Bayreuth. Nicht im Bild: Der Führer.
Es ist ein gerne gesehener und immer wiederkehrender Trendsport: Zeitungssimulationen wie die Welt schicken den Praktikanten oder Fertigstudierten nach Bayreuth oder in die umliegenden Ländereien, damit diese schreiben, wie schlimm es hier ist. Denn eins ist klar: Auch wenn es deutschlandweit niemanden juckt, wie
trostlos die fränkische Schweiz ist oder der
Autobahnrasthof Himmelkron, der schon 20 Minuten Fernbusstop wie einen Aufenthalt im Fegefeuer wirken lässt oder wenn man in reißerischen Überschriften von der
Provinzdisko Trockau, die krasser als das Berghain ist, fabuliert und Bayreuth selbst zur
urdeutschen Hölle erklärt wird. Und dieses eine ist das: Man wird Reaktionen aus der Provinz bekommen. Postwendend.
Natürlich erstmal von den Hipstern und Trendsettern, die dieses komische Internet benutzen und allen immer um einige Nasenlängen voraus sind. Dann aber auch von der Lokalpresse (also so eine knappe Woche später). Und dann natürlich auch von den Bierdimpfeln, die die Lokalpresse lesen. Das Wagnerpublikum, die Gralsritter vom Grünen Hügel greifen eher selten ein, da muss schon der wunderbare Wiglaf Droste zur
Bombardierung Bayreuths statt Beiruts aufrufen, um diese aus ihrem Elfenbeinturm zu locken.
Die Zeit hat seit Jahren eine Reihe "Künstler steigen auf den Hügel herab" laufen, während der z.B. schon
Patti Smith,
Michel Houellebecq oder auch Jonathan Meese (vor seiner Demission als Parsifal-Inszenator) die Wagnerstadt bereisten und ihre Erfahrungen schilderten. Und in diesem Jahr ist die kürzlich mit dem Zuschauerpreis des Bachmann-Wettlesens ausgestatte Stefanie Sprengnagel aka Sargnagel (mit ihrem Begleiter Michael Witzmann) zugegen gewesen. Wer sie nicht kennt: Einfach mal bei
Twitter oder
Facebook folgen, dort wird man schnell gewahr, wie sie den Feminismus in einer Art hoch hält, dass so manche Steuersünderin im Vergleich erblassen könnte, ganz egal seit wie vielen Jahrhunderten sie ihr Kampfblatt herausbringt (also, nicht die Bild-Kolumne, ne?).
Es kann aber auch sein, dass man Sargnagel nicht bei Facebook findet, weil sie regelmäßig durch Bemühungen eines Mobs aus Nazis, Identiären, Burschenschaftlern und anderen zwielichtigen Gestalten, vor allem aber nicht nur aus ihrem Heimatland Österreich dort gesperrt und für entsprechende Intervalle mundtot gemacht wird. Selten traf der alte Punkspruch "Viel Feind, viel Ehr'" so zu wie hier.
Wo wir dann gleich wunderbar den Bogen zu den Kommentarbereichen auf z.B. Facebook unterhalb von Kurier-Artikeln schlagen können, weil auch dort sich gerne alles rechtsnationales Gesindel zusammen rottet, um ihre kruden Theorien und Hetze zu verbreiten, egal ob es in dem Artikel um den unmenschlichen Umgang mit Flüchtlingen oder zum Beispiel Osterbrunnen geht. Denn wie bei der
Six Degrees of Separation-Theorie, ist es analog auch möglich innerhalb von sechs Kommentaren (oder Sekunden) aus einem unverfänglichen Artikel zu einer rechtsextremen oder anderweitig undemokratischen oder verschwörungstheoretischen Diskussion zu gelangen. Vielleicht hat man sich auch deshalb beim NK zu einer schnellen Antwort (also innerhalb von sechs Tagen) entschlossen, um so die ganzen Verwirrten mit kommentargetriebenen Heimatschutz zu beschäftigen, bevor sie sich wieder auf die nächste Sau setzen können, die durchs Dorf getrieben wird. Der Artikel wurde leider noch nicht auf Facebook geteilt, deswegen kann ich nicht sagen, ob der Trick geklappt hat.
Den herrlichen Zeit-Artikel "Überall spritzt Fett" (im Moment leider noch nicht online, aber sicher bald, wenn die mediale Kuh zum Rotieren beginnt) kontert die Heimatzeitung mit einer leicht beleidigten Analyse "
Stefanie Sargnagel: Bayreuther Monotonie", in der haarklein (wie in vergangen Jahren und bezüglich ähnlicher Artikel auch) einzelne Details und Halbsätze heraus gepickt und dann mal mehr, mal weniger erfolgreich widerlegt werden. Zum Beispiel, dass Sargnagel in den falschen Restaurants und Lokalitäten war (dem türkischen Lokal Deniz z.B. oder der bizarren Pilsbar Gabys Treff) und deshalb die völlig falschen Schlüsse gezogen hat. Nicht so, wie der Kurier-Redakteur, der bei außerstädtischen Aufenthalten alle Kneipen und Bistros besucht (also wirklich: ALLE, wegen des objektiven Eindrucks) oder wenn das mal nicht klappt, DIE_RICHTIGEN. Das wären hier laut Vorschlag z.B. Rosa Rosa, Eule oder Heimathafen gewesen. Und klar, über alle drei sind wir heilfroh hier. Aber was bietet denn das Rosa, was nicht die Studentenkneipe in *hier irgendeinen Ort in Deutschland über 30.000 Einwohner einsetzen* auch bietet? Was nicht das Rosa dissen soll (wie könnte ich nur?), sondern nur selektive Wahrnehmungen. Bizarre Erlebnisse und skurrile Persönlichkeiten an denen man sich abarbeiten kann, trifft man auch und gerade in der Eule. Neben dem brillanten Essen dort, könnte man sich auch auf diese Absonderlichkeiten stürzen und die Absurdität Bayreuths daran festmachen, gerade in der Festspielzeit, dazu braucht es sicher keine Pilsbar. Und am Heimathafen hat sich ja schon Dennis Sand vor 2 Jahren in der Welt abgearbeitet und dabei seine eigene Provinzialität und sein Nixblickertum dermaßen freigelegt, dass es da auch keiner Antwort bedurft hätte.
