28.12.2017 | 2 Kommentare | motorhorst
Ja, valide Punkte, aber: So what? Zitierten Werke der Popkultur nicht schon immer Vergangenes, ja ist das nicht sogar das Wesen von populärer Kultur, sich auf Älteres und ganz bewusst beim Konsumenten Bekanntes zu beziehen? Und damit meine ich nicht mal das relativ neue, z.B. aus "Big Bang Theory" bekannte Zitieren von Star Wars/Trek-Kram, bei dem der Zuseher "Ja, genau! Kenn ich! So ist es!" brüllen kann, wenn die Lachkonserve gerade anspringt. Vielmehr referenzierte doch der erste, inzwischen über 40 Jahre alte, "Krieg der Sterne" (wie wir ihn noch nannten) bereits Pulp-Science-Fiction wie Flash Gordon und Buck Rogers, bezog sein Roboter-Outfit u.a. aus "Metropolis" und setzte die Droiden wie die comic reliefs aus Akira-Kurosawa-Filmen ein. Und die Handlung selbst orientierte sich an einer Blaupause namens "Heldenreise", die Joseph Campbell 30 Jahre früher skizziert hatte.
Stranger Things wählt den noch extremeren Weg, werden doch ganze Szenen aus z.B. "E.T." in die Netflix-Serie von 2016 transferiert, um nicht nur den Filmkenner (den es bei obigen Star Wars-Vorlagen noch gebraucht hätte), sondern wirklich jeden, der zwischen 1975 und 2015 aufgewachsen ist und seine Kindheit nicht bei den Amish oder unter einem Stein verbracht hat, zu erreichen. Weil man an die einschlägigen Filmen eben nicht vorbei kommt, wenn man überhaupt noch z.B. aktuelle Sitcoms verstehen möchte, denn wer kommt schon aus ohne das weiße Hai-Plakat im Hintergrund, dem Rasenden Falken als Spielzeug oder einfach nur der Nennung des Namens "Spock" um die Handlungen eines Charakters ohne weitläufige Erklärungen auf den Punkt zu bringen? Selbst die über die Zitate hinausgehende Zeitreise in die 80er-Jahre als tatsächlichen (zeitlichen) Ort, haben wir schon einige Jahre vorher erlebt, als Steven Spielberg und J.J. Abrams mit "Super 8" einen Malen-nach-Zahlen-Pseudo-80er-Prä-Comming-Of-Age-Film mit einer unfassbar flachen bis zuckersüßen Handlung präsentierten.
Wieso also jetzt der große Backlash gegen die wiederholte Wiederbelebung des Jahrzehnts der schlimmen Frisuren und schlechten Synthesizer-Musik (denn die grandiosen Songs und Alben fallen ja immer unter den Tisch, auf 90er-Parties laufen ja auch nur Backstreet und Venga Boys und nicht das, was man damals wirklich gehört hat)? Wohlgemerkt, VOR Veröffentlichung der Verfilmung des Buchs von Ernest Cline, dem ultimativen Eighties-Retro-Porn "Ready Player One" (wobei da die einschlägigen Blogs schon die Geschütze in Stellung gebracht haben).
Vielleicht erstmal ein paar Gründe, warum es diese Nostalgie jetzt überhaupt gibt. Ich denke viel hat mit den wahnsinnigen CGI-Möglichkeiten zu tun, die inzwischen nicht mehr das Privileg der größten Blockbuster sind, sondern jedem mittelgroßen Film und vor allem jeder Serie eines der neuen (Streaming-)Anbieter, Effekte und virtuelle Kulissen ermöglichen, von denen man vor der Herr-der-Ringe-Trilogie nie zu träumen wagte. Man vergleiche nur die Optik von "Star Trek Discovery" mit einer der letzten Spinoffs der bekanntesten Science Fiction-Fernsehserie. Interessant wird dieser Trend dann, wenn so nicht nur fantastische Welten am Computer entstehen (die sich dann aber alle sehr ähnlich sehen, so dass man irgendwann nicht mehr weiß, ob Snoke jetzt der war, der den Ring verloren hat oder Gollum der Chef von Kylo Ren ist), sondern wenn die irdische Vergangenheit nachgebildet wird. Womöglich sind neben den 20ern (Boardwalk Empire), 60ern (Mad Men, Aquarius) oder 70ern (Vinyl, The Deuce) da eben vor allem die 80er interessant, weil viele der Macher da aufgewachsen sind und ähnlich wie die potenziellen Zuschauer eher einen Bezug zu heranwachsenden Jugendlichen dieser Zeit herstellen können als zu der Prohibition trotzenden Verbrechern im Atlantic City der 1920er.
