss wohl den tatsächlichen Ursprung vorerst noch schuldig bleiben.
Der Song "Revenge" stammt vom ersten Album von Ministry namens "With Sympathy" aus dem Jahre 1983 und hat mit dem späteren Werk Ministrys so überhaupt nichts zu tun. Der Song und das Album sind feinster New Wave mit einem schönen New Romantics Einschlag. Satte Synthie-Flächen, Disco-Marsch-Beat und eine schmachtende Stimme mit falschem englischen Akzent, die man kaum dem cowboyhut tragenden Sänger zuordnen würde, den ich in den 90ern schätzen lernte.
Die Legende will es, dass Al mehr oder weniger von der Plattenfirma gezwungen wurde, dieses Album aufzunehmen, insbesondere im Stil des damals angesagten Synthie-Pop. Angeblich wurde die Band gesignt, als sie noch New-Wave- und/oder Synthie-lastige Musik spielte und folglich wurde ein Langspieler in diesem Stil erwartet. Anderen Gerüchten zufolge soll Jourgensen die Master-Bänder zerstört haben, während dann aber 2012 wieder ein Re-Issue stattfand. Mythen und Legenden - immer gut im Pop.
MINISTRY - REVENGE
Aus dem Album: With Sympathy (1983)
Style: New Wave, Synthie-Pop, New Romantics
Bei mir zu finden auf den Tapes:
Arbeitsmix 2014 - April bis Juni (Das Tape wird sicher mittelfristig nen knackigeren Titel bekommen)
New Wave 2015/2 (siehe oben)
Beide Tapes sind trotz ihrer zeitlich eingeordneten Titel noch als work in progress zu sehen, während ich das schreibe, weisen beide doch noch viel zu wenige Tracks auf, um als Tape durchzugehen.
Lege-Situationen für den Song:
Ach komm, Motor, die Beatles? So ein Quatsch für alte Männer? Wer so etwas sagt, der hat noch nix gesehen, bisher. B-B-B-B-Baaaaaby!
Neues aus dem Elfenland. Wer Radiohead schon hasste, dem bluteten bei Sigur Rós erst recht die Ohren. Kein Wunder, dass ich es einst liebte und immer noch tue.
Ein Schritt vor, zwei zurück. Der musikalische Lebensweg folgt oft nicht der Chronologie von Releases und Trends, deswegen führt uns in den 2000ern Entdecktes zurück in die 80er. Und zum Beton.
Wie kann man sich an neue Musik ranhören, gerade wenn nicht vom monatelang erwarteten Album der absoluten Lieblingsband die Rede ist? Der Versuch einiger Ansätze.
Auf Basis neuen Wissens wird Bekanntes neu gehört