Deutschlandreisen

01.08.2008 | 1 Kommentar | motorhorst

Gernstl auf den Spuren von Roger, Kracht und Hein
Gernstls Deutschlandreise
Franz X. Gernstl geht ab nächsten Donnerstag im BR wieder auf Reisen. Um 20.15 ist er donnerstags und samstags insgesamt 15 Folgen lang unterwegs. Die Episoden tragen dabei vielsagende Namen wie "Im Schwarzwald", "Vom Jadebusen nach Holland" oder "Von Niederbayern nach Tschechien". Wer die herausragende Fähigkeit Gernstls - das Zuhören und gleichzeitige Entlocken wunderbarer, kleiner Geschichten aus wildfremden Menschen - kennt, freut sich schon jetzt auf kurzweilige Stunden.

Roger Willemsen - Deutschlandreise
Bereits im Sommer 2001 war Roger Willemsen in ganz Deutschland unterwegs und sammelte Geschichten aus deutschden Orten wie Bad Kleinen, Lichtenhagen oder Gorleben. Skizzenhaft werden Land und Leute beschrieben und Willemsen beweist dabei, dass er ein aufmerksamer Beobachter, vor allem aber ein beängstigend guter Schreiber ist, der es schafft, mit wenigen Worten Stimmungen so näherzubringen, dass man sie direkt mit der Magengegend fühlt. Uff. Das heißt aber nicht, dass er vor seinen typischen Schachtelsätzen ganz zurückschreckt, die eine jede Lesung von ihm zum unvergesslichen Erlebnis machen - Motto: "Wie ging der Satz da gerade los? Naja, der Mann da vorne wird ihn sicher zu Ende bringen..." und das tut er dann auch.

Das Hörbuch, von Willemsen selbst gelesen, ist eine Ohrenweide und vor allem bei langen Autobahnfahrten ein wunderbarer Begleiter (selbst getestet).

"Dann fährt man durch den Schatten zerfallener Rotklinkerbauten mit Lupinen, die bis zu den Fensterbrettern schaukeln und während man glücklich zusieht, wie die Vegetation übernimmt und die Kultur den Rückweg in die Natur antritt, sagt der Zugführer mit getragener Stimme:' Nächster Halt: Bad Kleinen. Alle Ihre Anschlüsse werden erreicht.' Nicht von Jedem."

Christian Kracht - Faserland
Der Klassiker der Pop-Literatur beschreibt die Deutschlandreise seines Romanhelden, die auf Sylt beginnt und auf dem Genfer See endet (Ja, auch hier ist der Begriff der Deutschlandreise nicht ganz so eng zu sehen und hat auch wie in allen Beispielen nichts mit "und morgen die ganze Welt" zu tun). So gut war die Pop-Literatur nie mehr und Kracht leider auch nicht. Blasiert, von oben herab, desillusioniert und -end, faszinierend. Sollte man mindestens einmal gelesen haben. Pro Jahr.

Das Hörbuch wurde vom Autor in seiner ureigenen Art eingesprochen, ist aber im Moment wohl nur schwer zu bekommen.

"Varna war so billig, so vorhersehbar, so liberal-dämlich, dass es einfach nicht möglich war, sich ihre blöden Ideen anzuhören, ohne auszurasten und sie zu treten oder ihr zumindest aufs Maul hauen zu wollen."

Peter Hein - Geht so. Wegbeschreibungen
Der lapidare Titel sagt viel über das Selbstverständnis des Autors aus: Peter Hein, Sänger der Fehlfarben und von Mittagspause, einer der ersten deutschen Punks und die vielleicht größte Persönlichkeit unter den spärlich gesäten Szenefiguren des Landes, übt sich bereits auf dem Umschlag in klassischem Understatement. Deutet bereits sein - ohnehin bekanntes - Gespür für Wortwitz, -spiele und -neuschöpfungen an. Seine Reise folgt u.a Tourneen der Fehlfarben und besucht Orte wie Würzburg, Tuttlingen, Magdeburg, aber auch "Scheißkaff", "Irgendeine" und "Italien".

Wie gerne hätte ich hiervon ein Hörbuch, um die schönsten Textstellen noch einmal im Heinschen Tonfall zu hören.

"Bejogginganzugte Hartzer, frühverblühte Pluskassiererinnen, ein vom abrückenden Besatzer hinterlassener, mopsfideler Billy Mo, sie alle diskutieren ausgiebig frühverrentende Krankheiten, Weltreisen, Unterhaltungselektronik, Steuersparmodelle."
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Kommentare

Team Tacheles am 01.08.2008 um 11:24 Uhr:

Gernstl unterwegs ist ein Muss! Anschauen!
"Damals dachten wir, wir suchen einfach nur die besten Weiber, das beste Bier und die besten Bratwürste. Erst später ist uns aufgefallen: Wir waren auf der Suche nach Menschen, die wissen, wie man richtig lebt." Gernstl, Fischer und Ravasz (auch Freunde hinter der Kamera) hatten anfangs einfach nur Spaß am Rumfahren. 1983 schafften Sie es mit dem Freizeitspaß tatsächlich auch noch Geld zu verdienen. Der BR ließ die Drei machen und bewies Mut zum Experiment.
Für den ersten Einstieg sei jedem Gernstls Kinofilm „Auf der Suche nach dem Glück“ ans Herz gelegt – Episoden aus 20 Jahren werden hier wunderbar zusammengefügt. Eine anrührende Reise durch die Zeit, die authentischer nicht sein könnte.


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