Habt Ihr Bock auf Obst?

26.07.2006 | 53 Kommentare | lindihopp

Zurück zu... ja was denn nun? Tiere, Blumen, der Apfelmann. Diskussionen allenthalben über eine aktuelle Erscheinung in deutschsprachiger Popmusik.
Erst kam das neue Blumfeld-Album, an dem sich die Geister, sowohl in der Musik-Presse, im Feuilleton, als auch in the streets, schieden. Die einen waren begeistert, die anderen fanden es doof, vor allem ob der völligen Offenheit der Texte. Und JD weigerte sich, die Hörer bei der Interpretation zu unterstützen. Jetzt die neue Kante-Platte "Die Tiere sind unruhig". Schon wieder Tiere, möchte da die oder der eine oder andere sagen.

Neulich in der 8mm-Bar mischte sich unser Tischnachbar in ein Gespräch über "Verbotene Früchte" ein, das ich mit einem Freund führte. Er stellte die These in den Raum, es handele sich hier um eine Rückkehr zur Bürgerlichkeit. Eine These, die er sicherlich nicht als einziger aufstellt.

Mich persönlich hat ein Zitat aus der letzten Spex von Oliver Tepel sehr inspiriert: "Alle lachen über den 'Apfelmann'. Doch was tut der Apfelmann? Er pflegt sorgsam jene Kreationen und Vielfältigkeiten, die er benennen kann. Deshalb muss er um sie wissen. 'Artenvielfalt' und 'Detailwissen' sind konstruktive Gegenargumente zu dem, was der globale Markt produziert."

Also, was ist das mit dem Obst, den Blumen und den Tieren? Zurück zur Bürgerlichkeit, auf die eigene Scholle? Oder doch eine Gegenbewegung zu Globalisierung und Vereinheitlichung? Geht das eine mit dem anderen Hand in Hand? Zunächst mal ist es wohl einfach Popmusik. Da liegt das Verständnis, der "Inhalt", wie es bei Kunst so ist, im Auge des Betrachters bzw. hier im Ohr der Hörer.

Für mich ist diese Entwicklung von daher interessant, weil sie die Hörer noch mehr dazu herausfordert, sich mit den Texten und damit mit der Welt auseinander zu setzen. Was spannend ist, wenn man Lust dazu hat.
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Kommentare

cleo am 26.07.2006 um 12:30 Uhr:

spießig und bürgerlich wirds, wenn über wort und tat nicht mehr reflektiert wird. da dies nicht der fall ist, sind diejenigen, die´s einfach als spießig abstempeln, genau das. und warum nicht über obst und tiere und pflanzen singen? besser als noch ein i-love-you-baby-scheiß. blos weil das menschviech aus dem fokus der betrachtungen raus ist, ist das menschviech beleidigt, denn von fabeln, metaphern und gleichnissen hat es ja noch nie was gehört.

lindihopp am 26.07.2006 um 12:49 Uhr:

wobei man ja schon unterscheiden muss zwischen bürgerlich und spießig. gerade in anbetracht der tatsache, welche entwicklungen, die unser leben bis heute beeinflussen, im 19. jahrhundert aus dem bürgertum kamen, möchte ich diese beiden wörter ungern als äquivalent sehen. und wenn man hier von einer neuen bürgerlichkeit spricht, geht es ja, in meiner auffassung, um eine rückzugsbewegung.

kaThr!N am 26.07.2006 um 13:05 Uhr:

Sowas in die Richtung wollte ich auch gerade schreiben. Der Vorwurf will wohl eher "zurück in die Biedermeyer-Kleinbürgerlichkeit" ausdrücken.
Das Bürgertum als Träger der Aufklärung und als Kämpfer für eigenständiges Denken und Mitbestimmung kann da wohl nicht mit gemeint sein. Wobei auch dieses Denken eng mit dem Rückzug ins Private, in Salons und Kaffeehäuser, zusammenhängt weil eine Politisierung der Bürger damals erst im Privaten möglich wurde..

