Der zweite Text-Teil zu den beiden Mixtapes (Teil 1:
Going Out, Teil 2:
Staying In).
Die zehn größten Hoffnungen für das Jahr 2008!
10. MGMT
Flaming Lips! Nee, doch nicht. Aber weit entfernt sind MGMT nicht – und das ist natürlich ein Lob. Albumopener „Time To Pretend” ist bereits jetzt einer der großartigsten Popsongs 2008. Nicht nur dass sie die POPidee von Wayne Coyne Psychedlicaband übernahmen, sie schreiben auch noch wunderbare Texte. Im bereits erwähnten „Time To Pretend” gelingt es den beiden New Yorkern den Mythos des Rockstartums auf eine traurige Art zu entmystifizieren. Singen sie anfangs noch über die Träume des Starseins
„Let’s make some music make some money find some models for wives / I’ll move to Paris, shoot some heroin and fuck with the stars / You, man, the island and the cocaine and the elegant cars” enden sie den Song mit einem lapidaren
“We’ll choke on our vomit and that will be the end / We were fated to pretend”. Tausendmal besser als jeden Tag im Spiegel Online Panorama die Eskapaden von Britney Winehouse nachzulesen.
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* Time To Pretend (auf CD2)
9. Black Kids
Die Musikwelt 2.0 hat für junge Bands ihre Vor- wie Nachteile. Einerseits finden zwar Gruppen wie Black Kids eine Hörerschaft, obwohl sie noch nicht einmal einen Plattenvertrag haben, andererseits ist die anarchische Hypewelt des Netzes auch so unberechenbar und eben nicht durch die Industrie orchestriert, dass manchmal der Hype für eine Band zu früh kommt. Dieses Phänomen könnte die Black Kids erwischen. Ihr sehr gutes erstes Demo „Wizard Of Ahhh“ machte die Runden im Netz und bescherte ihnen überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit, doch auch der Backlash hat bereits begonnen. Wir lehnen uns dennoch zurück und genießen ihren besten, brillant betitelten Song „I’m Not Gonna Teach Your Boyfriend How To Dance“, harren der Dinge, die die Welt mit den Black Kids vorhat und sind vor allem gespannt, wie sich die angenehm schlammige Produktion dieses vom 80er Jahre Pop beeinflussten Tanzflächenknaller auf eine richtigen Platte transportieren lassen wird.
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* I’m Not Gonna Teach Your Boyfriend How To Dance (auf CD1)
8. George Pringle
Um es gleich klar zu stellen: nein, George Pringle ist weder ein Mann noch Erbe des Pringle Chips Universums und jeder „heute schon gepoppt“ Witz wird im Folgenden unterlassen. Die 23jährige Schönheit aus Oxford, England, ist in dieser Liste trotzdem eine Besonderheit, trifft auf sie doch der Begriff Singer/Songwriter nur bei einem sehr offenen Verständnis zu. Weder singt George Pringle noch schreibt sie Songs im klassischen Sinn – es sind mehr Gedichte, die sie über meist sparsam akzentuierte elektronische Beats oder Geräusche spricht, was auf dem Blatt gelesen nur eingeschränkt attraktiv klingen mag, auf Platte aber beeindruckt. Als Beispiel sei das wunderbar betitelte „Fellini for Prime Minister“ genannt, in dem sie einen Post-OD-Albtraum im Chelsea Hotel rezitiert, in dem Edie Sedgwick, Bill Hicks, nach Gin schmeckende Duschen und Patti Smith Gastrollen einnehmen. Überhaupt letztere: Patti Smith Texte über amateurhafte LCD Soundsystem Beats? Nichts für die Charts, wohl aber für den Kopf!
