Ich und meine 1.000 Fragen - Ein Gespräch mit Julian Knoth

24.02.2020 | 0 Kommentare | Mar

Die Nerven legen 2020 eine wohlverdiente Live-Pause ein, was aber nicht bedeutet, dass es Julian, Kevin & Max ruhiger angehen lassen würden. Neben der Arbeit an einem neuen gemeinsamen Album, sind die Drei auch auf ihren "Abwegen" sehr aktiv. Das Jahr verspricht also diverse interessante
Veröffentlichungen. Ich traf mich mit Julian zu einem Gespräch über Anfänge, Entwicklungen,
Tourerei & das Musikmachen im Allgemeinen.

 


Julian, wie würdest du aussehen, wenn Farben dich beschreiben würden?
 
Das ist halt echt eine schwierige Frage – hat ja nichts mit der Lieblingsfarbe zu tun. Die Frage stelle ich ja in einem Song auch, oder? Ich hab‘s ganz vergessen. Ich habe mir ehrlich gesagt über diese Frage noch nie Gedanken gemacht. Auf manche Fragen aus dem Song „Hier bleibe ich stehen“ hätte ich wahrscheinlich eine Antwort, aber „Wenn Farben mich beschreiben würden“ ist für mich eher so eine Meta-Frage.

Ich habe mir glaube ich auch die gemeinste ausgesucht.
 
Die ist echt gemein. Aber ich bin ja selber schuld. Ich habe die Frage ja selbst gestellt.
Ich weiß nicht. Eine Farbe ist auf jeden Fall zu wenig, um eine Person zu beschreiben. Es kommt ja auch immer drauf an, in welchem Aggregatzustand man sich befindet oder wie man sich gerade fühlt. Ich bin schon im normalen Leben manchmal eher zurückhaltend und schüchtern und wenn ich auf der Bühne stehe, dann ändert sich das halt komplett. Weil das natürlich auch mein Safe Space ist, wo ich vielleicht auch ein bisschen jemand anderes sein kann bzw. eine andere Seite von mir ausleben kann, die ich irgendwie auch habe. Deswegen zieht es mich glaube ich auch immer wieder auf die Bühne. Weil ich da in eine andere Rolle schlüpfen kann und extrovertiert sein kann, was ich eben sonst nicht bin. Deswegen ist es schwierig zu sagen, EINE Farbe beschreibt mich, das geht nicht. Aber wenn Farben mich beschreiben würden, dann hoffe ich doch einfach, dass es viele Farben sind – egal welche. Ich bin glaube ich auch niemand, der so eintönig ist, dass er sich auf eine Farbe festlegen lassen möchte. Das ist glaube ich eine gute philosophische Antwort auf diese Frage.
 
Auf jeden Fall!
 
Was war das erste Instrument, das du in die Hand genommen hast?
 
In dem Haus, in dem ich groß geworden bin, gab es viel Musik. Und von Anfang an waren auch viele Musikinstrumente da. Deswegen lässt sich das schwer sagen. Ich hatte Trommeln, Rasseln und ein Glockenspiel. Das finde ich auch ein tolles Instrument, hab ich immer noch. Aber Töpfe waren wahrscheinlich die ersten Dinge, die ich mir zum Instrument gemacht habe. Die ich mir genommen habe um sie als Instrumente zu benutzen, die nicht da waren. Also mein erstes Instrument war ein Kochtopf.
 
Wie viele Instrumente spielst du mittlerweile?
 
Ich habe einige Instrumente gelernt über die Jahre, aber auch viele wieder verlernt. In der Grundschule musste ich mal Blockflöte lernen, das fand ich ganz furchtbar. Dann durfte ich, als ich groß genug war, Trompete spielen. Das fand ich wirklich toll. Aber das hab ich leider verlernt. Ich krieg schon noch Töne raus, aber kann’s nicht wirklich gut. Ich bin schon eher jemand, der sagt ich kann, wenn ich will, fast jedes Instrument spielen oder irgendetwas rausholen. Es geht ja nicht immer darum, dass man es perfekt beherrscht, sondern dass man es sich zu eigen macht. Dann sind es wahrscheinlich schon ein paar. Wobei ich mich ein bisschen schwerer tu mit Tasteninstrumenten und Streichinstrumente habe ich auch nie gelernt. Hauptsächlich spiele ich Gitarre und Bass, weil das sind die Instrumente die ich am besten kann und mit denen ich mich am wohlsten fühle.

 

 

 

Julian Knoth by Niklas K
Foto: Niklas K

 


Was liebst du daran, auf Tour zu sein?
 