Insofern ist "zurück zur Bürgerlichkeit" vielleicht sogar ohne es zu wollen ein Kompliment.

Wie wir post-postmodernen Geister (sind wir langsam soweit? keine Ahnung) uns allerdings noch aufklären sollten, wo wir doch dauernd nach Reflexion schreien und Rückzüge ins Private anklagenswert werden, was wir überhaupt wollen können ist mir noch etwas schleierhaft. Ach.

kaThr!N am 26.07.2006 um 13:06 Uhr:

biedermeier mit i

lindihopp am 26.07.2006 um 14:05 Uhr:

ja, kathrin, word! genau das wollte ich mit meiner antwort sagen. deswegen ja auch die frage, ob die rückbesinnung auf die bürgerlichkeit und die gegenbewegung zu globalisierung eventuell hier sogar zusammengehen oder etwas miteinander zu tun haben.

der begriff diskurs-pop ist ja bei blumfeld schon immer am start. und wenn man sich die reaktionen auf postmoderne theorien ansieht, kann man hier eventuell auch einen zusammenhang mit dem trend zum tier feststellen: die absenz von wahrheit und essenz ist es ja einerseits, was postmoderne theorie ausmacht (jetzt mal ganz grob gesagt). andererseits ist es aber genau das, woran sich die rezipienten derselben reiben. denn wo kommen wir hin, wenn es keine wahrheit mehr gibt? dann hängen wir in der luft.

und vielleicht setzt genau hier "verbotene früchte" ein: es führt den konflikt zwischen sinnhaftigkeit und sinnleere eindrucksvoll vor augen. könnte man so sehen.

cleo am 26.07.2006 um 14:14 Uhr:

ok, ich war auch in der schule (wer hätte das gedacht) und weiß durchaus, dass der begriff bürgertum einen Bedeutungswandel durchlaufen hat. aber dieser bedeutungswandel ist eben geschehen und deswegen kann ich getrost auf die bürgerlichkeit (im sinne von biedermeier-kleinbürger)schimpfen ohne damit irgendeinen aufklärer zu beleidigen. das mit dem schimpfen es nicht getan ist, kann man gerne im steppenwolf nachlesen, oder auch nicht. für die rest-tirade bin ich grad zu antriebslos.

kaThr!N am 26.07.2006 um 14:24 Uhr:

Juhuu Lindi!

Ich weiß gar nicht, ob man da die Globalisierungskiste aufmachen muss. Was soll das überhaupt sein, Globalisierung. Blub.

Eben diese postmoderne Debatte würde mich auch eher dahin brinen:
Für die Bewegung gegen Bewegungen ("es ist zu spät für..")?

Oder geht jetzt das Wortspiel mit mir durch? Warum nicht mal Inhalt durch Form bestimmen lassen. Stroboho.

kaThr!N am 26.07.2006 um 14:28 Uhr:

Aber auch das haben sie sich vor hundert Jahren auch schonmal gedacht und haben sind nicht besonders weit damit gekommen. Wir drehen uns im Kreis, Ende der Geschichte? Mann ich blicke nicht durch aber finde das soo spannend.

kaThr!N am 26.07.2006 um 14:31 Uhr:

Kann ich nicht bitteschön mal einen Kommentar ohne blöde Schludereien abschicken? Diesen hier?

pony_rieneck am 26.07.2006 um 14:32 Uhr:

form macht inhalt finde ich einen interessanten punkt, grade bei strobohobo. das erinnert mich an einen text von franzobel (krautflut?), indem die handlung abwechselnd von sematischen und dann wieder von phonetischen ähnlichkeiten vorangetrieben wird. gefällt mir, so als alternative zum klassischen "sinn machen". warum nicht mal alleine deshalb zoff mit mr. moto haben, weil er mr. moto heißt.

kaThr!N am 26.07.2006 um 14:47 Uhr:

Ha, die neue feministische Front auf mh.de. Nieder mit der männlichen Vorherrschaft in Diskussionen! Bewegung, marsch marsch!

