Alben des Jahres 1967

Zu dieser Liste

Alle Versionen von Christian_alternakid

Version von Christian_alternakid :: 29.06.2021

1. The Velvet Underground & Nico von The Velvet Underground Nico

Nicht nur mein Album des Jahres 1967, sondern schlicht die beste und wichtigste Platte überhaupt.

Kurz bevor die Flower-Power-Zeit ihrem Ende zugeht, nehmen The Velvet Underground mit ihrem Debüt den Niedergang bereits vorweg. Die spätere Ablehnung der Hippies durch den Punk ist in diesem Album schon angelegt.

Lou Reed erzählt die ärgsten Geschichten aus dem Untergrund von New York - und zwar ohne seine Charaktere zur Schau zu stellen oder sie zu glorifizieren, sondern spricht vom Leben in den Straßen - und ist damit Autoren wie dem drogensüchtigen Situationisten Alexander Trocchi näher als irgendeinem Rock-Lyricisten seiner Zeit.
Lou singt über das Drogendealen ("Waiting for my man"), die Prostitution ("There She Goes Again"), seine Heroinsucht ("Heroin": "Heroin, be the death of me / Heroin, it's my wife and it's my life"..."And I feel just like Jesus' son") oder S/M ("Venus In Furs") und hat die Band, die seine Themen in angemessen verstörender Weise auf die Bühne bringt.

Ob das stoische Drumming von Mo Tucker oder der avangardistische Einsatz der Viola durch John Cale, ob Lous eigene, fast mehr gesprochene als gesungene Vocals oder Nicos tieftönende deutsche Stimme. Keine Platte klang jemals zuvor auch nur annähernd wie "The Velvet Underground & Nico". Nimm noch das Artwork von Andy Warhol dazu, die mythenumrankten Liveauftritte, die völlige Erfolgslosigkeit im Moment des Erscheinens und das Songwriting, das hinter all diesem Lärm und Krach ein minimalistisches Pop-Nugget nach dem nächsten versteckt und die Frage nach dem einflussreichsten Album der Geschichte ist beantwortet, bevor wir überhaupt darauf eingehen müssen, dass eine handvoll Genres nicht mal existieren würden ohne "The Velvet Underground & Nico": von Dream-Pop über Drone-Rock, von Indie (die Verzerrung) über Kraut-Rock (die Motorik) bis - natürlich - Punk (die Kompromisslosigkeit) kann man so vieles auf diesen Moment in 1967 zurückführen.

Trotz nur 30.000 verkaufter Platten bis in die Mitt70er und einer besten Hitparadenplatzierung von Rang 182 (!) in den Billboard-Charts ist Brian Enos Bonmot deshalb mehr als nur ein smarter Satz, sondern fängt die Wichtigkeit von "Velvet Underground & Nico" treffend ein: "everyone who bought one of those 30,000 copies started a band!".

Ich habe zwar nie eine Band gegründet, aber seit ich mit 17 erstmals in Kontakt mit dieser Platte kam, ist sie nicht nur über die Jahre stetig besser geworden, sondern hat dank ihrer Vielseitigkeit auch mit jedem Jahrzehnt anders zu mir gesprochen:
Es steckt eine ganze Welt, eine dunkle Welt, in dieser einen Scheibe Vinyl.


2. Songs Of Leonard Cohen von Leonard Cohen

33 Jahre war Leonard Cohen bereits alt, als er sein Debütalbum "Songs Of Leonard Cohen" veröffentlichte. Während Dylan 1967 nach einigen Exkursionen bereits wieder beim klassischen Folk angekommen war, startete Cohen also erst mit diesem Album voller reduzierter Folk-Songs, mit denen er kaum weniger als Dylan für die kommenden Jahrzehnte definierte, wie "Singer/Songwriter"-Musik zu klingen hat.

Cohen singt zwar keine direkten Protestsongs wie Dylan zu Beginn seiner Karriere, aber unpolitisch ist er keineswegs wie "Stories of the Street" oder "Master Song" zeigen. Cohen führt aber darüber hinaus eine poetische Initimtät in die Folkmusik ein, die sich in späteren Jahren noch deutlicher zeigen wird. Der bärtige Indie-Singer/Songwriter der Nuller Jahre hätte kein Dach über dem Kopf, ohne das Haus, das Cohen mit "Songs Of..." gebaut hat.

Mit "Suzanne", "Sisters of Mercy", "So Long, Marianne", "Hey, That's No Way to Say Goodbye" und meinem heimlichen Liebling "One of Us Cannot Be Wrong" ist "Songs Of Leonard Cohen" randvoll mit unzerstörbaren, ewigen Liedern. Cohens immer klare, aber nie simple Lyrics beeindrucken durch und durch.


