neue Blessuren heißt das Debütalbum der Newcomer 2016 schubsen. Im Trialog wagen wir den siebten Hördurchgang und reden Tacheles. Letzteres wäre auch ein guter Songtitel für Album#2.
Der Ort: Eine Shisha-Bar im fränkischen Nirgendwo. Die Zeit: Gegenwart. Drei heruntergekommene Gestalten haben sich um einen viel zu kleinen, runden, mit Bast bespannten Tisch gruppiert. (A)tze und (O)tze saugen abwechselnd an einer gigantischen Wasserpfeife, die kippelnd auf der Tischparodie steht. (H)otte legt eine frisch gepresste Vinylscheibe auf den mitgebrachten, tragbaren Plattenspieler. Was sie nicht wissen, ist, dass die drei gleich eine Reise unternehmen. Keine gewöhnliche Reise, denn diese hier führt direkt in die Twilight Zone.
Atze: Alter, war das da drüben Rod Serling?
Otze: Du Idiot, wem willst Du denn weis machen, dass Du oder irgendein anderer junger Mensch den heute noch kennt.
Hotte: Boys, ihr seid hier um eine Platte zu besprechen und nicht, um mit Hilfe eines mehr als gewöhnlichen Taschenspielertricks meine inneren Monologe zu externalisieren.
Hotte legt Track Nummer 1 "Schachmatt" auf.
A (nach 2 Takten): ROBO-SOUND!
O: Gib mir bitte 2 Gin-Tonic in jede Hand, ich muss sofort auf die Tanzfläche.
A: Shamblions League 2004/2005.
A+O im Chor: Nur einmal, nur einmal noch, wie zwoootausendviiiiiiier.
H: Genau das Gleiche hab ich auch gesagt, als ich die Band letztes Jahr Weihnachten vor den Robos....
A: ROBO-SOUND!
H: ...ja und da waren sie tatsächlich bei den Robos (ernster Blick zu Atze) Vorband, im Z-Bau. Und was soll ich euch sagen? Die haben die Hauptband von der Bühne geblasen! Diese Energie!
O: Ui, das ist jetzt aber eine harte Bremsung. Was sagt er? Schachmatt?
A: Ja, suprise, was? Wo doch der Song so heißt?
O: Was macht der Sand bitte? Er dreibd? Was ist denn das für ein Dialekt? Fränkisch?
H: Nee, das ist ein leichter Hauch von Sächsisch.
O: Oh, die beiden Premium-Dialekte im Südosten der Republik.
H: Arschloch. Super-Auftakt jedenfalls, das könnt ihr ja wohl kaum leugnen.
A+O (kleinlaut): Ja...
Eintagsfliegen
A: Geht leider auch schon wieder super los. Die Gitarre kündet von Unheil.
O: Durchaus, Durchlaucht. Und der Text passt auch genau dazu sehr noirig.
A: Schade, dass es nicht noisiger ist, sonst könnten wir hier das Genre Noise Noir prägen.
H: Zu Euren Fachsimpeleien fällt mir überhaupt nix mehr ein. Aber der Zusammenbruch bei den "perfekt geschminkten Leichen" kriegt mich jedesmal wieder aufs Neue.
Flucht
O: Kenn ich!
A: Hast Du mit dem Stück nicht schon letztes Jahr jeden bombardiert?
H: Ja, das ist Flucht. Instant hit. Instant classic. Gab es letztes Jahr schon als Demo mit einem extrem gelungenen Video.
A: Ah ja, das ist das, das wie "Der Sandmann jagt Dr. Mabuse" aussieht.
H: Genau, sehr klischeehaft auf den Punkt gebracht. Weil es halt schwarz-weiß ist und wie eine Kindersendung wirkt, aber von jemandem konzeptioniert, der keine Kinder mag.
O: Flasht mich schon extrem der Song.
A: Im Internet steht, die waren sogar schon Vorband von Turbostaat?