Das ist schon auch ein Lebensgefühl. Das hat so viele Aspekte. Erstmal liebe ich es natürlich, auf Tour jeden Tag in einer anderen Stadt zu sein. Man darf seine Lieder, die man selber geschrieben hat in dieser Stadt aufführen. Das ist für mich ein Privileg und wunderschön. Ich mag es an unterschiedlichen Orten zu sein, in unterschiedlichen Clubs zu spielen, die dann auch immer wieder ganz anders sind. Auch diese Aufs und Abs. Also in manchen Clubs funktioniert das gut, was man macht, in anderen Städten nicht so gut. Dann hat man wieder so ein Highlight, wo dann alles wieder der Wahnsinn ist und so ein Konzert dann eine Eigendynamik entwickelt, die atemberaubend ist, weil man es nicht planen kann. Das passiert dann halt einfach.
Man verliert so ein Gefühl für Zeit, das finde ich eigentlich eine ganz schöne Realitätsflucht. Das entwickelt eine Eigendynamik, man entwickelt einen eigenen Rhythmus, der sich anpasst auf die Tour. Man hat was zu tun, ist unterwegs, sieht viele Leute. Ich mag auch das Soziale. Also in jeder Stadt wieder andere Leute und Freund_innen zu treffen, Menschen die man schon lange kennt, die einen lange begleiten.
Es ist natürlich auch viel Adrenalin im Spiel, das ist schon schön. Und natürlich ist es danach dann auch mal so, dass man erschöpft ist. Das ist dann was an Adrenalin zu viel ausgeschüttet wird in den 2 Wochen – wahrscheinlich so ein bisschen wie eine Droge, ohne dass es eine Droge ist. Man hat unfassbar viele tolle aufregende Glücksmomente geballt in kürzester Zeit und das ist einfach schön.
Wenn man dann zurückkommt, dann fehlt einem natürlich auch dieser Stoff, aber man lernt ja auch damit umzugehen mit der Zeit. Zu wissen, dass man dann zwei, drei Tage einfach ein bisschen nach sich selber schaut aber auch schnell wieder guckt, dass man was macht. Dass man sich irgendwie beschäftigt und nicht in ein Loch fällt.
 
Was nervt dich am Touren?
 
Es gibt natürlich auch Sachen, die nerven. Das sind eigentlich eher die Momente, in denen dieser Leerlauf ist. Teilweise ist es irgendwie extrem lustig und schön, miteinander im Bus zu sitzen, manchmal ist es dann aber auch bei der vierten Fahrt in vier Tagen, wo man vier, fünf Stunden im Auto sitzt einfach ermüdend. Diese ganzen Autofahrten sind ein bisschen anstrengend teilweise. Auch die Zeit, in der man nicht so richtig was anfangen kann. Diese ganzen Wartezeiten wo man eigentlich nur auf’s Konzert wartet, aber auch nur ein, zwei Stunden Zeit hat. Und sich natürlich auch sammelt und so, aber nichts unternehmen kann in der Zeit. Ich glaube, ich habe aber auch gelernt, diese Zeit besser zu nutzen, indem ich mich dann vielleicht einfach nochmal zurückziehe und irgendwie Kräfte sammle.
 
Was vermisst du auf Tour am meisten? Oder andersrum gefragt, worauf freust du dich am meisten, wenn du wieder nach Hause kommst?

Auf die ganz normalen Sachen halt, wie das eigene Bett zum Beispiel, das ist nicht anders als bei anderen Menschen, glaube ich. Was vielleicht eher was Außergewöhnlicheres ist – aber ich glaub das können auch viele verstehen – ist, dass man sich auch wieder freut, selber zu kochen und vor allem die Sachen zu kochen, die man gerne mag. Wir essen natürlich immer gut und wir sind gut umsorgt, wir sind da ja auch privilegiert. Trotzdem ist es schön, einfach mal stinknormale Pasta mit Soße zu machen. Man hat wieder sein Essen, sein Soul Food. Nichts Aufwendiges, ich will jetzt einfach ein paar Nudeln und Soße und gut ist. Man freut sich einfach wieder auf so einfache Dinge, die einen irgendwie glücklich machen.

Du hast die langen Fahrten usw. grade schon angesprochen.
Wenn man mehrere Tage am Stück zusammen mit vielen Leuten in einem Bus/Transporter sitzt, kann es ja auch mal Streit geben. Welche Strategien habt ihr, um euch nicht gegenseitig zu sehr auf die Nerven zu gehen?
 
