Haltung und Haikus - IDLES

23.12.2018 | 1 Kommentar | motorhorst

Die Frage auf Facebook war, ob mal jemand den Hype um die IDLES erklären könnte und ich habe es mal mit meinen begrenzten Fähigkeiten versucht.

Foto von Säm Wagner



Der einfache Weg, die Faszination IDLES zu erklären, ist einfach den Link zu ihrem Live-Auftritt bei Jools Holland zu posten, wobei ich diesen noch eindrucksvoller finde, wenn man Danny Nedelko schon mal vorher als Studioaufnahme gehört hat. Dieses Video hat eigentlich bisher immer funktioniert, gerade auch bei Leuten, wo ich dachte "Hmm, ist sicher nicht so hundertprozentig deren Musik", aber die Energie und Leidenschaft ist einfach nur ansteckend.




Der Song ist ungeachtet seiner Lyrics schon ein heißer Kandidat für die Hits des Jahres, schließlich hat man hier bereits beim ersten Hören bzw. zweiten Durchlauf des Refrains den Drang diesen mitzusingen/gröhlen. Ich wollte nach 10 Jahren Hiatus direkt wieder auflegen, nur um die Chance zu haben, diesen Song zu spielen. Einmal pro Stunde.
Geht man dann noch den minimalen Schritt weiter und schaut sich den Text an, dann führt eigentlich überhaupt kein Weg mehr an diesem Kleinod vorbei.

Und das ist halt nicht die Ausnahme im Schaffen der Band. Bereits der etwas an mir vorbei gegangene Überhit des Quasi-Debütalbums aus dem Vorjahr (die Band gibt es schon etwas länger und die älteren EPs klingen auch ein wenig anders), "Mother", vereint diese Kombination aus Instant-Mitgröhl-Chants alter Rage Against The Machine-Schule, hier halt "Mother / Fucker" statt "Fuck you / I won't do what you tell me" und einem tiefer gehenden Text, in dem Sänger Joe Talbot das Sich-Aufarbeiten seiner alkoholkranken Mutter beschreibt, als Sinnbild für das prekäre Leben der britischen Unterschicht.

Das neue Album "Joy as an act of resistance" besticht für mich durch genau diese beiden Komponenten: Texte zu allen relevanten Themen der Gegenwart (Rassismus, Brexit, MeToo, Maskulinismus), die zu jedem davon genau das richtige sagen und die korrekte Haltung zeigen. Unterstrichen wird dies durch Interviews und Ansagen auf den Live-Konzerten, es lohnt sich da durchaus ein wenig bei YouTube zu klicken.
Zum Zweiten sind es die sloganhaften Lyrics, von denen man sich aus jedem Stück 2-3 auf die Oberschenkel und Unterarme tätowieren möchte, wenn man Seemann oder sechszehn wäre.

Nachdem der IDLES-Zug schon ohne mich losgefahren war, kam ich nur durch einen sehr glücklichen Zufall noch im letzten Moment an eine Karte für das ausverkaufte Konzert in München. Dieses war im kleinen Ampere und ich glaube, die Band häätte an diesem Abend einen x-fach-größeren Ort ausverkaufen können, wenn es den noch ungebucht gegeben hätte.
Ich weiß nicht, ob ihr das kennt, wenn man einen Konzertort betritt und glaubt, nur von guten Menschen umgeben zu sein, wie das früher vielleicht beim Immergut war oder wenn man in irgendeinen gottverlassenen Ort in der Prärie fährt, weil sich ein geistig verwirrter Booker oder ein lokaler Idealist dort eine kaum bekannte Indie-Band hngebucht hat.

Gerade mit den traumatischen Erfahrungen vom Tocotronic-Konzert eine Woche vorher, das sich wie ein Fußballvereinsausflug nach Mallorca zum Im-Stehen-Pissen angefühlt hat (okay, das ist jetzt maßlos übertrieben), war das einfach nur ein guter Abend: Ein Mini-Klub, in dem man sich quasi an jedem Platz wie "direkt vor der Bühne" fühlte und die Bandmitglieder der IDLES, die selbst den Merch vor dem Konzert gemacht haben und nebenbei zu den illen Klängen der Vorband gewippt sind. Highlight war dabei der Bassist Adam Devonshire, dir direkt vom Merch-Tisch auf die Bühne ging und dort die ersten Töne von Colossus anstimmte.

Das ganze Auftreten der Band war so unprätentiös wie auch stylisch (wenn man sich nur die Bärte und Frisuren ansieht), wie Tocotronic hatten auch hier fast alle die regenbogenfarbenen Gitarrengurte und Sänger Talbot kümmerte sich regelmäßig um die Befindlichkeit und den Anstand des Moshpits. Dazu gab es knackige 19 Songs, was für eine Band mit gerade zwei Alben schon auch ein Statement ist, normal würde man hier sicher nicht mehr als 60 Minuten Spielzeit plus eine Zugabe erwarten. Zudem mit der Selbstsicherheit, die beiden größten Kracher Danny Nedelko und Mother schon im ersten Viertel des Sets abzufeuern.

Alles in allem war da dieses Feeling, beim Durchbruch einer Bands GENAU JETZT dabei zu sein oder auch bei der derzeit relevantesten Gruppe im Game. Und gerade in München, wo für gewöhnlich ein Großteil der Anwesenden nur aus Dabei-Gewesen-Hipstern besteht, die 2 Minuten vor dem Konzert mit dem Taxi ankommen und nach dem Selfie zum Top-Hit wieder im Scheißhaus verschwinden, war es einfach nur: angenehm.

Das ist in aller Kürze das, was für mich die Band ausmacht, deren Konzert für mich nicht das beste des Jahres war und deren Album für mich auch nicht in den Top 5 landet, deren Jahrhundertsong Danny Nedelko aber zwangsläufig der einzig mögliche Song des Jahres sein kann.
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Kommentare

Bloody Mary am 06.01.2019 um 23:17 Uhr:

Komisch, wenn ich meinen Bekannten die Studioaufnahme vorspiel, kommen die damit eher klar, als mit der Live-Aufnahme (da sieht man, was für Bekannte ich hab). Der energetische (hier leicht asslige) Live-Moment und der Text kriegen mich auch mehr als die alte Gröl-Refrain-Komposition. In nem Interview haben sie gesagt, dass sie ihr Publikum eigentlich gar nicht so interessiert. Merkt man, ist legitim, wollen sich halt einfach als Band austoben, könnte aber das Live-Erlebnis schmälern. Muss ich mal testen.


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