H: Ja, da hat sie ne Bekannte zum ersten Mal gesehen und nach 2 Minuten ne SMS geschickt, dass sie sich in die Band verliebt hat.
A: Verständlich bei dem Song.
O: Gerade, wenn einem das Video dazu keine Angst machen kann.
H: Wäre mein Song des Jahres, wenn er das nicht schon 2015 gewesen wäre. So ist es halt "Allan Align".
O: Aber das hast Du doch auch schon letztes Jahr als Demo gekannt.
H: Kniefiesler.
Hälften
A: Viel Text.
O: TL/DR
A: Ah, jetzt nach ner halben Minute steigt dann doch die Band noch ein. Und wie!
H: Ja, textlastig ist das schon. Da merkt man recht gut, wo Sänger und Texter Krupski her kommt. Nämlich vom geschriebenen und gesprochenen Wort.
A: Das erinnert mich tatsächlich ein wenig an Turbostaat.
H: Weil ich es gerade gesagt habe...
A: Nee, ganz im Ernst, Harm Rochel und so. Oder Haubentaucherwelpen.
H: Was genau die zwei einzigen Songs von Turbostaat sind, die Du kennst?
A: Ja, schon...
O: ...dabei gibt es dazwischen noch das Stück mit dem großartigen Titel "Der Frosch hat's versaut".
A: Das hast Du Dir jetzt ausgedacht!
O: Nee.
A: Doch.
O: Nee.
H: Ihr Prinzen, wir reden hier immer noch über schubsen.
A: Du hast Dich vertippt!
H: Nein, das schreibt man wirklich mit kleinem s. Außerdem kannst Du das im Gespräch gar nicht gehört haben!
A: Doch, weil Du den Buchstaben dazu in die Luft gemalt hast.
H: Ach so.
Wider Mauern
O: Ui. Mauern. DDR.
A: Wahnsinn, das geht echt los, wie ein astreiner Robocop Kraus Song. Was jetzt überhaupt nicht schlimm ist. Geht voll gut rein.
H: Ja, aber mal im Ernst. Mit Gesang ist das schon ganz anders und hat nullinger was mit den Robos zu tun.
O: Wo erscheint das denn alles und wann?
H: Am Freitag schon, 2. September. Bei Swing Deluxe Records.
O: Ah, dem Label, das Robos-Sänger Thommy Lang einst gründete.
H (leicht verzweifelt): Ich seh schon, hier kommen wir nicht weiter.
Hirngespinste
A: Schon wieder ganz schön viel Wörter.
H: Fand ich anfänglich auch etwas überfordernd, aber ist auch ne blöde Einstellung, wenn man bei deutschen Texten immer so ne riesengroße Erwartung ansetzt. Unfair, bei nem englischen Song achtest Du erst mal nur auf das Gesamtbild und hörst erst später auf Sinn und Aussage.
O: Also mir gefällt das, dass die Stimme nicht untergeht sondern wie ein gleichberechtigstes Instrument schön Raum kriegt und nach vorne gemischt ist.
A: Ich hab das doch gar nicht negativ gemeint.
H: Doch. Aber warte mal und hör lieber drauf, wie das anschwillt gegen Ende hin.
A: Jo, lange Rampe. Ist es aber wert, die Auffahrt voll hoch zu fahren. Und dann Abfahrt.
O: Dreh mal die CD rum.
Illusionen und Explosionen
O+A: Die Hives!
H: Ey, wenn dieses reflexhafte Bands-Assoziieren nach 2 Tönen nicht augenblicklich aufhört, können wir gleich ausmachen.
O+A: ...
H: Illusionen und Explosionen. Das sind ja gleich zwei zentrale Worte aus dem jüngeren Werk von Tocotronic.
A: Das hast DU jetzt aber gesagt.
H: Ich bezieh mich aber nur auf den Titel, das ist was ganz anderes!