OK, was suchen wir uns dann raus? Vielleicht das Bier für 6 Euro, was angeblich mehrfach (in der Realität also genau 1 Mal) erwähnt wird? Au ja und schreiben wir in Klammer noch dazu, dass es nicht mal ein fränkisches ist! Moment, ich muss das Zitat hier einfügen, sonst heißt es wieder, ich denke mir das alles aus:
Aber stattdessen gibt's in der "Zeit" nur Bratwurst-Journalismus vom Grünen Hügel (viel Fett für altes Fleisch), wo das Bier (kein fränkisches!) ja "um die sechs Euro" kostet, was mehrfach erwähnt wird.
Was aber im Originaltext überhaupt keine Rolle spielt. Also weder der Preis (weil man in Wien sicher auch 6 Euro zahlen kann, wenn man will) und das "nicht aus Franken" außerhalb von "hier" keine alte Sau interessiert. Genauso wie "Wir sind hier nicht in Bayern. Wir sind Franken!". Oder außerhalb von München bzw. generell in Gegenden, wo man schon aufrecht geht, dass "die Weißwurscht das Zwölfe-Läuten nicht hören darf". Dieser Provinznationalismus interessiert einfach nicht. Und das nimmermüde Thema "teures Bier" holt man eigentlich eh erst bei der Wiesn wieder aus der Ablage rund, wenn eine Maß 12 Euro kostet und nicht eine Mark und neunzig Pfennich wie in Breitenlesau. Aber dann ist man halt leider in Breitenlesau!
OK. Lief auch scheiße. Eine Chance noch? OK, regen wir uns doch darüber auf, dass Bayreuth gar nicht tot is... nein, stopp! Es ist einfach so. Wir regen uns doch auch auf, wenn wir in irgendein kleineres Kaff einlaufen und dort nur Alte oder niemanden in der Fußgängerzone antreffen. Dazu muss man nicht der Glücksritter sein, der mit 25 das Leben durchgespielt hat, in dem er die Endmission "nach Berlin gezogen" erfolgreich absolviert hat. Und wenn wir nicht gerade zwei Jahre oder ein halbes Leben, sondern wie ein normaler Mensch eben nur ein paar Tage Zeit in einer anderen Stadt haben, dann schauen wir uns eben auch nur Frauenkirche, Brandenburger Tor, Freiheitsstatue und Spanische Hofreitschule an. Da kann uns irgendein Spinner noch so viel von den schönen Grünflächen an den Rändern von Berlin erzählen oder dem kleinen Geheimtipp-Italiener, der aber leider 45 Minuten Anreise mit der Bahn bedarf, die Zeit haben wir aber leider anders verplant, wir müssen nämlich ins Bratwursthäusle beim Christkindlsmarkt.
Wir, die wir die Zeitung abonniert haben oder zwangsläufig auf Facebook lesen, wir wissen das doch, wir wohnen ja hier, sonst würden wir das ja auch nicht lesen. Und klar ist es lebenswert hier. Und billig. Und tot. Aber es wird schon einen Grund geben, warum wir es hier so lange ausgehalten haben oder wieder zurückgekehrt sind. Das dränge ich aber sicher keinem Zugrasten in drei Tagen auf, bis es ihm zu den Ohren raus kommt. Und manch Student kapiert es in den 3 Jahren hier nicht, weil er zu viel vom Praktikum in Nizza und der Vietnam-Rundreise im Sommer erzählen muss, wenn er an der Netto-Kasse laut rumkrakeelt, während der Penner vor ihm die 2,50 Euro für die drei Bier zusammen kratzt. Aber der muss das auch nicht ums Verrecken kapieren, wenn er die Zeit lieber in seinem Fantasiebiotop Uni Campus verplempert. Er kann ja dann auch immer noch bei seinem dritten Praktikum bei einer großen Zeitung drüber schreiben, wie schrecklich hier alles war.
TL/DR: Nicht der Kurier soll hier gedisst werden, sondern dieser Beißreflex, wenn die vermeintliche Heimat (weiniweini) beleidigt wird. Einfach mal auf sich selber schauen, wie man sich in anderen Städten oder gar Ländern so äußert. Und Ergötzen an solchen feinen Beobachtungen wie derer Sargnagels oder dem überzogenen Überschwang Wiglaf Drostes (dessen Beitrag ja auch noch auf der "Wahrheit" der taz erschien). Tut gut. Tut sogar sehr gut. Tut tut.