Wir haben auf jeden Fall viel gelernt in den letzten Jahren. Gefühlt war es in den ersten Jahren anstrengender. Die Zeit bevor wir das Album „Fake“ gemacht haben, wo es echt kritisch war auch mit der Band und ob es weitergeht. Da haben wir glaube ich viel miteinander aussprechen können. Im Nachhinein haben wir glaube ich viel darüber gelernt, wie wir miteinander umgehen und was gute Kommunikation angeht. Das wichtigste ist schon gute Kommunikation. Es hat sich auch ausgezahlt, Sachen oder Probleme, die unangenehm sind, Konflikte die es gibt, sofort zu klären und es nicht mit sich rumzuschleppen. Das haben wir jetzt recht gut im Griff.
Wenn man viel aufeinander rumhängt ist es eben auch vollkommen normal, dass mal einer keine gute Laune hat, aber dass das auch nicht schlimm ist und man selber deswegen keine schlechte Laune haben muss. Dass man schon auch guckt, kann man demjenigen was Gutes tun oder ist es besser man lässt ihm einfach seinen Rückzug.
Es spielen viele Sachen mit rein, gute Kommunikation, Konflikte sofort klären. Das wichtigste in so einer Gruppe ist schon, dass man nach allen schaut und aufeinander achtet und sich respektvoll begegnet. Da haben wir einen wahnsinnig großen Fortschritt gemacht in den letzten zwei Jahren. Da sind wir sehr gewachsen auf jeden Fall. Dann macht es das auch leichter und viel mehr Spaß und jeder fühlt sich wohl.
 
Gab es einen Punkt oder Moment für dich, in dem du dachtest: „Das könnte klappen mit der „Musikkarriere“?

Ich weiß nicht, ob es einen Punkt gab. Also gefühlt war es sehr krass und viel auf einmal in den ersten fünf Jahren und überfordernd auch. Aber es ist ja schon von der Größe der Clubs, also wie das gewachsen ist, und auch von den Leuten drumrum von unserem Booker sehr organisch aufgebaut worden. Nicht so: Zack! Sofort große Hallen. Dementsprechend gibt es auch nicht so den Punkt, den ich konkret benennen könnte. Es wurde halt mehr und mehr und mehr.
Als „FUN“ rauskam und so kurz unser erster Hype da war, da dachte ich: „Okay krass, jetzt!“ Aber das war nicht so. Das war schon ein wichtiger Punkt. Ich hatte kein Verhältnis dazu. Ich dachte, jetzt werde ich ständig erkannt. Es stimmt halt einfach nicht, man wird nicht erkannt.
 
Vielleicht haben die Leute einfach nur genug Respekt.
 
Ja schon, das ist ja auch gut so. Ich dachte das damals, ich konnte das nicht einschätzen. Ab und zu werde ich schon angesprochen, klar. Es ist aber nicht im Ansatz so, wie ich dachte in dem Moment von diesem Hype. Das finde ich eigentlich auch ganz schön angenehm, dass man dann doch nicht so wichtig ist und nicht irgendein Superstar, sondern sich ganz normal bewegen kann.
Das war vielleicht doch so ein Punkt, wo ich dachte: „Okay krass, das könnte klappen."
Der Rest war dann schon viel live spielen, viel Arbeit.
Aber es gibt immer wieder solche Punkte.
Als klar war, wir bringen eine Platte raus, war das krass. „Fluidum“ kommt raus auf Platte, vielleicht werden wir irgendwie Rockstars.
Das Meiste war wirklich, dass wir viel, viel live gespielt haben in den ersten fünf Jahren und da einfach viel Arbeit reingesteckt haben. Das ist dann auch das, was sich irgendwann auszahlt. Natürlich muss man Glück haben und Leute begeistern, aber man muss dann auch präsent sein und überall spielen. Das haben wir gemacht, aber das müssen wir jetzt nicht mehr unbedingt machen, hab ich gemerkt.  

Hast du das Gefühl es hat sich etwas für dich verändert als das Hobby zum Beruf wurde?