Franzobel? Kenn ich gar nicht. Klingt ja interessant.

pony_rieneck am 26.07.2006 um 14:52 Uhr:

österreicher, bachmann-preis-bürschchen. das letzte, was ich von ihm gelesen habe, war ein ganz schöner aufsatz in einer literaturzeitschrift, warum kritiker zu doof seien, ihn zu verstehen. eingebildeter fatzke, aber zu recht.

lindihopp am 26.07.2006 um 15:20 Uhr:

globalisierung: das fass macht der herr tepel auf. ich verstehe ihn da so, dass eben dieses besinnen auf 'Artenvielfalt' und 'Detailwissen' dem ganzen etwas entgegensetzt. also der apfelmann vs. starbucks sozusagen.

inhalt follows form: ist ja nicht die neueste idee, s. stream of consciousness. aber dennoch ein interessantes konzept, nach wie vor.

und jetzt noch der senft zur postmoderne, kathrin: mit "es ist zu spät für..." meinst du sowas wie das ende der metaerzählungen?

kaThr!N am 26.07.2006 um 16:25 Uhr:

Macht Herr Tepel das irgendwo bei Blumfeld fest? Ich meine nicht, dass er da einfach einen thematischen Gegenpol sieht, sondern das in den Texten dieser Bezug hergestellt wird?
So genau hab ich die Lyrics nicht studiert um das jetzt spontan sagen zu können. Dichotomien finden kann man immer viele. Interessant ist doch, ob die Themen in den Stücken angelegt sind, oder ob man innerhalb einer Diskussion über zB Globalisierung die Musik (dementsprechend interpretiert) als Untermalung einer Position hernimmt. Ohne dass die Debatte in der Musik selber schon eröffnet wird.

"es ist zu spät für.." "..die alten Bewegungen", hab ich eigentlich nur gemeint. Das Ende der Erzählungen klar, aber das hattest du ja im Prinzip schon festgestellt. Eher diese Kristallisationssache (bring ich ja immer mal wieder gerne) oder das, was Derrida anscheinend mit "rasendem Stillstand" bezeichnet. Kennt sich jemand damit aus? Ich hab wenig Ahnung von Derrida aber ich finde diesen Ausdruck genial.

kaThr!N am 26.07.2006 um 16:28 Uhr:

Pfui Teufel bitte diesen pein-li-chen Mist überlesen! Erbitte Absolution!

pony_rieneck am 26.07.2006 um 17:02 Uhr:

(mädchenmodus an) ich hab ein autogramm von derrida! (mädchenmodus aus)

mcmuse am 26.07.2006 um 17:07 Uhr:

wahnsinn! ein kompletter thread an dem nur mädels teilnehmen. geschlechtertrennung bei mh.de?!

pony_rieneck am 26.07.2006 um 17:08 Uhr:

ja, wir machen hier jetzt einen auf ganz billigen distinktionsgewinn.

lindihopp am 26.07.2006 um 17:19 Uhr:

was sagt das jetzt über dich, wenn du den geschlechterbann durchbrochen hast? dass du tief in deinem herzen auch ein mädchen bist?

als nächstes gibts dann einen all-female fußballthread. mädels, ich warte auf themenvorschläge (abseits von ... ist süß). beispielsweise "nationalismus im fußball revisited - was wir von hobbesbawm lernen können" oder auch (in anlehnung an christoph gurk) "panini bildchen sammeln und anale fixierung".

wir können uns ja demnächst mal beim einen oder anderen wodka-traubensaft oder eierlikörchen zu einem derrida-gesprächskreis zusammenfinden.

Marquant am 26.07.2006 um 17:22 Uhr:

female, feel male...

pony_rieneck am 26.07.2006 um 17:22 Uhr:

ich bin für "problematik alpha-male - warum männer angst vor olli kahn haben". dazu einen schönen halbsauren kirschlikör und etwas gebäck.

lindihopp am 26.07.2006 um 17:29 Uhr:

sehr schön! vielleicht gönnt uns der könig auch eine eigene rubrik "fußball und gender" oder auch "feministische diskurse über populärkultur"?

pony_rieneck am 26.07.2006 um 17:35 Uhr:

oder auch "das ist doch alles genderfasching".

lindihopp am 26.07.2006 um 17:36 Uhr:

am besten!

kaThr!N am 26.07.2006 um 17:44 Uhr:

Folgende Assoziation:
everything turns into design, sooner or later.