3. Something Else By The Kinks von The Kinks

"Something Else" markiert einen entscheidenden Punkt in der Karriere der Kinks, die sich davon emanzipierten, eine Singles-Band zu sein und ihr erstes wirklich durch und durch überzeugendes 'Album-Album' veröffentlichten. Dass sie weiterhin eine hervorragende Singles-Band blieben (vielleicht sogar die beste der 60er überhaupt) zeigen "Mister Pleasant", "Autumn Almanac" und "Susannah's Still Alive", die allesamt nicht einmal auf dieses Album genommen wurden sowie natürlich die beiden von "Something Else" ausgekoppelten Songs: "Death Of A Clown" - einer der wenigen Dave-Davies-Songs - und "Waterloo Sunset", das krönende Statement von Ray Davies' großer Songwriting Karriere.

Aber gerade bei "Something Else" lohnt der Blick an den Singles vorbei: so ist "Harry Rag" eine typische Kinks'sche Charakterstudie, auf der 25 Jahre später Damon Albarn Blurs Brit-Pop-Karriere gründen würde (und übrigens Pate als Punkname für den Sänger der deutschen Post-Punk-Band S.Y.P.H.), dagegen führt aber "Situation Vacant" einen überraschenden Dylan-Highway61-Blues in den Kinks-Kosmos ein und "Tin Soldier Man" verheiratet das 'Knees-Up' der Kinks-Knaller mit Baroque-Pop, als würden Love von einer Marching Band begleitet.

Völlig verrückt, dass dieses beste aller Kinks-Alben den kommerziellen Niedergang der Band einleitete. Während sie in der ersten Hälfte der 60er auf Augenhöhe mit den Beatles und den Stones in den Charts spielte, war "Something Else" ein Flop. Gerade mal #35 im Heimatland und sogar nur #153 in den USA machen die 1967er Platte zur unerfolgreichsten Veröffentlichung der Kinks-Geschichte bis dahin.


4. Younger Than Yesterday von The Byrds

In vielerlei Hinsicht ein großer Schritt nach vorne für die Byrds, die sich hier dank düster groovigem Rock ("So You Want To Be A Rock 'N' Roll Star") und fernöstlicher Instrumentierung ("Mind Gardens") vom Dylan-Folk-Rock emanzipieren.
Das gesagt, der alles überragende Track auf "Younger Than Yesterday" ist aber auch diesmal wieder ein Cover von Onkel Bob: "My Back Pages", das wie schon "Mr Tambourine Man" erneut aus einer guten Dylan-Vorlage einen herausragenden Byrds-Song macht, weil sie daran erinnern, welches Melodiewunder Dylan sein kann, was man bei seinem eigenen Vortrag manchmal durchaus vergisst...

Mit dem von Bassist Chris Hillman geschriebenem "Have You Seen Her Face" ist auch gleich noch ein zweiter prototypischer Byrds-Song enthalten und als Kontrapunkt zu den gen Himmel strebenden Harmonien aus eben "...Face" und "My Back Pages" bringt David Crosby den Downer schlechthin ein: "Everybody's been burned before" ("...Everybody knows the pain"), was sich im Übrigen die Charlatans gut ein Vierteljahrhundert später als Refrain zu ihrem Madchester-Über-Klassiker "The only one I know" ausgeliehen haben.


5. Forever Changes von Love

Als ich damals in meinen frühen Zwanzigern "Forever Changes" von Love gekauft hatte, weil es ein ständiges Referenzalbum in allen möglichen Musikzeitschriften war, konnte ich nicht ganz die Begeisterung verstehen und hatte immer mehr Bezug zur früheren Garage-Rock Zeit der Band um Arthur Lee gefunden. Beim Wiederhören 20 Jahre später erweist sich "Forever Changes" aber als ein hervorragend gealtertes Album, das zurecht als Gründungspfeiler dieser seltsamen Musikrichtung Baroque Pop gilt. Zwar gibt es sicher einige Hits wie "Alone Again Or" und "A House Is Not A Motel", aber die Stärke von "Forever Changes" liegt vor allem im ganzheitlichen Soundentwurf und den differenzierten Arrangements.


6. Sergeant Pepper's Lonely Hearts Club von The Beatles

"Sgt. Pepper" hat weniger Hits als das gleichjährige Beatles-Album "Magical Mystery Tour", ist aber dafür natürlich das rundere Album
(außerdem muss man natürlich 'Beatles' heißen, damit jemand wie ich bei auf der Platte enthaltenen Songs wie "Sgt Pepper", "With A Little Help From My Friends", "Lucy In The Sky With Diamonds" und "A Day In The Life" von weniger Hits spricht...)

Die vielgelobte Konzeptalbum-Produktion von George Martin klingt für mich dagegen aus heutiger Sicht doch reichlich angestaubt und kann seinen Vaudeville-Charakter nur selten ablegen - wenn die Beatles aber den ganzen Zirkus-Krimskrams ganz am Ende hinter sich lassen und in "A Day In The Life" die Begrenzungen von Popmusik 1967 sprengen, dann sind sie phänomenal.

So schließt "Sgt Pepper" eben doch mit einem der größten Songs der Beatles und der 60er überhaupt.