 
Ja, es hat sich schon was verändert und das war etwas, womit ich schon eine Weile gehadert habe und nicht wusste, warum. Ich hatte das Gefühl, dass alles was ich sonst musikalisch mache irgendwie so eine Qualität braucht und dass es jetzt immer so in dem Kontext ist. Ich hab lange gebraucht, um zu sehen, dass es eigentlich eher ein Privileg ist und dass meine Nebenprojekte eben auch davon profitieren, dass ich diese Aufmerksamkeit habe mit dieser Band, dass es nicht in Konkurrenz steht und dass es auch nicht immer auf diesem Niveau stattfinden muss. Sondern dass ich schon meinen Quatsch machen kann, dass ich frei an die Sachen rangehen kann. Das mache ich jetzt mittlerweile. Das ist total schön. Ich merke jetzt auch, dass es ein Privileg ist: All die Kontakte, die ich hab.
Das war dann ein Punkt an dem ich erkannt habe, ja klar –  mein Hobby ist zu meinem Beruf geworden und ich hab Musik gar nicht mehr als Hobby.
Auch wenn ich Yum Yum Club und Peter Muffin sehr, sehr ernst nehme und nicht sagen möchte, dass es mein Hobby ist. Aber trotzdem hat mir das dann viel gebracht, diese Nebenprojekte anzugehen, konstruktiv meine Zeit da reinzustecken und positiv zu denken. Weil ich dann wieder das Gefühl hatte, ich mache Musik jetzt nicht nur für Die Nerven, diese große Band, sondern ich mache es auch für mich und mache mein eigenes Ding. Das ist glaube ich auch etwas, wovon Die Nerven total profitieren und was mir wieder viel Selbstbewusstsein gebracht hat.
Ich hab auch noch andere Hobbies nebenher, die für mich auch wichtig sind zum Ausgleich.  

Das sollte jetzt natürlich nicht heißen, dass es dein einziges Hobby wäre...

Nee nee, ich musste jetzt auch so lange ausholen, weil ich gar nicht gemerkt habe, dass mein Hobby verschwunden ist, sondern immer nur dachte: Krass, warum mach ich nichts mehr? Trau ich mich nicht mehr, die Musik zu machen nebenher? Als ich mir das dann wieder so geholt habe. Als dann die Platte rauskam (Ich und meine 1000 Freunde) und ich dann die Live Band zusammengestellt habe, aus der dann Das Peter Muffin Trio wurde. Yum Yum Club war auch so ein bisschen parallel, dass das so entstanden ist. Da habe ich wieder gemerkt: Cool, ich kann das ja auch machen und man kann ja auch einfach so Musik machen, ohne diesen großen Druck. Natürlich ist bei Die Nerven jetzt auch nicht so ein riesengroßer Druck, das ist total schön, aber trotzdem hat es mich selber voll locker gemacht, wieder. Es fällt mir jetzt auch leichter im Kontext von Die Nerven mein Ding zu machen. Ich glaube, das hat einfach Druck rausgenommen. Die anderen Nebenprojekte von Max und Kevin nehmen auch Druck raus aus der Band und bringen total viel neuen Input und neue Ideen rein, was das dann total bereichert.

Was inspiriert dich und deine Musik?

Andere Musik auf jeden Fall. Ich bin großer Fan von Musik, ich liebe Musik und ich werde nie aufhören, Fan zu sein. Ich werde nie aufhören zu brennen für Musik – auch für Musik, die ich noch nicht kenne, die mir fremd ist und die mich inspiriert, weil sie mir was Neues transportiert.
Ich hatte vor kurzem diesen Gedanken: Ich würde mir ehrlich gesagt niemals eine Band anhören, die mit meiner Band verglichen wird. Das hört sich so negativ an, aber ehrlich gesagt strebe ich schon immer nach was Neuem, was ich noch nicht kenne, was mich überrascht, was mich inspiriert und was ich einfach toll finde, anstatt nach irgendetwas zu suchen, was so klingt, wie das, was ich mache. Mir geht es schon eher darum was zu finden, was mir neue Ideen bringt, was mir zeigt: So und so kann Musik auch funktionieren. Ich bin immer auf der Suche und sehr offen für neue Musik. Wobei ich sehr schnell entscheide, ob es mir gefällt oder nicht. Es kann schon auch mal sein, dass ich sage: Nee, das gefällt mir nicht und ein halbes Jahr später merke: Ach ja, da war ich vielleicht zu vorschnell. Aber ich finde das ist auch in Ordnung. Das darf auch sein.
 
Ich erkenne gewisse Parallelen.
 
Ja, also Musik an sich, aber auch alles, was ich selber an Erfahrungen sammle, inspiriert mich, ich reflektiere sehr viel und ich denke sehr viel nach. Ich bin ein Kopfmensch und für mich ist Musik oder eben auch Texte zu schreiben eine Art Ventil, um damit umzugehen. Diese Sachen raus zu lassen aus meinem Kopf.
Mich inspirieren schon auch alle Kunstformen irgendwie, aber auch das Leben an sich. Mich inspiriert auch Theater sehr, mich inspirieren Filme, mich inspirieren Bücher, mich inspiriert alles, was ich aufsauge. Mich inspiriert das Leben an sich und alle Menschen, mit denen ich zu tun habe.
Ich sehe mich selber auch eher als eine Art Filter. Ich nehme Sachen in mich auf, dann macht das irgendwas mit mir, ich mache irgendwas damit und dann lasse ich es wieder raus. Oder ich vermische etwas in neue Kontexte, oder lasse etwas weg und lasse es wieder raus. Es ist gar nicht so dieses „Eine Sache inspiriert mich“. Manchmal inspiriert mich auch gar nichts. Manchmal kommt es einfach und ich weiß nicht, woher. 