(danke C_aka / Cocka Hola Company)

Schönes Beispiel ist das hier gerade, wie ich finde ;-)

lindihopp am 26.07.2006 um 17:54 Uhr:

ja, aber das ist es ja eben. die postmoderne hier nicht verstanden wie lyotard, also grob gesagt der mit den metaerzählungen, sondern die postmoderne nach jameson als spätkapitalistischer gemischtwarenladen, aus dem sich jeder seine existenz, seinen style etc. aus zitaten zusammenzimmert. was anderes tun wir hier ja auch nicht. puh!

pony_rieneck am 26.07.2006 um 17:55 Uhr:

in frankreich gibt es dafür ja eine eigene ladenkette: mr bricolage.

kaThr!N am 26.07.2006 um 19:34 Uhr:

@Lindi:
Für mich geht das wunderbar zusammen, läuft doch auf das gleiche raus.
Das Zitat hab ich aber übrigens eher auf den Verlauf dieses Threads bezogen. Nichts (gut, sagen wie "wenig") entsteht, ohne früher oder später in irgend einem Label zu gerinnen.
Aus der spontan entstandenen Diskussion, die einfach ist wie sie ist, wird die hochstilisierte Marke 'Genderfasching'.

lindihopp am 26.07.2006 um 20:39 Uhr:

ja, und das ist doch auch großartig, oder nicht? in meinem kopf gibts schon t-shirt-designs, dazu geeignet sich an der uni mal richtig unbeliebt zu machen. so muss es sein!

Christian_alternakid am 27.07.2006 um 09:57 Uhr:

na da schau an, eine seitenlange diskussion, an der ich nicht beteiligt bin? was ist denn los in motortown?

erstmal zurück zu blumfeld: ich habe für meinen teil mich entschlossen, JDs ersten satz ("Und weiß wie Schnee ein Blatt Papier / Liegt da und fragt: „Wie geht es Dir?“ / Ich mach mir meinen Reim / Und singe, was ich seh´") als programm für verbotene früchte zu nehmen und versuche mich dem natürlichen blumfeldtrieb zu widersetzen und keine (gesellschafts-)politische interpretation zu wagen. für mich ist VF oftmals ein rückgriff auf die Romantik, circa Eichendorff. er singt, was er sieht.

das "neue bürgerlichkeits"label mag ich sowieso nicht, weil es aus einer arroganten perspektive heraus dem irrtum erliegt, dass derjenige, der die anderen mit neuer bürgerlichkeit negativ belabelt, eben der bürgerlichkeit nicht erliegt und ein leben als boheme oder zumindest frei von gesellschaftlichen zwängen leben würde - was selbstredend in grob geschätzten 99% unsinn ist. blumfeld in diesem bewusst negativ besetzten bereich (und auch hier stimme ich obigem zu: bürgerlichkeit an sich negativ zu sehen, ist ein verkürztes denken und entspringt einer verzerrten weltsicht) zu verorten, funktioniert natürlich nicht, denn wo rekurriert sich Distelmeyer denn wirklich auf (spieß)bürgerliche werte? er entzieht sich doch vielmehr (zum großteil) in den texten und (völlig) in den interviews einer politisierung sowohl der einen wie der anderen art. eine entpolitisierung an sich aber als indiz einer neuen bürgerlichkeit zu werden, ist doch unsinn. wo steht denn der neuen bürgerlichkeit entgegen, dass sie sich zu gesellschaftspolitischen aspekten äußert? gerade das doch nicht, im gegenteil, sie vertritt ja eine gesellschaftspolitische ansicht, selbst im bewusst negativ besetzten bereich (weswegen die neue bürgerlichkeit ja auch als schimpfwort benutzt wird, weil sie für gewisse einstellungen stehen soll).