7. Between The Buttons von The Rolling Stones

Die beiden bekanntesten Stücke auf "Between The Buttons", einem von zwei Rolling Stones - Alben aus 1967, sind sicherlich "Let's Spend The Night Together" und "Ruby Tuesday", die auch gut den Soundscope der Platte umreissen. Dabei überwiegen allerdings die ziseliert arrangierten "Ruby Tuesday"-esquen Stücke im Gegensatz zum auf die zwölf Rocknroll von "Let's Spend The Night Together".
"Between The Buttons" überzeugt vor allem als 'ganzes Album', mehr als jede Rolling Stones - Platte zuvor. Auch wenn Jagger, Richards, Jones & Co durchaus ihre Abzweigungen nehmen und sich für den Schlusstrack "Something Happened To Me Yesterday" offensichtlich den einen oder andere Kinks-Song zuvor angehört hatten. Neben den beiden oben genannten, zurecht berühmten Liedern sind das süß lächelnde "She Smiled Sweetly" und das düster groovige "My Obsession" besonders hörenswert.

*Wie so oft in den Mitt60ern kommt diese Aussage natürlich mit einem Caveat: nur auf der US-Version sind die beiden Hits enthalten, die UK-Version spielt dagegen "Back Street Girl" und "Please Go Home" .


8. Magical Mystery Tour von The Beatles

"Magical Mystery Tour" ist das Gegenstück zu "Sgt Pepper": nämlich eine Songsammlung und kein Album. Die erste Hälfte der Platte besteht aus den - ursprünglich in UK auch nur als EP unter diesem Namen - veröffentlichten Songs zum "Magical Mystery"-Film, von denen auch nur "I Am The Walrus" bemerkenswert ist.

Die eigentliche Stärke liegt in der Sammlung der bis dahin nicht auf einem Album erschienen 67er Singles der Beatles - und ja, man müsste schon taub sein, um gegen "Strawberry Fields Forever", "Penny Lane" und "All You Need Is Love" zu argumentieren (andererseits: "Hello, Goodbye" ist nur ein "Hey Jude" für Arme). Anders gesagt: inklusive "I Am The Walrus" finden sich vier der wichtigsten Beatles-Songs auf dieser Platte, der Rest ist eher Füllmaterial und als Album in Gänze klingt "Magical Mystery Tour" natürlich so zerrissen wie es seine Entstehungsgeschichte nahelegt.


9. John Wesley Harding von Bob Dylan

Nach drei - mindestens - jahrzehntdefinierenden Platten in zwei Jahren schaltet Dylan mit "John Wesley Harding" in mehrerlei Sicht einen Gang zurück. Der Sound ist rootsier und wieder näher am Folk seiner frühen Werke, aber mit stärkeren Country-Einflüssen. Das Revolutionäre der Verquickung von Poesie mit Pop und Folk mit Rock ist in den Hintergrund getreten. Die Songs sind einfacher gehalten und in zumeist knackigen drei Minuten erzählt, also sagt goodbye zu zwölfminütigen, surrealen Gedichte!

Natürlich ist "John Wesley Harding" dennoch ein starkes Album, das mit "All Along The Watchtower" (später popularisiert von Jimi Hendrix) und "I'll Be Your Baby Tonight" (später bekannt gemacht durch, eh, UB40 und Robert Palmer) sogar zwei Gassenhauer enthält. Neben "All Along The Watchtower" sind aber "As I Went Out One Morning" und "The Ballad Of Frankie Lee And Judas Priest" (wovon, richtig, die Metal-Band ihren Namen hat) meine Höhepunkte.


10. Chelsea Girl von Nico

Nicos Debüt-Album ist auf Vinyl gepresste Weirdness, gezeichnet von einem seltsam mittelalterlich-dronigen Sound, der wie straight in der Hexenküche aufgenommen klingt. Die Kollegen von Velvet Underground zeichnen sich für das Songwriting der meisten Songs verantwortlich, was insbesondere bei Lieder wie "It Was A Pleasure Then" dank John Cales unverkennbarer Viola auch deutlich herauszuhören ist. Jedenfalls kann man Reed und Cale nicht vorwerfen, ihre poppigsten Stücke bei Nico abgeladen zu haben, sondern findet hier eher einen Ausblick auf den noch durchgeknallteren zweiten Aufschlag der Velvet Underground im Folgejahr (minus des Proto-Punk-Einflusses).

In all dem atonalen Gedrone finden sich aber mit den beiden Kompositionen von Jackson Browne - "These Days" und "Fairest Of The Season" - auch zwei wunderschöne Folksongs, die mich immer an Lou Reeds "Stephanie Says" erinnern, das zwar 1968 aufgenommen, allerdings nie zur Velvets-Lebenszeit veröffentlicht wurde. Diese beiden Folkgoldstückchen erlebten dank Wes Andersons wie immer makelloser Musikauswahl zu seinen Filmen eine Wiedergeburt, kann man doch Gwyneth Paltrow in ihrer schönsten Rolle als Margot Tenenbaum zu diesen Songs so wunderbar rauchen sehen, dass man sofort selbst ein Jünger des Nikotins werden möchte.