Was sind die schönsten Rückmeldungen, die ihr in den vergangenen Jahren von Fans für eure Musik/Songs bekommen habt?
 
Natürlich auch viele Rückmeldungen, die von dir kommen. Ich finde das schon ganz, ganz toll und besonders, dass du uns nachreist. Auch was du sagst zu den Songs und was es dir bedeutet. Es gibt viele Beispiele. Menschen die wie du sagen, das hilft mir einfach, mit meinen Ängsten umzugehen.
Das ist für mich schon auch ein Grund zu sagen, man macht das nicht einfach so und umsonst und das ist schön. Das weiß ich sehr zu schätzen. Es gibt natürlich auch andere Menschen, die genauso wie du solche Dinge rückmelden, die in die Richtung gehen, dass sie sich empowert dadurch fühlen und durch unsere Musik, unsere Konzerte einfach mal nicht nachdenken müssen oder sich mal nicht verkopfen müssen. Ich bin selber sehr großer Kopfmensch und mein Kopf, meine Gedanken erdrücken mich auch immer wieder mal. Ich weiß, dass es total schön ist zum Abschalten, aber auch als Ermächtigungsgefühl. „Ich höre das jetzt und es macht mich stark“, und das finde ich immer ein schönes Gefühl.
Auch ein tolles Feedback: Jemand, der mir in Dresden beim Konzert gesagt hat, er muss jeden Tag durch Freital fahren. Er findet das so furchtbar, die ganzen Nazis. Er hört dann sehr laut Die Nerven und lässt die Fenster runter, fährt dann so durch Freital und das ist für ihn sein Weg damit umzugehen, das fand ich total cool. Das war so ein Feedback wo ich dachte: Ja, dafür mach ich Musik! Damit die Nazis weggeballert werden soundtechnisch und er sich da nicht so scheiße fühlt in dem Moment.
Natürlich ist es auch schön zu hören, dass das Konzert toll war, das weiß ich auch zu schätzen – bestimmte Sachen, die eine persönliche Geschichte erzählen, egal was für eine persönliche Geschichte das ist. Es muss mir natürlich nicht jede_r seine persönliche Geschichte erzählen. Es kann mir auch eine Person sagen „das war ein tolles Konzert“ und vielleicht hat sie dann eine persönliche Geschichte, das geht mich dann auch nichts an. Die Sachen, die einen am meisten berühren, sind die, wenn man merkt es hat der Person irgendwie geholfen. 

 

 

 

 

 

Die Nerven live by Claudia Helmert
Foto: Claudia Helmert

 


Mir fällt, gerade weil ich ja auf vielen eurer Konzerte bin, auf wie sehr sich der Altersdurchschnitt eures Publikums doch von Stadt zu Stadt unterscheidet. Nehmt ihr das auch wahr und wenn ja, wie?
 
Man nimmt das ja immer gar nicht so arg wahr, außer es ist sehr auffällig. Also in Düsseldorf war es schon auffällig, dass das Publikum eher älter war. In Leipzig war es relativ jung, oder?

[ich nicke zustimmend]
 
Am liebsten ist es mir, wenn es divers, bunt durchmischt ist. Wenn ältere Menschen dabei sind, wenn männliche, weibliche, diverse Leute anwesend sind. Ich glaube unser Publikum ist nicht in der Hinsicht so divers, dass da jetzt viele PoCs (Anm.: People of Colour) da sind. Wir sind wahrscheinlich einfach zu Deutsch dafür. Das würde ich mir natürlich auch manchmal wünschen. Es sind schon eher Männer, die bei uns da sind. Aber es gibt doch auch immer viele junge, weibliche Besucherinnen. Was ich immer gut finde, wenn es so durchmischt ist. Ich weiß nicht, wie sich das ändern wird in Zukunft. Ich finde unser Publikum eigentlich immer richtig toll, größtenteils. Ich glaube es gibt viele von denen, die älter sind, die sich vielleicht durch unseren Sound an ihre Jugend erinnert fühlen. Ich würde mir manchmal wünschen, dass noch mehr jüngere Leute da sind und mehr weibliche, diversere Leute, als nur Typen. Ich glaub, es geht auch schlimmer. Wir leben das eigentlich schon so vor, dass uns Diversität und Unangepasstheit wichtig sind. Wir sind halt auch so, wie wir sind. Es spiegelt sich schon viel im Publikum, was die Band ist.
 