lindihopp am 27.07.2006 um 10:21 Uhr:

aber christian, genau deswegen haben wir doch versucht, bürgerlichkeit von spießigkeit abzusetzen. der junge mann, der diese these brachte, meinte sie höchstwahrscheinlich im negativen, spießbürgerlichen sinn. wenn man sich nun aber auf eine idee vom bürgertum bezieht, wo es eben, wie von kathrin geschrieben um aufklärung und politische mitbestimmung geht, dann könnte ein schuh draus werden. und zwar im sinn einer rückzugs- oder auch gegenbewegung, die versucht eigene akzente zu setzen (s. artenvielfalt).

und dass man das so einfach aus den texten herauslesen kann, will ja keiner behaupten. also ich zumindest nicht. im gegenteil, ich würde bei der wahrnehmung/interpretation von kunst von der rezeptionsseite ausgehen, statt hermeneutisch zu fragen "was will uns der künster sagen". sondern: die texte sind offen, das ermöglicht es den hörern, diese so zu rezipieren, wie sie sie wahrnehmen.

lindihopp am 27.07.2006 um 10:22 Uhr:

streich das letzte wort und ersetze es durch verstehen (wollen)

Christian_alternakid am 27.07.2006 um 10:42 Uhr:

eh ja, ich hab euch doch nur zugestimmt. nicht?

Björnstar am 27.07.2006 um 10:42 Uhr:

ich möchte blumfeld bürgerlichkeit in keinem sinn unterstellen. ich sehe JDs texte eher als chiffren, er verbaut sich mit worten, was er früher direkt ansprach, und spricht es nun durch die blume. wenn die meute den apfelmann singt, dann singt sie den eigentlichen protest gegen das vorherrschende gesellschaftliche und politische miteinander.

kaThr!N am 27.07.2006 um 11:34 Uhr:

Aber was, wenn die Meute das nicht bemerkt?
if men define situations as real, they are real in their consequences.

Natürlich kann sich dabei derjenige, der die einzig wahre, tiefe politische Dimension eingebaut oder erkannt hat ob der dummblöden Massen - SEIN Publikum immerhin - ins Fäustchen lachen. Und weiter?

Will damit nicht sagen, dass ich die Freude am Ver- und Entschlüsseln von Botschaften nicht teilen würde. Spielt dabei auch überhaupt keine Rolle ob das als bewusst versteckt wurde oder nicht. Je vielschichtiger umso besser, immer wieder was neues darin finden können, super. Aber das als "Ätsch, ich sehe was was du, Pöbel!, nicht siehst" aufzuführen oder so zu verstehen fühlt sich nicht nur gut an sondern ist auch ganz schön arrogant. Würde ich Blumfeld aber gar nicht unterstellen.
Ich hab keine Ahnung von denen.

Christian_alternakid am 27.07.2006 um 12:25 Uhr:

blumfeld waren doch auch früher nicht so, dass sie "Deutschland verrecke!" gesungen hätten. Eine Eigene Geschichte ist ja auch codiert, nur dass man nicht umhin kann, sofort zu merken dass es da irgendwie um Politik geht. jetzt ist doch eher die frage, ob es eben überhaupt noch um Politik geht. alle interviews sprechen dagegen, aber JD ist ja auch bekannt dafür, gerne mal in interviews unwahrheiten zu erzählen.

Christian_alternakid am 27.07.2006 um 12:32 Uhr:

meine lieblingsstelle aus Risiko Des Ruhms von Rocko Schamoni muss aufs neue zitiert werden:

"Jochen saß oft schweigend daneben und dachte nach. Er war ein bisschen unser Sonderling, professoral zerstreut und gleichzeitig sehr überlegt, verbrauchte er seine meiste Energie zum Reflektieren, während er als einziger von uns immer einen Likör vor sich hatte. Er linste uns durch die dicken Gläser seiner Nickelbrille an und schließlich gab er einen Satz von sich, der ungefähr wie folgt geklungen haben dürfte: "Weg ist klar, Ziel ist klar, die Zeit der Grabenkämpfe ist vorbei, wir müssen unsere sensitive Produktivität bündeln, intellektuelle Zärtlichkeit kann als Waffe ungemein klärend wirken, legen wir uns auf den Boden und schießen uns selber ab!""

