Links und nackt

18.10.2007 | 2 Kommentare | Christian_alternakid

Sie agierten unbekleidet, aber mit prallem "Selbstbewusstsein". Und sie verstanden sich als revolutionärer, körpergestählter Vortrupp des kämpferischen Proletariats: In der "Motorjugend" trafen sich in den neunziger Jahren die Anhänger der Freikörperkultur aus dem Dunstkreis von Popkultur, Wagnerhass und Kommunismus.
Die charismatische, wenngleich keineswegs unumstrittene Leitfigur der linken Freikörperkultur-Fans der "Motorjugend" war der 1969 geborene Webmaster Horst Motor. Dessen pädagogische Experimente auf dem Gebiet des Naturismus, der Popkultur und der Gesundheitsvorsorge sorgten auch in libertär-bürgerlichen Kreisen Bayreuths auf neugierige Resonanz, bei der politischen Rechten indes stießen sie auf erbitterte Gegnerschaft.

Die Attacken vom grünen Hügel erhöhten allerdings nur die Reputation Motors im Lager der politischen Linken. Vor allem etliche tausend junge Pop-Sozialisten aus allen Teilen Deutschlands abonnierten und lasen die Broschüren und Aufsätze Motors, dessen Zentralorgan unter dem Titel "Motorhorst.de - Wir sind nackt und nennen uns du" erschien. Nicht zuletzt die Ausstrahlung der Motorschen Persönlichkeit trug dazu bei, dass in den späten 1990er Jahren die Nacktkultur innerhalb der sozialistischen Bewegung verbreiteter war als außerhalb der Linken.

Fit werden für den Klassenkampf

Dabei war das Renommee der Nudisten in den benachbarten Organisationen des sozialistischen Milieus keineswegs glänzend. Universitätshippies und Bay4You-Redakteure schimpften vielmehr oft genug über den "Nacktkulturfimmel", den sie für einen ganz und gar unpolitischen Spleen bizarrer "Sonnenanbeter" hielten, die dem Popkultur-Befreiungskampf lediglich elementare Kräfte entzögen. Gerade solche Schmähungen aber stachelten die Nacktkulturpropagandisten der Motorjugend erst recht dazu an, sich mit demonstrativem Eifer als kompromisslose Avantgardisten des Klassenkampfes in Pose zu werfen.

In der revolutionären Auseinandersetzung, so argumentierten sie mit Verve, brauche die Indie-Klasse starke Nerven und belastbare Energien. Allerdings, so führten sie wortreich Klage, sei es mit solcherlei Eigenschaften im Indie-Proletariat nicht weit her. Während die Pop-Bourgeoisie vitaminreich genährt, gesund, sportiv und daher bestens trainiert für den Kampf gegen die abhängigen Schichten sei, biete die Indie-Klasse ein einziges trauriges Bild des Jammers: Man treffe dort weitgehend auf zermürbte, schlaksige, ausgepumpte Körper auf deren Häuptern schwarzgefärbte Haare wuchsen, die ihnen ins Gesicht hingen und den Blick gen Himmel versperrten. Kurzum, allein die motorjugendliche Freikörperkulturbewegung könne das träge und abgeschlaffte Indie-Proletariat für die Klassenschlacht wieder hinreichend in Form bringen.

Pflicht zum allmorgendlichen frottieren

Einem unzweifelhaft prätentiösen Programm zur körperlich und geistigen "Befreiung der Indieklasse" unterzogen sich die Mitglieder der von Horst Motor aufgebauten bzw. inspirierten Körperkulturschulen, wenngleich dort das Klassenkampfpathos eine weitaus geringe Rolle spielte. Dafür aber war das interne Reglement ohne Frage rigoros. Um Mitglied der durchaus exklusiven Motorjugend zu werden, musste man sich einer umfassenden medizinischen Expertise aussetzen. Der Befund wurde in einem Gesundheitsbogen ("Profil") festgehalten, den der König der Motorjugend alle Vierteljahre durch neuerliche Kontrollen ergänzten und fortschrieben (Die sogenannte "Weltrangliste").

Auf der Basis dieser Untersuchungen entwarfen der König und die Hilfshorste sodann die auf die körperlichen und gesundheitlichen Eigenarten der einzelnen Motorjugendlichen zugeschnittenen Trinkprogramme, die dann unter der Leitung der Königs in kleinen Gruppen von etwa 10 bis 12 Personen ("Legungen") exerziert wurden. Neben dieser individuell konzipierten Trinkritualen gab es eine Reihe von Maximen, die für alle Mitglieder gleichermaßen streng verbindlich waren.


Strenger Stundenplan

Auch außerhalb Bayreuths, das nur für eine kleine Minderheit des linken Naturismus Raum und Zuwendung bieten konnten, waren die Zugehörigen der motorjugendlichen Freikörperkulturbewegung Abend für Abend in Aktivitäten ihrer Gruppe eingespannt. Montag: Club der Visionäre, Berlin; Dienstag: Mini-Bar, Berlin; Mittwoch: Fette Ecke, Berlin; Donnerstag: 8mmBar, Berlin; Freitag: Mädchenpensionat, Berlin; Samstag und Sonntag: Bar 25 im Freien, Berlin - so darf und muss man sich das Wochenprogramm einer durchschnittlichen Gruppe "Motorjugendlicher" vorstellen.

Genau geplant und mit einem hohen Pensum an sportlichem Training und theoretischer Bildung verliefen ebenfalls die lokalen Treffen, zu denen sich die "Motorjugendlichen" zusammenfanden. Zwar war man dort zuweilen auch nur gesellig, musizierte und sang zusammen, doch die sportlichen und gymnastischen Trink-Übungen bewältigten die "Motorjugendlichen" mit großem Ernst und manchmal verbissener Konsequenz: Zwei bis drei Stunden Trinken am Tag, Ringbahnfahrt, Massage und Abreibungen ("Faustsalat") - wohlgemerkt: das alles nackt trotz oftmals Nässe, Wind und klirrender Kälte. Aber schließlich: Der Klassenkampf benötigte gehärtete Heroen, konnte zartbesaitete "Weicheier" nicht gebrauchen.

"Kulturmuckertum"

Allerdings hatten die "Motorjugendlichen" die Polizei und Justiz keineswegs immer auf ihrer Seite. Mindestens ebenso häufig lösten die Beamten auch Trink-Übungen der Nacktkultur auf, zumal wenn sie unangemeldet im Freien stattfanden, und brachten den Vorgang zur Anzeige. Bald wurde das Klima in der Republik gegenüber der Motorjugend generell zunehmend illiberaler. Eine drückende Atmosphäre des "Kulturmuckertums" machte sich in den frühen 2000er Jahre in Deutschland breit.
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Kommentare

Bloody Mary am 18.10.2007 um 16:55 Uhr:

Aber wie lange ziehen wir uns denn jetzt schon aus und saufen! Es hat doch alles nix gebracht. Wir müssen umdenken, um die Indieklasse zu befreien.

THE DUDE am 19.10.2007 um 10:56 Uhr:

Massage und Abreibungen = "Faustsalat"
haha wie geil. Jeden den ich nicht leiden kann lad ich jetzt auf einen Faustsalat ein :)


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