Findest du es leichter zu Hause vor bekannten Gesichtern aufzutreten oder vor fremden Leuten?
 
Fremde! Das ist eine ganz einfache Frage. Die Konzerte, wo ich am allermeisten aufgeregt bin, sind die zu Hause.
 
Was sind drei Dinge, die du an Stuttgart magst und drei, die dich nerven?
 
Ich mag den Ausblick, den man immer überall in der Stadt hat. Dieses Gefühl, man kann immer irgendwo eine Treppe hoch, oder ein „Stäffele“ und sieht über die ganze Stadt. Damit einhergehend auch die Natur, die es um Stuttgart herum gibt und natürlich das Essen. Schwäbisches Essen mag ich an sich gerne.
Diese Überschaubarkeit. Jeder kennt irgendwie jeden. Alle, die Lust haben etwas auf die Beine zu stellen, kennen sich eigentlich, egal aus welchem Bereich sie kommen. Das Netzwerk, was es so gibt.

Was ich nicht mag, sind natürlich die ganzen Baustellen. Gerade auch das Großprojekt Stuttgart21. Was ich auch nicht mag, sind die fehlenden Freiräume, die räumliche Enge, fehlender Wohnraum, teure Mieten.
Und was ich noch nicht mag... [macht eine Pause und überlegt]
 
...SUVs?
 
Ja klar, die Autos. Die ganzen Autos und der Verkehr in der Stadt, der Stau und die Macht der Autoindustrie in der Stadt.
 
Du hattest es schon angesprochen, aber vielleicht nochmal konkreter: Inwiefern unterscheidet sich für dich das Songschreiben und Aufnehmen zwischen Die Nerven und deinen Nebenprojekten?
 
Ich glaube, dass meine Nebenprojekte mittlerweile so arbeiten, wie Die Nerven früher waren. Ganz am Anfang habe ich fast alles improvisiert. Das ist auch ein bisschen, wie Yum Yum Club arbeitet. Etwas später haben wir dann schon Songs geschrieben und dann aber auch aufgenommen, zack zack. Das ist ein bisschen wie Peter Muffin arbeitet. Beim neuen Die Nerven Album, an dem wir gerade arbeiten, ist es so, dass wir das sehr gewissenhaft machen und uns sehr viel Zeit lassen, um uns auch keinen Druck zu machen. Das ist gut, weil wir jetzt nicht sagen, wir müssen jetzt so und so viel und Stress, Stress, Stress machen. Wir haben diesen Songwritingprozess über eine sehr lange Zeit geschoben und ganz viel geschrieben und auch wieder aussortiert, um dann am Ende im besten Fall nur gute Songs zu haben. Ich arbeite total gerne intuitiv und ganz schnell. Ich finds aber auch toll und spannend, mehr Zeit und Arbeit ins Songwriting zu stecken. Es ist toll, das zu lernen und diese Möglichkeit zu haben. Im Prinzip unterscheidet es sich nicht so arg, weil Die Nerven-Stücke im ersten Moment ja auch Jams und Improvisationen sind nur, dass wir im Nachhinein noch mehr Zeit in die Ausarbeitung und Arrangements stecken momentan. Ich glaube, wir werden jetzt so gut vorbereitet ins Studio gehen, wie wir es noch nie waren. Mit einem fertigen Album, wo alles steht und jeder weiß, was er tut. Das haben wir auch bei „Fake“ noch nicht gehabt. 

[Ich deute mit Gesten an, dass ich das Album am liebsten jetzt sofort in der Hand halten würde]

[schmunzelnd] Ja, das dauert noch ein bisschen, bis wir es aufnehmen, bis es rauskommt auch noch länger. Aber dafür kommen ja noch jede Menge Nebenprojekte raus dieses Jahr.
 
Wenn du an Songideen arbeitest, weißt du dann relativ schnell für welche deiner Bands sie am besten funktionieren oder kristallisiert sich das erst im Prozess heraus?
 
