1. No Country for Old Men (2007)
In einem wirklich guten Filmjahr überragte No Country For Old Men alle anderen Filme noch einmal bei weitem. Die brutale, straffe Verfilmung eines McCarthy-Romans war eine nicht mehr zu erwartende Wiedergeburt der Coen’schen Kreativität nach Jahren des Dümpeln im irrelevanten Hollywoodrangebiet. Die womöglich bestgeschriebene, meisterhaft inszenierte Szene des Jahres (Die Münzwurfszene, friend-o!), Javier Bardem in der Rolle seines Lebens und – viel zu selten mit Lob bedacht – die anderen „Nebendarsteller“ vom herausragenden Josh Brolin zu Altmeister Tommy Lee Jones lassen NCFOM zu einem leuchtenden Feuer in der dunklen späten Karrierephase der Coen-Brüder werden. Ja, nachdem die erste Begeisterung sich gelegt hat und man mit mehr Nüchternheit NCFOM richten kann, scheint es nicht vermessen zu sein, diesen Film gar als besten in der ganzen Schaffensgeschichte der Coens zu sehen. Und das soll etwas heißen bei den Erfindern von Fargo, Big Lebowski oder Barton Fink.
2. I'm Not There (2007)
Bei manchen Filmen liest man die Kurzbeschreibung in der Filmvorausschau ein Jahr zuvor und denkt sich sofort „ja, das geht durch die Decke“ und andere, bei denen Fragezeichen und Zweifel vorherrschen. Eine Bob-Dylan-Biographie, in der Dylan von sieben verschiendenen Darstellern gespielt wird, unter anderem einer Frau und einem schwarzen Kind?
Hat man Todd Haynes „I’m Not There“ dann gesehen, verlässt man überwältigt das Kino, in der Gewissheit, dass man sogar NUR so Dylans Mythos sezieren könne. Es ist die überragende Imaginationskraft und der Mut Haynes, der I’m Not There zu so einem außergewöhnlichen Film macht. Über das reine Dylan-Trainspotting hinaus („ah, das ist die Dylan-goes-electric-Szene“, „ah, the years in the wilderness“, „ah, Dylan in England“…) hat I’m Not There aber so starke Szenen und eine durchgehend gute Darstellerriege, dass selbst Dylan-Novizen Spaß haben dürften. Muss man sich zwischen „Control“, einer fantastisch fotografierten, aber eben auch bieder inszenierten Biographie und einer unberechenbaren Wundertüte wie „I’m Not There“ entscheiden, sollte die Wahl nicht schwer fallen.
3. Juno (2007)
Allein schon weil „Juno“ Ellen Page auch in der öffentlichen Wahrnehmung zu dem Star gemacht hat, der sie aufgrund ihrer brillanten Leistungen der letzten Jahre eigentlich schon war, gehört „Juno“ mit allen denkbaren Auszeichnungen überschüttet. „Juno“ ist eine beinahe prototypische Indiekomödie: die Schauspieler durch die Bank gut, das Drehbuch weise, die Dialoge amüsant und (über)pointiert, der Soundtrack fantastisch. Und „Juno“ hat eben auch noch Ellen Page.
4. [Rec] (2007)
Der Horrorfilm des Jahres. Eine angenehme Überraschung, dass Jaime Belaguero, der bisher immer BEINAHE perfekte Horrorfilme gedreht hatte (die in Ansätzen hervorragenden The Nameless und The Darkness), nun tatsächlich seinen Anschlag auf unsere Sinne perfektioniert. Der Einsatz der Handkamera – das Utensil, das in den letzten Jahren so oft überflüssig zum Einsatz kam, dass man jeden neuen zentralen Auftritt verwünscht – ist hier endlich einmal notwendig. Nur dank der streng subjektiven Kamera kann die Nichtgeschichte funktionieren. So bauen Belaguero und Regie-Kollege Plaza anfangs durch das einfache Nicht-mehr-Wissen als die Hauptfiguren eine bedrohliche Atmosphäre auf und im Nachtsicht-Modus der letzten Viertelstunde wird REC so spannend, dass man lange zurück denken muss, bis man einen Film findet, bei dem man derart geschockt im Kino saß. Ach, und den besten Trailer, der je für einen Horrofilm gedreht wurde, hat REC auch noch zu bieten.
5. Waltz with Bashir (2008)
Allein schon die Idee mittels eines animierten Films eine Dokumentation über Kriegsgräuel zu drehen, nötigt Respekt ab. Wie aber Ari Folman darüber hinaus auch noch eine Meditation über das Wesen der Erinnerung und deren generelle Subjektivität erschafft, lässt Waltz With Bashir zu einem der besten und mutigsten Filme des Jahres werden. Das Genre „animierte-Filme-mit-Nahost-Thematik“ hatte letztes Jahr dank „Persepolis“ bereits einen beeindruckenden Vertreter, den „Waltz With Bashir“ sogar noch einmal übertrifft. Muss man gesehen haben.