Björnstar am 27.07.2006 um 12:39 Uhr:

oh, das klau ich mal.

lindihopp am 27.07.2006 um 13:00 Uhr:

und diese stelle kannst du auswendig, christian? oder hast du das büchlein immer bei dir?

ob es da um politik geht oder nicht, ist ja eben die frage. the private is the political. ich denke halt, dieses weiße blatt papier bietet eben die möglichkeit, das auf vielerlei weise zu verstehen, eben auch politisch. tepel spricht von einer neuen pop-sprache, die jd spricht, und die noch keiner versteht.

Christian_alternakid am 27.07.2006 um 13:39 Uhr:

naja aber tepel schreibt schon sehr aus der fanboyperspektive. so weit muss man nicht gehen.


die interessante frage ist doch vielmehr, warum sich JD so strikt dagegen weigert, in interviews politische deutungen zuzulassen. will er dass jeder seinen eigenen reim darauf macht oder ist es eben tatsächlich apolitisch gemeint, eine art konzeptalbum?


die stelle ist doch grandios, nicht? love it.

kaThr!N am 27.07.2006 um 14:22 Uhr:

Welcher Antrieb steckt denn hinter dem Wunsch, Antworten auf diese Fragen zu finden?

Endlich sich in sorgloser Gewissheit im Stuhl zurücklehnen weil man weiß, dass man ein apolitisches Konzeptalbum in Händen hält? Und? Ist das dann so?

Reicht nicht erstmal die Feststellung, DASS er sich weigert, derartige Deutungen zuzulassen? Nur weil er sich selbst davon distanziert kann er sie doch nicht verbieten, das weiß der doch. Warum kann man es nicht ertragen, Leerstellen die einem jemand lässt auch als solche anzunehmen?
Leerstellen sind dazu da, gefüllt zu werden. Aber durch wen und wie es beliebt.

lindihopp am 27.07.2006 um 14:43 Uhr:

geht es eigentlich darum, antworten zu finden? vielleicht geht es ja auch nur darum, mal fragen zu stellen, nachzudenken. oder darum, dass wir uns hier die köpfe heiß diskutieren, trotz 38 grad. weil dass ist doch schon mal was gutes, an sich...

kaThr!N am 27.07.2006 um 14:55 Uhr:

Besonders gut, wenn man sich damit dauernd von seinen Hausarbeiten ablenken lässt! Ähm..

Christian_alternakid am 27.07.2006 um 16:30 Uhr:

na, ich sag doch die ganze zeit, dass ich keine politischen deutungen suche bei VF.

und feststellungen ohne sich zu fragen warum, sind doch langweilig. das warum ist doch immer das interessante. und Distelmeyer ist nun mal der wichtigste kommentator des bundesrepublikanischen lebens, den die deutsche musikszene in den letzten 15 jahren hervorgebracht hat. selbstredend ist es da interessant zu wissen, warum er diesmal keine politischen deutungen will. schau dir Testament der Angst an: eine völlig andere geschichte, warum nun nicht mehr? eine gute frage einfach. definitive antworten kann man ja eh nicht finden, aber überlegen...

lindihopp am 27.07.2006 um 16:43 Uhr:

wir können jd ja fragen, wenn wir ihn das nächste mal sehen. vielleicht sagt er uns ja mehr als den journalisten? wir könnten sprechchöre skandieren beim nächsten blumfeld-konzert:

jochen sag uns warum, warum
machst du ein apolitisches konzeptalbum?