Das ist eine Mischung aus Prozess, Kontext und Idee. Es ist schon so, dass alles, was ich mache sehr prozessorientiert und projektorientiert ist. Letzte Woche* haben wir das Yum Yum Club Album fertiggemischt. Das haben wir aber in dem Prozess im Juli aufgenommen und eine Woche in Leipzig selber produziert. Fünf Tage waren wir alle zusammen und dann ist das so entstanden. Da gab es vorher Songs und manche sind dann da entstanden.
Was Die Nerven angeht: Nächste Woche bin ich komplett im Proberaum mit den beiden. Aber manchmal ist es ja auch so, dass man was hat, zum Beispiel ein Instrumentalstück, dann muss man halt arbeiten und noch einen Text schreiben. Manchmal habe ich dann was in der Hinterhand aber manchmal auch nicht. Das ist dann halt Arbeit.
Alles, was ich so vorbereite sind Texte. Bei Peter Muffin kommt es tatsächlich manchmal vor, dass ich dann Demos mitbringe.
Meistens passiert alles im Prozess und im Kontext, dadurch dass oft wochenweise gearbeitet wird. Dann bin ich mit Die Nerven im Proberaum und wir lassen uns voll und ganz aufeinander ein und arbeiten zusammen. Dann kommen Ideen und die entstehen natürlich viel gemeinsam. Wenn noch etwas fehlt, dann weiß man: hier muss man sich überlegen wie es arrangiert wird, hier muss man sich noch einen Text überlegen, dann macht man sich gezielt dafür Gedanken.
Im Vergleich zu anderen Menschen, die Musik machen, ist relativ wenig davor als Demo oder Idee da und fertig.    

(* das Gespräch fand am 31.01. statt)
 
Wen würdest du als deine musikalischen Vorbilder und Einflüsse bezeichnen?
 
Schwierige Frage. Das hat sich immer wieder gewandelt und setzt sich aus vielen verschiedenen Facetten zusammen. Als ich angefangen habe, mich selber für Musik zu begeistern und ich so dachte, ich will eine Band haben, da waren das Sachen wie Franz Ferdinand, später kamen deutschsprachige Sachen dazu. Das war dann auch, wo mir klar wurde: Ich will gern Texte schreiben, aber auf Deutsch fällt mir das leichter. Die Goldenen Zitronen oder Tocotronic. Später dann auch Abwärts und Fehlfarben. Man hat dann schon gesehen, wie andere es machen. Es gibt aber nicht so was wie konkrete Vorbilder. Später wird es dann auch wieder soundspezifischer. Fugazi hat mich schon immer geprägt, das fand ich einfach eine tolle Band. Auch vom Live-Zusammenspiel und den Gegensätzen in der Band, das fand ich immer spannend auch in Hinsicht auf Die Nerven. Man hat gesehen, die spielen zusammen und dann auch wieder gegeneinander und es ist total toll, dass man diese Möglichkeit so hat. Nicht irgendwie alle für einen Frontmann oder jemanden, der vorne steht, sondern mal mit- und mal gegeneinander. Mal so, mal so, mal so. Gar nicht als Konkurrenz gesehen, sondern als musikalisches Stilmittel.
Jetzt mit den Talking Heads war es eher so, dass ich die erst vor drei Jahren entdeckt habe und plötzlich alles Sinn gemacht hat. Wieso kannte ich diese Band noch nicht? Das war das fehlende Schlüsselelement, jetzt macht alles Sinn, was ich musikalisch mache. Natürlich hat das mit dem Basssound von Tina Weymouth zu tun und ich dachte so: Ja krass. Natürlich ist es so, dass bei Franz Ferdinand und Bloc Party und LCD Soundsystem, den ganzen Bands aus den Nullerjahren, ein großer Talking Heads Einfluss da ist. Es ist viel Art Punk was ich damals gehört habe. Talking Heads sind ja die Erfinder von Art Punk in dem Sinne, dass es sehr konzeptionell gedachte Musik ist, die auch Punk ist, aber auch groovy und diese ganzen Einflüsse mit reinnimmt.
Ich entdecke ja ständig neue Musik oder Sachen wieder neu für mich, wo ich dann denke: ja, das ist voll inspirierend. Das finde ich toll.
Zum Beispiel The Slits. Da habe ich letztes Jahr das Buch von Viv Albertine gelesen, dann hört man es wieder mit neuen Ohren. Was war das für eine geile Band damals. Eigentlich die beste Punkband aus London, die es gab. Also besser als alle anderen. So viel innovativer. Alle sagen immer The Clash, die hatten diese Dub- und Reggae-Einflüsse. Letztendlich hatten The Slits das ja schon viel früher und auch viel besser, aber halt rougher. Das fand ich cool, wie Viv Albertine Gitarre spielt, oder wie Ari Up sich bewegt auf der Bühne, ihre Moves, das finde ich inspirierend.
Ich finde es schwer zu sagen, ich habe Vorbilder, weil es das viel zu sehr einschränkt auf eine Person. Es gibt einfach wahnsinnig viele tolle Menschen, die Musik machen oder performen, die mich inspirieren.
 