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* Fellini For Prime Minister (auf CD2)
* LCD I love you, but you’re bringing me…
7. Scott Matthew
Als vor zwei Jahren “Shortbus” ins Kino kam, war die Aufregung groß. Ein amerikanischer Film, der so unverhüllt wilden Sex, Homosexualität und Penisparaden auffuhr, ist schon lange nicht mehr diesseits von Larry Clark in den Festspielhäusern gelaufen. Dass der Film ein stolz pochendes Herz hatte und unter all der oberflächlichen Aufregung vor allem über Gefühlwirren erzählte, wurde gerade auch durch Scott Matthews Auftritte und seine Songs transportiert. Inmitten dieser wilden Orgien saß dieser bärtige, seltsame Mann mit seiner Gitarre und spielte kleine, fragile Folksongs. Einfach und doch dramatisch. Seine hohe Stimme erinnert an Antony & The Johnsons, vermeidet aber das Überzeichnen von Antony, was Matthews Songs noch berührender macht. In einem Jahr sollte man nicht mehr von Shortbus erzählen müssen, um Scott Matthew vorzustellen.
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* In The End (auf CD2)
* Language
6. No Age
No Age. Los Angeles. Gut, wer wäre je auf die Idee gekommen, dass es möglich ist, Ambient Lofi Punk zu machen?
Das mag in sich absurd klingen, aber dem Noise-Duo No Age, der bemerkenswertesten Band aus der momentan sehr lebendigen Artpunk-Szene um den The Smell Club in Los Angeles gelingt es mit spielerischer Leichtigkeit.
No Age’ Songs bestehen zumeist aus Geräuschen und unmelodischem Geschrammel, das sich im Laufe von ein, zwei Minuten in Richtung Melodie entwickelt bis urplötzlich die Punkgitarren am Start sind und Texte der Marke „Everybody’s Down!“ oder „Well, I hate you / I hate you / My life’s alright without you” darüber gebrüllt werden. Kurz: überraschend, faszinierend, unwiderstehlich.
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* Everybody’s Down (auf CD1)
5. Santogold
Du findest M.I.A. schon irgendwie geil, aber auch zu grell, zu laut, zu nervig? Dann breite schön die Arme aus und umarme Santogold, die massenverträglichere Variante von M.I.A., was keineswegs ein Diss sein soll. Santogold hat eine handvoll brillanter Songs, die richtigen Freunde, ist ein Hingucker und hat Style, so dass es mehr als verwundern sollte, wenn 2008 nicht ihr Jahr werden würde.
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* L.E.S. Artistes (auf CD1)
4. Let’s Wrestle
Es wurde von mir schon häufiger bekrittelt dass die letzten 18 Monate ein ziemliches Trauerspiel in der britischen Gitarrenszene darstellten. Eine der wenigen Ausnahmen waren The Cribs, die im Gegensatz zu vieler ihrer Kollegen von Album zu Album besser wurden, und Art Brut, deren größtes Pfund immer noch Eddie Argos Texte und dessen Über-Indie-Sozialisation (von Billy Childish zu Jonathan Richman) ist.
Argos und die Cribs’schen Jarman-Geschwister eint dabei, dass sie sich nicht wie in England sonst üblich inzestuös nur der inseleigenen Vorbilder bedienen, sondern mehr als ein Auge auf den US-amerikanischen Indierock werfen. Let’s Wrestle bedienen sich aus der gleichen Quelle, nicht umsonst heißt der schönste Song „I Wish I Was In Husker Dü“ und ist ihr Sound am besten mit „Eddie Argos zu Cribs-Gitarren“ zu beschreiben.
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* I Wish I Was In Husker Dü (auf CD1)
3. Joe Lean & The Jing Jang Jong
Ja, die britischen Bandnamen, sie werden immer bizarrer. Kein Grund aber, sich nicht in diese wundervolle 50er Jahre Indiepop-Variante der Strokes zu verlieben!