Christian_alternakid am 27.07.2006 um 16:49 Uhr:

gut, und bongos mitbringen.

sprecht ihr eigentlich JD in der abgekürzten version auch immer englisch aus?

lindihopp am 27.07.2006 um 16:50 Uhr:

na aber klärchen: jay dee

bongos? du hippie!

kaThr!N am 27.07.2006 um 17:10 Uhr:

Naja ich glaub ich wollte nur diese bei solchen Fragen mitschwingenden Suche nach d e r Erklärung deutlicher vom Tisch fegen. Dabei geh ich ja gar nicht davon aus, dass du, Christian, das so verstehen würdest. Haarspalterei erstens und zweitens kommt das eh unterm Strich aufs selbe raus, ob ich jetzt besagte richtige Erklärung suche oder eben die für mich sinnvolle(n).

Trotz allem weiß ich nicht genau, was ich davon hätte, wirklich zu wissen was da in den Herrschaften vorgeht. Würde ich mir das dann anders anhören? Auch nichts zu sagen ist ja schon ein ziemliches Statement. Ob ich nun dieses habe oder eine Offenlegung sämtlicher bewusster Motivationen macht an irgendeinem Punkt keinen Unterschied mehr.
Es wäre ja zB. absurd, wenn sie erklären würden warum sie nichts erklären wollen. Das gehört doch alles zusammen.

lindihopp am 07.08.2006 um 20:57 Uhr:

jochen sag uns warum, warum
machst du ein apolitisches konzeptalbum? - in einem spex-interview von 1994 zur damals schon einmal geführten diskussion um eine deutschquote sagt er uns eigentlich schon, warum. (danke motor und barni, die das heute bei pp3k wieder ausgegraben haben)

JD: "Sowohl Kunze als auch die Journalisten verstehen sich nur auf eine Sprache. Das ist die Sprache der Identität, die immer schon Ausdruck eines Gewaltverhältnisses ist. Deshalb erfüllt es sie mit Schrecken, wenn sie bei der Suche nach dem "Eigenen" immer schon auf das Andere stoßen. Sie flüchten sich in ein dogmatisches Wahrheitssystem, mit der totalitären Forderung, denselben Klartext zu sprechen, wie sie selbst."

kann man durchaus in einem zusammenhang mit der uneindeutigkeit des aktuellen albums sehen, finde ich.

lindihopp am 07.08.2006 um 21:25 Uhr:

berichtigung: das interview ist von 96.

cleo am 08.08.2006 um 00:22 Uhr:

mal ne dumme frage, denn wofür wäre ich hier sonst zu gebrauchen: bezieht sich die geforderte deutschquote eigentlich nur auf deutsche künstler, die deutsch singen - oder es zumindest versuchen, oder auch auf solche, die zwar deutsch sind, aber in einer anderen sprache versuchen, mit dem publikum zu kommuniziern? und wo hört das deutschsein dann auf? oje, so oft das d-wort...

motorhorst am 08.08.2006 um 08:09 Uhr:

Eine gute Frage, cleo. Das ist auch immer schon der erste Stolperstein bei der ganzen Diskussion. Ich befürchte fast, die Leute meinen tatsächlich deutschen Gesang (hauptsächlich wahrscheinlich, um selbst mit dabei zu sein). Mit anderen Worten: Heinz Rudolf Kunze, Howard Carpendale und Roger Whitaker dürfen gespielt werden, The Notwist oder Slut eben nicht.
Aber im Großen und Ganzen geht es eh nicht drum, irgendwelchen Underground-Acts (wenn es die heute noch gibt) eine Chance zu geben, sondern dem ganzen Julimond-Brei, Xaver und Pur noch mehr Airplay zu geben als sie eh schon haben.
Aber glücklicherweise ist die Diskussion momentan eh nicht aktuell.

Den Blumfeld-Artikel von 96 findet man übrigens hier.

Christian_alternakid am 08.08.2006 um 09:14 Uhr:

nein, wenn ich es richtig verstanden habe, war die forderung "deutsche produktion". notwist würden dann also rauf und runter, schulter an schulter mit modern talking gespielt werden. nur durchschnittliche airplayverbesserung für blumfeld, though.

(wobei das wahrscheinlich auch von gerade aktuell fordernden abhängt)


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