Und dann schlägt dein Herz...

01.12.2006 | 19 Kommentare | wowosschwester


Olli Schulz will erst mal ein Lied spielen, dann hat er Zeit zum Quatschen
Eigentlich sprechen heute alle Vorzeichen für einen Scheiß-Abend: den Kopf voller unerledigter Uni-Arbeiten auf ein Konzert gehen, den Weg dorthin trotz Kälte mit dem Fahrrad zurückgelegt (was bedeutet: erst ist’s kalt, dann furchtbar kalt, dann wärmer, dann viel zu warm), dabei auch noch verfahren (und das in der Stadt, die man seit über vier Jahren sein Zuhause nennt) und bei der Ankunft, verschwitzt und außer Atem noch nicht mal Geschmack auf Bier.
Zudem findet die ganze Veranstaltung – sprich: Olli Schulz und der Hund Marie in concert – auch noch im Ampere statt, ein netter Laden zwar, aber auch der Ort, an dem vor einigen Wochen die Stimmung des Kante Konzerts so gar nicht bei mir ankam. Da hilft es auch nicht, dass einem der Olli-Schulz-Konzert erfahrene Begleiter einen lustigen Abend verspricht.
Das heißt ungefähr genau fünf Minuten lang hilft das nicht. Dann nämlich betritt nach kurzem Vorfilm – man hat sich inzwischen zudem doch ein Bier gekauft – Olli Schulz die Bühne und verbreitet von der ersten Sekunde an derartig viel Spaß, dass man sich fragt, wie sich schlechte Laune eigentlich gleich noch mal buchstabiert.
Knapp zwei Stunden – und die gänzlich ohne Langeweile – erklärt einem Olli Schulz den Vorführeffekt im Speziellen und die Welt im Allgemeinen, und haut dabei einen zitierwürdigen Spruch nach dem anderen raus. Man würde das gerne mit stenographieren, wäre man nicht zu beschäftigt damit, sich erst mal ganz unmittelbar zu amüsieren.
So erfährt man, dass Olli eigentlich immer bis eins schläft, zuhause nur politische Bücher liest, auf Tour dann aber auch gerne mal den Metall-Hammer, im Chemieunterricht immer Walkman hörte, eigentlich ein derber Mensch ist, aber keiner der verdorbene Gedanken hat, dass er sich nicht anzünden lassen würde, aber von innen heraus brennt. Dass Bungeejumping ein Volkssport in München ist und Hund und Katze echte Tiere. All das wohlgemerkt, nachdem man belehrt wurde, bloß nichts zu glauben, was man über ihn liest, er lüge nämlich gerne.
Außerdem lernen wir: den textlichen Aufbau (exemplarisch) eines Rammstein Songs („Der Mann, die Frau, zwischen den Beinen des Mannes: Hass“), sowie, dass Bap dergleichen Sperenzchen nicht nötig hat, da sie ohnehin keiner versteht; dass im deutschen Rock-Pop alle immer nur liebgehabt werden wollen und nie genug kriegen und Xavier Naidoos WM-Song, auch für Menschen, die nicht zu verdorbenen Gedanken neigen tief blicken lässt („Setz dein Segel nicht, wenn dein Mast zerbricht.“ Oder so ähnlich).
Zwischendrin geht bei diesem Konzert technisch eigentlich so ziemlich alles schief, was kann: erst will die Gitarrenaussteuerung einfach nicht laut genug, dann knarrzt der Monitor verdächtig altersschwach und das Mikro übersteuert. Die filmische Zwischeneinlage scheitert beinahe daran, dass der DVD-Player zunächst weder auf gutes Zureden, noch auf genervtes Draufhauen reagiert. Statt dass all das die Stimmung stört beschert es uns aber nur noch ein paar Zusatzspaßigkeiten, sowie zwei wundervolle akustische Pausenfüller. Da kann Olli Schulz noch so oft seine Unzufriedenheit über diesen Konzertverlauf äußern, den Zuschauer vermag das einfach nicht zu stören.
Wirklich ernst kann man Beschwerden dieses Mannes aber ohnehin nicht nehmen: wer im einen Moment klagt, die von Thees Uhlmann geborgte Gitarre (aka „das Biest“) sei so schwer, dass man sie nur 3 Lieder am Stück spielen könne, sonst drohe ein Bandscheibenvorfall, im nächsten Moment aus dem Stand einen Spagat hinlegt, konterkariert sich ohnehin auf ganz wundervolle Art permanent selbst.
Bei einem derartig hohen Entertainment-Faktor erscheint die Musik fast schon nebensächlich. Die umfasst dann aber auch noch alles vom Protestsong über die Ballade bis zum klassischen Hamburgerschule Sound, klingt mal nach Tomte, mal ein wenig nach Tocotronic und mal wie Fink auf Speed. Meistens aber wie Olli Schulz und der Hund Marie. Und das ist gut so.
Irgendwann am Anfang des Konzerts sollen auf der Bühne Psychotherapie-Gutscheine verschenkt werden.
Ich empfehle statt dessen den Besuch eines Olli Schulz Konzerts.
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Kommentare