O: Der Bass macht den Rhythmus ziemlich fett fett.
A: "Das ist der Ort, wo ich gern spinn." Find ich super.
Abie
O: Namen mit A brüllen! Super, alte Tradition!
A: Adrian! Adriaaaaaaaan!
O: Und Abel Nema nicht zu vergessen.
H: Apropos. Das ist schon ein weiteres Mosaiksteinchen im neueren deutschen Musikkaleidoskop, oder? Und die ganzen Namen? Meist nur ein Wort? Messer. Trümmer. Der Ringer. Die Nerven. Da passt doch schubsen gut dazu, oder?
A: Wanda!
H+O: Halt die Fresse!
A: Ich ordne die Platte bei mir auf jeden Fall zwischen Nerven und Messer ein.
O: Ja, mit dem Alphabet hattest Du es ja noch nie so.
Vor dem Rand
A: Ich finde das gut, wie die Songs von der Textseite her oft auf ne Reise gehen und die Gitarre nimmt irgendwie einen anderen Weg und dann treffen die sich aber doch irgendwo.
H: Vong Textseitem her?
O (sucht lange Papers).
Schiffe aus Papier
H: War die zweite "Single", also das zweite Video im letzten Jahr und für mich zunächst etwas schwächer als "Flucht". Aber das hat sich seitdem etwas gedreht.
A: Du meinst ein echter Grower?
H: Ich mag diese retrofuturistischen Sounds im Hintergrund. Und der Songtext marschiert auch so zackig durchs All wie Raumpatrouille Orion.
O: Aber...aber, da geht es doch um was ganz anderes?
H: Ja, mein Gott. Das waren doch nur Assoziationen.
A: Das nimmt aber auch ein paar Umwege, oder? Aber das Ende ist total super. Ich wünsche mir die letzte Minute als Maxi-Version.
O: Ich krieg da Bock, mir das live anzuschauen.
H: Ja, definitiv eine Band, die man live sehen muss. MUSS!
Parole Rhythmus
A: Die Lyrics!
O: These lyrics are really heavy lyrics.
H: Ja und das Zitat ist aus dem U2-Film Rattle and Hum. Du glaubst nicht ernsthaft, hier mit dem Bürgermeister Referenzbingo spielen zu können, oder?
O: It's a musical journey.
H: Raus.
A: Ah, habt ihr das gehört? "Neue Blessuren". Das mag ich, wenn der Albumtitel in irgendeinem Song vorkommt. Aber nicht selber als Liedtitel auftaucht. So wie bei früheren Depeche Mode Alben (fängt an "Pipeline" zu singen, stoppt aber kurz vor der Zeile mit "Construction time again").
O: Das ist aber auch noch mal ein echtes Vollgas-Stück am Ende.
H: Und hat es euch gepackt, so insgesamt?
O: Logo.
A: Logomat.
O: Logomat 3000.
H: Wusste ich.
Gitarre (!!) und Bass sind super, Schlagzeug mehr so Proberaumsound, die Stimme ist mir viel zu dünn und nicht ganz auf den Punkt. So zumindest das Gefühl nach den ersten Durchgängen. Live um einiges eindrucksvoller.
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Ich war auf Hot Chip und ihr könnt dabei sein, auch nachträglich. Soundgarden tun es schon wieder und Christian_alternakid als Staatsanwalt und Scharfrichter.
motorhorst am 05.09.2016 um 15:10 Uhr:
In das Album kann man jetzt schön bei bandcamp reinhören oder es dort kaufen. Tolle Sache.The Face am 13.09.2016 um 19:31 Uhr:
Gitarre (!!) und Bass sind super, Schlagzeug mehr so Proberaumsound, die Stimme ist mir viel zu dünn und nicht ganz auf den Punkt. So zumindest das Gefühl nach den ersten Durchgängen. Live um einiges eindrucksvoller.