Es ist ja immer eine seltsame Sache, wenn man eine Band so weit vor ihrem eigentlichen Durchbruch für sich entdeckt hatte und so jeden kleinen Schritt im Größerwerden verfolgen kann, anstatt mit einer mehr oder minder formvollendeten Version konfrontiert zu werden in die man sich zeitlich nach hinten, hinein graben kann, wenn man mehr über die Band erfahren möchte.
Über die Long Blondes bin ich vor exakt zwei Jahren mehr zufällig gestolpert. Auf der immer interessanten Seite der britischen Freunde von Artrocker wurde Anfang Dezember 2004 eine Weihnachtsdownloadonlysingle der Sheffielder Band angepriesen, wenige Wochen später war „Autonomy Boy“ einer der herausragenden Tracks auf der zweiten Compilation des zu diesem Zeitpunkt besten und wildesten Plattenlabels der Welt, Angular Records.
My Heart Is Out Of Bounds
Angefixt wäre ein Euphemismus, mit Haut und Haaren verfallen käme der Wahrheit näher: man verfolgt jeden Schritt der Band, verzweifelt daran, nicht an Ihre Singles in Deutschland heranzukommen, bewundert die damalige Exfreundin ob der aus London mitgebrachten „Giddy Stratosphere“ Single auf blauem Vinyl und bemerkt, dass nun endlich auch der NME die Long Blondes entdeckt hat und – ohne Frage zurecht – von der besten „unsigned band“ Englands spricht.
New Idols
Als die Long Blondes Ende 2005 ihren bis dato besten Song „Separated By Motorways“ als Single veröffentlichen, die alles vereint, was man an dieser Band so liebt - all den 50ies Chic, die 60ies Girlgroups und den 70ies Postpunk - ist man sich sicher: ja, hier und jetzt, ist eine neue Lieblingsband gefunden. Der Bleistift wird angespitzt und im
Jahresausblick für Motorhorst im Dezember 05 sagt man heftige Riots um die Long Blondes voraus:
The Long Blondes
Gleich weiter im Text mit Frontfrauen zum Denkmalbauen. Eigentlich hätten The Long Blondes bereits letztes Jahr auf die predict-a-riot-Liste gehört, doch so dürfen wir sie dieses Jahr mit noch größerer Sicherheit abfeiern, denn drei weitere Singles später (zwei davon ausschließlich auf Vinyl veröffentlicht) und dem unzweifelhaften Karrierehöhepunkt im Dezember 2005 mit Separated By Motorways, ist nun auch der NME dem Charme der Long Blondes verfallen. The best unsigned band tönt Musiks beste yellow press und haben sie nicht mal wieder recht? Eine eigene Mischung aus 50ies Charme, dem besten Style today, Rock’n’Roll und Post-Punk werden uns die Long Blondes 2006 schenken.
Hören: Separated By Motorways, Christmas Is Cancelled
Big Infatuation
Die Long Blondes wandeln mit festem Schritte auf dem Weg, den eine credible Band im Königreich zu beschreiten hat:
- Das Label, das der Welt Bloc Party und Art Brut geschenkt hat, veröffentlicht deine ersten Singles (Angular Records)
- Franz Ferdinand bestehen auf The Long Blondes bei ihren großen London-Konzerten als Vorband, obwohl die Band bis dato keinen Plattenvertrag hat
- Rough Trade Shops, sich oftmals als Gegenpol zur allgemeinen Indiewahrnehmung gerierend, nimmt dich auf ihre Best Of 2005 Compilation
- Russel Senior von Pulp spielt Gastvioline und produziert deine Single
- Die anderen Songs deiner Single produziert Cooler-than-thou-DJ Erol Alkan
- Der NME entdeckt dich, schreibt von der besten unsigned Band des Königreichs
- Die NME-Leser entdecken dich und verleihen dir den On-Award für die beste up and coming Band
- Rough Trade, die Plattenfirma, die der Welt die Strokes und die Libertines zuführte, nimmt dich letztenendes unter Vertrag…
Giddy Stratospheres?
Und doch: irgendwann stockte diese Karriere. Unter der Hand immer wieder Andeutungen, dass die Industrie den Long Blondes nicht zutrauen würde, wirklich zu „breaken“, dass die Livequalitäten nicht ausreichten, ja, dass schlicht und einfach eine Band mit einer Frontfrau auf dem heutigen Indiemarkt keinen Erfolg haben könne, so dass letztenendes trotz all der oben aufgezählten Referenzen doch nur Rough Trade an stelle eines großen Labels zugreift und endlich, endlich, eine neue Single wie ein Vertrag über das im November erschienene Album zustande kommt.
Once And Never Again
Nun der Switch in die Fanboyperspektive: zwei Jahre hungert man nach dieser Platte, hat jeden bis heute veröffentlichten Song durchgehört bis auf iTunes die Plattennadel ausgewechselt werden musste und kann nicht anders als im ersten Moment Enttäuschung zu verspüren. Es ist nicht die Welt für einen, die man erwartet hatte. Die großen, großen Songs der Vergangenheit bleiben Vergangenheit und werden nicht auf das Album genommen, die wenigen alten, die den Sprung schaffen, sind zu zwei Dritteln den ehemaligen Singleversionen deutlich unterlegen: während man bei Giddy Stratosphere wenigstens nur das exzessive Handclapping wie den skeletaren Aufbau vermisst, ist die neue Fassung von Separated By Motorways gar gänzlich missraten. Es ist das Drittalbumphänomen, die
früher waren sie noch gut Manie, die bereits bei Album 1 einsetzt, einfach weil die Band einen nun bereits seit 2 Jahren begleitet:
Wie konntet ihr nur!, schüttelt man verzweifelt den Kopf.
You Could Have Both
Nach einigen Wochen beruhigt sich der innere Verzweiflungstsunami wieder, denn selbstverständlich ist „Someone To Drive You Home“ ein hervorragendes Album (das im übrigen die 9/10- NME-Wertung erhält) und natürlich sind auch neue Songs dabei, die sich auf dem Niveau der frühen Singles bewegen, zu nennen sicherlich Swallow Tattoo und You Could Have Both, das allein aufgrund der spoken word Stelle
„Well, that's what happens when you listen to / Saint Scott Walker / On headphones / On the bus“ virtuelles Hutziehen erfordert.
Autonomy Boy
Doch das nagende Gefühl ließ keine Ruhe und so entstand die alternative Long Blondes Platte: 14 Songs aus der prä-Album-Phase, lediglich die beiden letzten Singles „Once And Never Again“ wie „Weekend Without Makeup“ durften bei diesem Ringelreihen alter b-Seiten, Compilationbeiträgen, Downloadonlysongs und superiorer Single-Versionen von Albumstücken mitspielen.
So hört und judgt, welche Long Blondes sollen wir mehr lieben?
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Tracklisting
Daniel_ am 23.11.2006 um 17:08 Uhr:
Danke. Groß.