FrauK am 01.12.2006 um 19:04 Uhr:

Schade nur, dass sich Olli Schulz auf lange Sicht hin abnutzt. Sofern er sich nicht regelmäßig was neues einfallen lässt.

wowo101 am 01.12.2006 um 19:06 Uhr:

überzeugt. gehe ich eben doch mal hin, wenn dieser mann solche tiptopkonzerte veranstaltet.

wowosschwester am 01.12.2006 um 19:34 Uhr:

das kann sein, dass er sich auf dauer abnutzt. da es aber mein erstes konzert war, kann ichs aus der sicht nur wärmstens empfehlen. abwertungen folgen dann gegebenenfalls nach dem zweiten.

Basti am 01.12.2006 um 21:15 Uhr:

ich finde nicht, dass Olli Schulz sich sonderlich abnutzt. dazu kommt das alles einfach zu spontan rüber. selbst die vorher eingeplanten Dinge ...

Das Konzert in Erlangen war auch spitzenmäßig!!

Christian_alternakid am 01.12.2006 um 21:24 Uhr:

also ich habe ihn ja auf dieser akustiktour vor album veröffentlichung gehört (hat jemand die special edition mit diesem kreuzbergkonzert???) und es war von neuem überaus amüsant. hat sich null abgenützt, obwohl mein drittes olli schulz konzert in nem guten jahr.

das einzige problem, das ich manchmal mit Olli Schulz habe, ist dass ich ihn so amüsant zwischen den songs finde, dass da die lieder beinahe wie eine unterbrechung wirken...

Basti am 01.12.2006 um 22:05 Uhr:

ja, die Special Edition hab ich. Sind aber nicht alle Songs aus Berlin. Vier sind aus Berlin, drei aus Hamburg, einer aus München. lohnt sich schon.

Daniel_ am 02.12.2006 um 01:04 Uhr:

Ja, Basti, als würde einer heute noch fragen, ob du sowas hast - und nur das. Da muss doch immer auch gleich geteilt werden. Das wäre ja, als ob jemand fragt: Kannst du mir ein Bier mitbringen? - und du sagt: Können schon!

Basti am 02.12.2006 um 11:58 Uhr:

das glaube ich nicht. manchmal will man ja auch nur wissen, ob sich das lohnt. Im Gegenteil, heute ist es doch schon so, dass man sich vor gebrannten Tonträgern, die einem zugesteckt werden gar nicht mehr retten kann. Weil die Frage lautet: "Haste schon das und das Album? Nein?!? Brenn ich dir, alder." und du sagst dann: Danke nee, kauf ich im Original ODER Danke nee, is nicht so meins. Es gibt in meiner Plattensammlung eh schon zu viel gute Musik, der ich mich nicht gebührend widmen kann.