Du hast Tocotronic ja gerade schon genannt, was für ein Gefühl war es für dich, als sie zugesagt haben im Video zu „Angst“ mitzuwirken?
 
Ich bin gestorben innerlich. Ich weiß auch immer noch, wie aufgeregt ich war. Das war echt ein krasser Moment. Die haben mich jetzt nicht meine ganze Jugend begleitet, aber es gab zwei, drei Jahre, die unfassbar intensiv waren, so zwischen 18 und 20, wo ich richtig viel Tocotronic gehört habe. Die bedeuten mir auch wahnsinnig viel und haben wirklich einen Teil des Soundtracks meines Lebens mitgeschrieben. Plötzlich sind die in unserem Video und spielen uns. Da weiß man jetzt nicht ob man lachen oder weinen soll vor Freude, weil man es nicht fassen kann. Das ist auch ein Punkt, den ich später immer wieder erlebt habe: Eigentlich sind es völlig liebe Menschen und das war auch ein bisschen eine Bestätigung: Ja, ich hatte schon die richtigen Lieblingsbands.



Wie lief der Dreh ab wurde das gemeinsam oder getrennt gefilmt und dann zusammengeschnitten?
 
Es gab zwei Drehtage. Am ersten haben wir zusammen mit Tocotronic im Jugendhaus gedreht. Die Außenszenen, wie wir anreisen usw. haben wir dann einen Monat später gedreht.
 
Du hast es vorhin schon angesprochen, dass du nach dem Release von FUN kurz dachtest, dass du jetzt oft erkannt und angesprochen wirst. Hast du das Gefühl, dass sich da im Laufe der Fake-Ära etwas verändert hat? Ihr habt ja seit dem Release nochmal ordentlich an Bekanntheit zugelegt.

Ja, schon ein bisschen. Vor kurzem stand ich am Bahnhof in Berlin und da kam jemand ganz schüchtern her und meinte „Du bist doch der Julian von Die Nerven“ und er wollte nur sagen, dass er die Musik ganz toll findet. Das fand ich auch schön. Sowas passiert ein bisschen öfter als vorher. Oder auch, dass Max Gruber mich gefragt hat, ob ich mit Annette Benjamin zusammen Musik machen will, weil sie hat Songs und man könnte die mal wieder spielen, aber er wollte da nicht, dass man irgendwie Songs schreibt, sondern dass da eine Band im Proberaum steht und macht zusammen Musik. Dass er da an mich gedacht hat, hat mir gezeigt: Hey, ich werde von Leuten als ernstzunehmender Musiker anerkannt, das hat sich auch ein bisschen mehr gehäuft. Ich glaube wir haben es mit „Fake“ geschafft, unseren eigenen Sound zu manifestieren und, dass man uns kennt. Dass man weiß, was wir machen, natürlich nicht überall, aber in unserer Nische und in unserer Nische sind wir ja schon groß auf jeden Fall. Man wird wahrgenommen und wertgeschätzt. Früher wurde man schon auch mal wahrgenommen, aber man wurde nicht immer wertgeschätzt. Das musste man sich schon erarbeiten und dranbleiben.
Und das ist auch schön im Rückblick darauf, dass es mal kurz auf der Kippe stand – dass „Fake“ uns auch zusammengebracht hat als Band und auch in der Wahrnehmung und Außenwahrnehmung.
 
Welche Frage würdest du gerne mal gestellt bekommen?
 
Da hatte ich mal eine, aber die habe ich natürlich vergessen.
Lieblingstier, oder Lieblingsessen. So normale Fragen halt.
 
Was ist dein Lieblingstier?
 
Meine Lieblingstiere sind Katzen, auf jeden Fall. Ich bin eigentlich immer glücklich, wenn eine liebe Katze da ist. Leider habe ich ja selber keine Katze, bzw. nur bei meinen Eltern. Ich freue mich immer, wenn ich liebe Katzen kennenlerne.
Ich bin manchmal auch echt schlecht gelaunt oder nicht gut drauf, aber eine Katze kann mich da rausholen.
 
Katzen können alles, Katzen retten die Welt.

 

 

 

Autor_innen Box
Mar ist hauptberuflich Bibliothekswesen, engagiert sich nebenbei im Die Nerven Fanclub und unternimmt an Wochenenden und im Urlaub gern viele Konzertreisen. Mar stöbert gern in Plattenläden auf der Suche nach neuer Musik, denn es gibt immer etwas Zu entdecken.

Meistgesehene Band: Die Nerven (30 Shows)
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