1965

19.03.2021 | 7 Kommentare | motorhorst

Das erste Jahr unseres Mammut-Projektes zu befüllen war zuerst beängstigend, dann spannender als gedacht und am Ende der hoffnungsvolle Auftakt zu einem ganz großen Ding, das vor allem viel Lust am Musikhören zurück bringen kann. Hier versuchen wir unsere Entscheidungen und Überlegungen zu erklären. Oder rechtfertigen.

Meine Befürchtung war wirklich, dass ich zu einem frühen Jahr wie 1965 wenig sagen/schreiben könnte. Bei den Filmen war es tatsächlich so, deswegen legte ich diese Rubrik für mich schnell ad acta. Hier werde ich mutmaßlich erst 68 oder 69 einsteigen.

Alben gestalteten sich auch etwas schwierig. Ich bin nicht so der Dylan-Afficionado, hörte mich aber dank der großen Hits auf den beiden 65er-Alben "Bringing it all back home" und "Highway 61 Revisited" schnell rein und war doch sehr erstaunt, wie krawallig das alles ist und meinen Geschmack doch sehr trifft. Also eher als die nebulösen Folk-Geklimper-Vorstellungen, die ich da im Hinterkopf hatte. Meine Top 3 vervollständigten dann die Beatles, auch wenn für mich erst mit Revolver deren große Phase beginnt und mich die zu Tode gehörten Stücke wie Yesterday oder Help vom gleichnamigen Album aus dem selben Jahr eher abschrecken.

Blieben die Songs und die führten mich dann doch auf eine große Entdeckungsreise, die mich voller Vorfreude auf das Gesamtprojekt blicken lässt.
Die Auswahl ist erstmal überschaubar: Schaut man sich die Billboard-Jahrescharts an, dazu die UK- und deutschen Top-Hits, dann finden sich hier doch immer wieder dieselben Titel. Auch wenn man bei Spotify nach Playlists zu diesem Jahr sucht, kreist man hier immer wieder um die gleichen hellen Sterne. Und letzten Endes sieht man das dann auch an unseren Charts, wo sich doch viele Titel bei allen wiederfinden.

Ist das schlimm? Iwo. Das ist schon eine Epoche, in der es irre viele Ohrwürmer gibt. Teilweise, weil die seit der Geburt oder eben seit der ersten bewussten Radiohör-Erlebnisse der Beteiligten ständige Begleiter sind, immer wieder gespielt wurden (und heute noch gespielt werden), zum anderen aber auch, weil dies eine Zeit ist, in der derselbe Song oft von zehn Interpreten innerhalb von fünf Jahren immer wieder neu aufgenommen, umarrangiert, weitergegeben und dann doch noch vom Autoren selbst eingespielt wurde. Das ist deshalb so lustig, weil ja spätestens seit den 90ern das Gejammere der Altvorderen immer größer wurde, dass es gar keine originären Ideen mehr gäbe, sondern nur noch gecovert, nachgespielt und kopiert werden würde. Kleiner Spoiler: Das war nicht nur früher schon so, sondern damals viel, viel schlimmer.
Die große Chance ist da natürlich, dass man sich einfach die beste(n) Version(en) eines Stücks auswählt und die anderen liegen lässt oder halt auch noch aufnimmt, why not? Das führt dann zum schönen Ergebnis, dass oft das Original nicht chartet, wohl aber eine Adaption. Mir fallen da vor allem die Dylan-Stücke "It ain't me, babe" und "Mr. Tambourine Man" ein, die mir schon immer von Johnny Cash bzw. den Byrds besser gefallen haben als vom Meister selbst.

Und auch vor ganz großen, vielleicht zu großen Hits schrecke ich hier jetzt mal gar nicht zurück, was ich bei meiner ersten Auswahl vor knapp 10 Jahren noch wesentlich dogmatischer gesehen habe. Damals wären I got you, babe, Like a rolling stone oder Sound of silence wohl eher nicht in den Club gekommen - nun wurden sie mit offenen Armen aufgenommen, verklagt mich doch.

Von den Rolling Stones konnte sich bei mir kein Stück qualifizieren, Time is on my side fiel dem Cut bei Top 25 zum Opfer, da ich insgesamt nur auf 28 Titel kam und keine "krumme Zahl" haben wollte. (I can't get no) Satisfaction ist mir zum einen zu überspielt, hat mich andererseits aber auch nie geflasht. Auch nicht in den Coverversionen von solch integren Acts wie Devo oder den Slits, vor allem als ich feststellte, dass die Slits es gar nicht gecovert hatten, sondern I heard it through the grapevine. Wie schon im Text zum Konzept geschildert, ist mir da irgendeine allgemeine oder gar höhere musikhistorische Relevanz echt wurscht.

Andererseits schlug ich ein paar neue Kapitel im Gloria-Jones-Buch auf aka "Oh, das Original ist gar nicht von xyz (Soft Cell) sondern von abc (Gloria Jones)?". Hier war das vor allem "I want candy", das ich immer BowWowWow zuschrieb, jetzt aber als Original von The Strangeloves kennen lernte. Und damit auch noch eine Band, von deren Namen sich Depeche Mode eventuell zu einem Songtitel inspirieren ließen.