Joe Lean mag das schlimmste Großmaul seit Johnny Borrell sein und wir sind uns noch nicht ganz sicher, ob die Jing Jang Jongs in zukünftigen Veröffentlichungen nicht doch einen Razorlight bauen, denn Joe Leans unbändiger Wille, ein Star zu werden, hat schon manche Band zu weit an die Radiotauglichkeit gebracht, aber für hier, jetzt und heute hören wir einfach „Lucio Starts Fires“ und lassen uns dadurch trösten, dass das Original Julian Casablancas ganz offensichtlich die Arbeitsethik früher Richard-Linklater-Figuren lebt.
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* Lucio Starts Fires (auf CD2)
2. Glasvegas
Jesus & The Mary Chain, My Bloody Valentine und The Ronettes. Kann eine Band mit diesen Referenzen überhaupt
nicht großartig klingen? Im Gegenteil, die vier immer schwarz gekleideten Schotten bringen noch etwas Rockabilly-Edge, 50ies Style und einen bigger-than-life-Chorus auf die White Noise Party mit und sind damit zu recht die größte Hoffnung für 2008.
Wenn in 20 Jahren Sofia Coppola „Lost In Scotland“ dreht, wird Scarlett Johansson zu „It’s My Own Cheating Heart That Makes Me Cry“ durch die Straßen von Glasgow laufen.
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* It’s My Own Cheating Heart That Makes Me Cry
* Flowers & Football Tops
* Daddy’s Gone (auf CD2)
1. Emmy The Great
Emmy The Great ist die Königin der Londoner Antifolkszene. Die aus Asien stammende Emma-Lee Moss schreibt delikate, kleine Lieder, die vor allem durch ihre Lyrics beeindrucken. Ob sie in „Eastern Parade” mit einem romantisierenden Englandbild von Blake über Morrissey bis Doherty abrechnet (
“I’m grateful for the things that you’ve tried to show me dear /but there’s no arcadia, no albion / and there’s no jerusalem here /and underneath your pastures green /there’s earth and there’s ash and there’s bones /and there are things that disappear into and then they are gone”) oder – noch besser! – in “MIA” von einem Autoausflug mit ihrem Freund erzählt, der in einem Unfall endet. Der Freund liegt sterbend neben ihr, während noch das eigens für sie zusammengestellte Mixtape im Autoradio läuft und ein Lied der Sängerin M.I.A. spielt. Emmy liegt mit ihrem blutüberströmten Kleidchen neben ihrem sterbenden Freund und denkt daran, wie er ihr erzählt hatte, dass man M.I.A.
„either mia or M.I.A.” ausspricht. Die wundervollste, brutalste und berührendste Geschichte, die ein Song 2007 zu erzählen hatte. Von dieser Qualität hat Emmy bereits heute mehr Songs geschrieben als sie selbst Singles veröffentlicht hat, so dass wir mehr als gespannt auf ihr Debütalbum warten und Englands Regina Spektor begrüßen wollen. Emmy The Great ist die beste einer ganzen Reihen von britischen Wunderkindchen, die 2008 mit einer Gitarre bewaffnet auf unsere Bühnen drängen. Sie wird nicht die erfolgreichste sein, wohl auch nicht die bekannteste werden, aber die interessanteste… die ist sie schon jetzt.
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* MIA
* Eastern Parade (auf CD2)
* Secret Circus
Nicht in den Top 20 sind die Bands enthalten, die ihr Debütalbum nun bereits veröffentlicht haben (Vampire Weekend, Get Well Soon...)
The Face am 04.03.2008 um 19:49 Uhr:
mgmt gefällt mir auch sehr gut! das mit den flaming lips lag mir auf der zunge, schön dass es jemand ausgesprchen hat!der sepp am 06.03.2008 um 19:37 Uhr:
Santogold ist wirklich super, Wahnsinnsstimme, und um nicht in die Sexismus Falle zu tappen sag ich nichts zu ihrem Aussehen.Glasvegas dürfte ich laut Beschreibung eigentlich nur auf Knien hören, aber irgendwie nervt mich die penetrant hallige und nach vorne gemischte Stimme auf Dauer, allerdings hab ich mich schon an ganz andere Sachen gewohnt, bin ja motiviert.