6. There Will Be Blood (2007)
Makellos war es nicht, das Dreistundenepos von Paul Thomas Anderson. Gerade im letzten Drittel verliert der Film etwas an Drive und wird weniger nachvollziehbar. Aber auf der Plusseite steht eine beeindruckend maliziöse Darstellung des Daniel Plainview durch Daniel Day-Lewis, die beinahe physisch spürbar wurde, Bilder von faszinierender Größe und Weite und ein Soundtrack von Radioheads Johnny Greenwood, der diese Bilder der Wüste und Hitze in einen Score schreibt, der das Flimmern vor den Augen akustisch übersetzt.
7. Before The Devil Knows You're Dead (2007)
84 Jahre ist Sidney Lumet nun schon und blickt zurück auf unumstößliche Meilensteine des Kinos wie “Die 12 Geschworenen” und ist noch kein bisschen müde. Mit „Before The Devil Knows You’re Dead“ bringt er seinen besten Film seit Jahren ins Kino. Ein makellos konstruierter Thriller, der Minute um Minute sich mehr in die Richtung eines Dramas von Shakespeare’schen Ausmaßen entwickelt. Jede Figur, die wir kennenlernen, offenbart in Rückblenden oder aktuellen Handlungen eine größere moralische Verderbtheit als wir uns zuvor vorstellen konnten. Neben den beeindruckenden Marisa Tomei, Ethan Hawke und Albert Finney überstrahlt Philip Seymour Hoffman wieder alle. Der beste Schauspieler seiner Generation.
8. So finster die Nacht (2008)
Beeindruckend ist an „So finster die Nacht“ schon einmal, dass er dem nun wirklich auf das letzte Tröpfchen Blut ausgesaugten Vampirgenre eine neue Facette abgewinnen kann. Dadurch mag Alfredssons Film Zuschauer verärgern, die den üblichen Vampir-Schmonz auch hier erwarten und sich der im Grunde zarten, einfühlsamen Geschichte über die Pubertät und das Ausgegrenztfühlen nicht ergeben wollen: von dem „anders“ sein, dem „nicht dazu gehören“ ist der „normale“ zwölfjährige Junge nicht weniger betroffen als das Vampirmädchen (das auch zwölf Jahre alt ist – „schon eine lange Zeit“). Wohldosiert fallen den Zuschauer die brutalen Szenen des Films an und sorgen für die notwendige Verstörung. „So finster die Nacht“ ist in erster Linie eine Hymne an die Liebe, ein Pladoyer für Toleranz – in den Gewändern eines Vampirfilms.
9. Inside (2007)
Mehr Blut war nie. „Inside“ dreht die Blutfontänenregler auf 11 und zieht dieses Konzept mit einer unerbitterlichen Konsequenz durch. Selbst die deutsche DVD-Veröffentlichung, die trotz „ab 18“- Freigabe noch um fast drei Minuten gekürzt ist (und in der Zwischenzeit dennoch indiziert wurde!), hat mehr Blut und Brutalität als alles, was sonst in diesem Jahr zu sehen war. Dabei ist „Inside“ aber weit von einem einfachen Splattermovie entfernt – oder gar auf irgendeine Braindead-Art amüsant. Hier ist alles todernst.
Im Grunde ist „Inside“ völlig singulär im europäischen Kino, nicht einmal die oft herangezogenen Vergleiche zu Werken der französischen Terror-Welle der Marke „Haute Tension“ (Alexandre Aja) oder „Martyrs“ (Pascal Laugier) sind angemessen. Ein Stück Kino, das elegant, fast wie in einem Theaterstück klar, aufgezogen wird und in dem Subtexte und Neurosen galore mitschwingen, findet man sonst eher im asiatischen Kino der Marke Takashi Miike oder Sion Sono. Ohne deren Humor allerdings.
10. Happy-Go-Lucky (2008)
Der Altmeister des britischen Working-Class-Kinos verwehrt sich ja gerne gegen den Vorwurf, seine Filme seinen gut, aber bedrückend und humorlos. Ein besseres Argument als „Happy Go Lucky“ hätte er nicht vorbringen können. Ein wunderbar leichtes Stück Kino, das jederzeit die Tiefe hat, um Einsamkeit, Intoleranz und soziale Missstände im Vorübergehen zu thematisieren. Von Mike Leigh hervorragend inszeniert, mit vielen wunderbaren Szenen und einer Sally Hawkins, die in der Hauptrolle der Poppy eine wahre Offenbarung ist.