1. Submarine (2010)
Wenn Wes Anderson schon keinen Film in diesem Jahr veröffentlicht hat, muss halt ein Brite einspringen: Richard Aoyade, bizarrerweise bisher durch das Drehen von Arctic-Monkeys-Videos und eine Rolle in der Sitcom IT Crowd bekannt geworden, bringt in seinem Debütfilm den morbiden Witz von „Harold & Maude“ mit dem Ausstattungsfaible und der Nerdverehrung von Wes Anderson zusammen und dreht mit „Submarine“ den amüsantesten Film des Jahres, der dazu auch noch das Herzchen berührt. Well done, Sir.
2. Blue Valentine (2010)
Manchmal ist man verblüfft, dass Regisseure, die zuvor im TV-Niemandsland ihre Arbeit verrichten mussten, solch meisterhafte Werke mit komplexen Strukturen und Dramaturgien vorlegen können. So liegt der letzte Kinofilm von Derek Cianfrance vor Blue Valentine tatsächlich 13 Jahre zurück – und ist dazu noch völlig unbekannt. Doch ein gutes Drehbuch, zwei hervorragende Schauspieler (nach Tyrannosaur die wohl besten Performances des Jahres) und der Mut zu einem komplexen Aufbau des Films machen Blue Valentine zum zweitbesten Film des Jahres. Selten wurde gleichzeitig Aufblühen und unweigerliches Vergehen der Liebe so zurückhaltend und doch dringlich auf die Kinoleinwand gebracht.
3. Black Swan (2010)
Ein wenig exaltiert mag Aronofskys Verneigung vor den frühen cronenbergschen Meisterwerken des Bodyhorror im Schwanenseegewand sein – aber wenn ein Ballettfilm nicht exaltiert sein darf, wer dann? Natalie Portman spielt tatsächlich hervorragend, hat aber in Mila Kunis eine ebenbürtige Partnerin, deren Leistung oft zu Unrecht unterschlagen wird. Black Swan ist zugleich subtiler wie drastischer Horror.
4. Tyrannosaur - Eine Liebesgeschichte (2011)
Bessere Schauspiel-Leistungen als die von Peter Mullan als cholerischen Trinker, Olivia Colman als christliche Trinkerin und Eddie Marsan als ehelichen Vergewaltiger hat dieses Jahr nicht gesehen. Paddy Considines Regiedebüt zeichnet sich durch ein profundes Verständnis der britischen Unterklasse aus und ist unerbittlich in seiner Wucht. Das Ende mag nicht ganz überzeugen, aber dafür bekommt man zuvor von Considine so oft die Faust in den Magen, dass es am Rande des Erträglichen ist. Tragik und Traurigkeit ohne Unterschichtenpornographie. Der härteste Film des Jahres.
5. Dogtooth (2009)
Obwohl schon 2009 in Cannes gelaufen und im Jahr darauf für den Auslandsoscar nominiert, ist in diesem April endlich das griechische Arthouse-Wunderwerk „Dogtooth“ auch hierzulande auf DVD erschienen. Dogtooth ist komplett irr, spartanisch, amüsant, sperrig und beängstigend. Dogtooth spielt in einer eigenen Welt, in der Sätze wie „The Cat is the most feared animal there is“ ihre Berechtigung haben. Der außergewöhnlichste Film des Jahres.
6. Too Big to Fail - Die große Krise (2011)
Ursprünglich für den US-Pay-TV-Sender HBO erstellter Film, der in seiner Besetzung aber mit jedem Kinofilm mithalten kann (Paul Giamatti, James Woods, Bill Pullman etc pp). Auch hat Regisseur Curtis Hanson seit LA Confidential 1997 keinen so guten Film mehr gedreht – und dabei geht es doch nur um die Bankenkrise durch den Lehmann Brothers Zusammensturz. Aber wie hier eine höllische Spannung trotz des doch eigentlich kaum verfilmbaren Themas und auch noch bekannten Ausgangs aufgebaut wird, ist großartig. Und beängstigend, sind doch all die Fragen von damals heute drängender denn je.
7. Melancholia (2011)
Wie schon „Antichrist“ landet Lars Von Trier erneut, von heftigen Diskussionen flankiert, in unseren Jahres-Top-10. „Melancholia“ ist mit Sicherheit der „schönste“ von Trier seit „Europa“, macht es aber dem Zuschauer dennoch nicht leicht. Erklärt wird nicht viel, manche Charakterentwicklung mag verblüffen, aber gerade die erste Hälfte von Melancholia ist ein Meisterwerk der subtilen Darstellung einer dysfunktionalen Familie – und der Konsequenzen für erwachsene Kinder, die in einem solchen Umfeld aufgewachsen sind. Der zweite Teil traumwandelt dem Weltenende entgegen und verweigert sich dennoch allen Arthouse-Armageddon-Verlockungen.
8. The Advocate for Fagdom (2011)
Die Dokumentation über den Helden des Underground-Queer-Films Bruce La Bruce ist fabelhaft. Zum einen weil Angelique Bosio viele Ausschnitte aus alten Bruce-La-Bruce-Filmen (und Fernsehshows!) ausgräbt, die man so wohl kaum je zu sehen bekommen würde und weil, natürlich, Bruce La Bruce einer der unterhaltsamsten Interviewpartner der Welt sein dürfte. Ein Pladoyer für die Freiheit des Films, den Triumph von Kunst über Kommerz und die Liebe zum Underground. Featuring das beste Ingmar-Bergman-T-Shirt der Filmgeschichte.
9. The Future (2011)
I’ve seen The Future, baby, it is hipster: Miranda Julys Zweitfilm überzeugt durch eine punktgenaue Sezierung des Nichterwachsenwerdenwollenphänomens von Mitt30ern. July, die nicht nur Regie führt, sondern auch das Buch geschrieben hat und die Hauptfigur selbst spielt, gelingt dabei mit großem Witz ohne Bloßstellung unsere Weigerung zu analysieren, Verantwortung für andere, für das Leben oder auch nur für eine Katze zu übernehmen. Näher an der Wirklichkeit als man es zugeben möchte!
10. Rabies - A Big Slasher Massacre (2010)
Die große Überraschung beim diesjährigen Fantasy Film Fest war eine israelische No-Budget-Horror-Komödie, die geschickt mit den Erwartungen des Publikums spielte und konsequent seinen gesamten Cast niedermetzelte – allerdings nicht wie anfangs gedacht durch den durch den Wald irrenden Serienmörder, sondern aufgrund der vielfältigen zwischenmenschlichen Beziehungen und der sich daraus ergebenden Verwicklungen der sonstigen Protagonisten! Wie eben auch Polanski später wusste: der Gott des Gemetzels, das sind wir alle selbst.