Christian_alternakid am 02.12.2006 um 14:26 Uhr:

weise worte eines alten mannes.

wer aber tatsächlich mal "können schon!" auf obige danielfrage antwortet ist ein zeitgenosse, der auch auf die frage "ehm entschuldigung, weisst du wieviel uhr es ist?" mit "ja" antwortet. braucht mal ein good kickin'.

Christian_alternakid am 02.12.2006 um 22:13 Uhr:

und lena, lina, ach nee, barbara ann: schöner text, erinnert erstens an eigene konzerte und zweitens fühlt man sich wunderbar unterhalten. kompliment an das gute gedächtnis, das alles aufschreiben zu können... aber naja, in dem alter, in dem ging das bei mir ja auch noch!

wowosschwester am 03.12.2006 um 00:36 Uhr:

von wegen gutes gedächtnis: vier notizzettel (geklaut von bruder II, der tatsächlich professionell einen text übers konzert schreibt, schrub, oder geschrieben haben werden soll, vollgeschmiert in totaler dunkelheit, also mehr erahnbar, als lesbar), sowie - als diese quelle versiegt war - ein paar blatt klopapier. gedächtnisschwäche ist ja nicht nur eine frage des alters, sondern auch fortgesetzten alkoholkonsums...

wowo101 am 03.12.2006 um 09:46 Uhr:

wie wahr, wie wahr, wie war das nochmal?

Christian_alternakid am 03.12.2006 um 16:46 Uhr:

ich bin mir sicher, olli schulz würde es zu schätzen wissen, dass man seinetwegen klopapier beschreibt.

übrigens: in der neuen intro auch ein ganz hervorragendes olli schulz interview, das zeigt, dass der mann nicht nur lustig ist, sondern eben auch immer recht hat. gerade sein Jan Delay diss ist ohne frage richtig, mit den gleichen gedanken trug ich mich auch schon.

wowosschwester am 03.12.2006 um 17:21 Uhr:

aha: ohne frage richtig sind also all die gedanken, mit denen der christian sich auch schon trug... soso. ;)

Christian_alternakid am 03.12.2006 um 17:42 Uhr:

auch hier: natürlich. was für eine frage. wer denkt sich denn falsche gedanken? wäre ja für den hund.

michl am 03.12.2006 um 18:09 Uhr:

Ich fand das Konzert langweilig bzw. teilweise sogar nervig. Anfangs dachte ich noch so "Ui, er macht jetzt wirklich auf ernsthaften Liedermacher", da er gleich mit nem Song begonnen hat, aber 10 Minuten später war dann die Freude auch schon vorbei. Größtenteils brachte er Kalauer, die er schon vor 3 Jahren gebracht hatte. Außerdem war ich so enttäuscht, dass der Hund Marie nicht als Vorband agierte, wie ich mir das vorher beim Penny-Einkauf so schön detailgetreu zusammengesponnen habe.

wowosschwester am 03.12.2006 um 18:17 Uhr:

zeigt ja nur wieder, dass man sich wohl besser vorher nie was zusammenspinnen sollte. weil erwartungen und entäuscht werden und so.
kann bei mir nur von der absoluten erwartungsfreiheit aus sprechen und da wars eben grandios.

Daniel_ am 06.12.2006 um 13:18 Uhr:

Basti, Basti, auch wenn deine industriebrainwashed Weltsicht auf den ersten Blick natürlich was für sich hat - die Logik an sich, eh Alder, nee. Machen wir's an einem einfachen Beispiel: Bier. Den Abend, an dem du sagst: Nee, bring' mir keins mit, ich trinke nur Radeberger und zwar aus den alten Flaschen. Schon gar kein Sterni! Das will ich sehen.

Wie auch immer: Ich warte auf die Digitalisierung von Bier.

cleo am 06.12.2006 um 13:52 Uhr:

digitalisiertes bier hört sich nicht gerade nach genuss an...sagt einem dann die speicherkarte, das man betrunken agieren soll? und fliegen dann bei der bierdusche cd-splitter durch den raum? nee, brauchen wir nicht.


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