Nicht überrascht, aber richtig begeistert hat mich die Tatsache, dass so viele weibliche Interpretinnen in meinen Charts sind. Da wurde nicht bewusst darauf hingearbeitet, was aber auch nicht notwendig ist, weil ich schon immer ein großes Ohr für Künstlerinnen hatte und Herz sowieso. Aber schön, dass das schon so früh ohne Probleme zum Tragen kommt.

Wie auch immer, ich bin hellauf begeistert von dem Projekt und brenne dafür.

Hier seht ihr unsere Ergebnisse für 1965.

Bild: von Annie Theby auf Unsplash

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Kommentare

Christian_alternakid am 06.04.2021 um 11:02 Uhr:

Da man unter den Listen/Einträgen nicht kommentieren kann, weiche ich mal hierauf aus: echt erstaunlich, Motor, dass auch mir als Punkarchäologen die Originalversion von "I Want Candy" nicht bekannt war - ich genau wie du nicht mal wusste, dass es sich um ein Cover handelt. Bow Wow Wow schon noch mal ne Ecke besser als das Original, aber super so einen Fund durch die Liste zu machen!
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Christian_alternakid am 06.04.2021 um 11:09 Uhr:

@Lassie: super Entdeckung in deiner Liste ist The Pleasure Seekers mit "What A Way To Die". Kannte ich auch noch nicht, super GarageRock. und den Fotos aus dem Video nach zu urteilen müssen das ganz schön bad ass girls gewesen sein:

motorhorst am 06.04.2021 um 15:08 Uhr:

Das beruhigt mich ja ein wenig, Christian, dass nicht mal Du dieses Original kanntest. Das ist bisher auch einer der spannendsten Aspekte der Aktion für mich. Wir werden ja in einem Podcast (bzw. eher so einem pro Jahrzehnt bzw. eher so einem pro Jahr) genauer besprechen, wie wir die Songs finden, aber gerade die diversen jahresbezogenen Playlists bei Spotify oder Besten- und Veröffentlichungslisten bei Wikipedia et al sorgen da schon für die eine oder andere bemerkenswerte Entdeckung.
Es war tatsächlich so gedacht dass die Kommentare zu den Listen hier gesammelt beim Jahr auftauchen (so viel Traffic und überschaubaren Content gibt es ja heutzutage nicht mehr), theoretisch gäbe es aber auch die Möglichkeit eine einzelne Listenversion zu kommentieren, z.B. hier Lassies Song-Liste oder hier generell zu allen Song-Listen des Jahres 1965.

Lassie am 29.05.2021 um 00:43 Uhr:

Um ein wenig Statistik ins Spiel zu bringen, hab ich die im Ranking vertretenen Interpreten mal hinsichtlich ihrer Nationalität analysiert (wobei jeder Interpret jeweils nur einmal gezählt wurde, egal, ob er nur bei den Alben, nur bei den Songs, in beiden Kategorien oder in einer oder beiden Kategorien mehrfach vertreten war).

Hier ist das Gesamtergebnis (in Klammern das Ergebnis der Einzellisten):

1. USA: 40 (Motorhorst: 13 / Christian: 26 / Lassie 24)
2. UK: 21 (M: 5 / C: 11 / L: 14)
3. Frankreich: 3 (M: 1 / C: 3 / L: 1)
3. Deutschland: 3 (M: 2 / C: 2 / L: -)
5. Jamaika: 2 (M: - / C: 2 / L: -)
6. Australien: 1 (M: - / C: - / L: 1)
6. Niederlande: 1 (M: - / C: - / L: 1)

Stand: 18.5.2021

Fazit: Christian entpuppt sich als frankophil und Freund jamaikanischer Klänge, Motor beschränkt sich auf vier Nationen und meine Wenigkeit zeigt dem eigenen Vaterland die kalte Schulter (und angesichts der Tatsache, dass der einzige deutschsprachige Song, der sich im Ranking wiederfindet, von Joan Baez stammt, sogar lächelnd den Mittelfinger).
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Lassie am 01.06.2021 um 22:34 Uhr:

@Christian: Ich wiederum wusste bezüglich der Pleasure Seekers nicht, dass Suzi Quatro und Schwester dort spielten. Darauf bin ich erst durch deine Rezension gestoßen. Top!

Christian_alternakid am 03.06.2021 um 22:00 Uhr:

Interessante Statistik, Lassie. Wer ist der niederländische Act bei dir?
Denke bei mir wird sich das schon durch die 60er ziehen, dass französische und jamaikanische Künstler mit reinschauen, für 1966 sieht das ähnlich aus. Bin mal gespannt, ob bei mir irgendwann das UK zu US Verhältnis zugunsten von Großbritannien kippt.

Lassie am 04.06.2021 um 18:33 Uhr:

Die Niederländer sind Golden Earring bzw. The Golden Earrings, wie sie anno 1965 noch hießen. Habe ich nachträglich aufgenommen, nachdem ich erfahren hatte, dass sie schon 1965 mit Veröffentlichungen aufwarten konnten. Hatte sie ursprünglich erst für spätere Jahre auf dem Schirm.


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