Wenn sich eine Marke etabliert hat oder ein Franchise in die achte Runde geht, dann spielt der Faktor "Fanservice" zusätzlich eine Rolle, der regelrecht danach schreit, befriedigt zu werden und dem sich kaum ein Showrunner entziehen kann. Enterprise spielt 200 Jahre vor Next Generation, wo die Ferengi zum ersten Mal Kontakt zur Föderation haben? Scheißegal, wir verwenden sie trotzdem in einer Episode, allerdings - hihi - wird deren Name nie genannt. Und einen Gorn packen wir auch noch dazu für die TOS-Fans. Aber nur in einer Spiegeluniversum-Folge (den diese alternative Realität kennt auch wieder jeder Star-Trek-Fan).
Von Star Wars ist natürlich jeder Fan. Also wirklich JEDER. Weil alle die Figuren ("Yoda, der redet immer so komisch!") und ihre Zitate ("Nanu nanu") kennen. Deswegen müssen die dann natürlich auch abgefeuert werden. Wie C-3PO und R2D2 in Episode 1. Episode 1? Ja, schon 16 Jahre vor "Star Wars VII" ging die mehr oder weniger sinnfreie Integration von Figuren, die eigentlich erst 30 Jahre später eine Hauptrolle spielen sollten damit los, dass die Prequels mit allerlei "erst später relevanten" Charakteren bevölkert wurden: Die bekannten Droiden, Chewbacca oder Boba Fetts Vater als "Vorlage" für alle Stormtrooper (Yoda oder Obi-Wan Kenobi hatten da ja durchaus ihre Berechtigung). Alles im Interesse von "Das kenn ich!"-Reaktionen. Aber das ist auch in Ordnung und trägt zum world building bei, findet sich der Betrachter doch viel schneller zurecht, wenn er bestimmte Elemente wie Personen bzw. andere Wesen oder Orte schon kennt. Diese Beobachtung lässt sich übrigens auch auf den Hobbit und die Herrn-der-Ringe-Trilogie übertagen oder die Superheldenserien der Neuzeit, wo man mit Begriffen wie dem "Marvel-Universum" gar keine Zweifel aufkommen lässt, dass man sich jetzt auf irgendetwas komplett Neues einlassen müsste.
Ich denke der tatsächlich berechtigte Ärger resultiert weniger aus den bekannten Szenarien (aus Filmen oder der eigenen Jugend), sondern daraus, dass in vielen der genannten Beispielen nichts auf den Vorlagen und den damit verbundenen Settings gemacht wird. Wenn ich eine bekannte Umgebung oder Figuren, die ich kenne, zur Verfügung habe, könnnte ich da ja darauf aufbauen und eine interessante Story oder Charakterentwicklung darin bzw. drum herum spinnen. Und das passiert leider nur sehr selten. "Sieht aber halt wahnsinnig gut aus", ist sicher nicht nur einer meiner Standardsätze, wenn man merkt, dass die anderen Argumente leider nicht ziehen. Super 8 begann nicht nur mit der J.J.Abrams-üblichen kryptischen Marketingkampagne, sondern auch die erste Stunde war spannend und mysteriös, so dass man sich ständig fragte, was wohl dahinter stecken möge. Sicher rechnete man nicht mit dem derart herzigen und unblutigen Finale, das selbst E.T. wie einen reißerischen Slasher wirken ließ.
Das Universum, das Stranger Things aufbaut wirkt bedrohlich und macht neugierig und verläuft sich dann in irgendwelchen generisch aussehnden Monstern, die aus dieser komischen anderen Dimension stammen, was aber in Staffel 1 nicht weiter erklärt wird. Und in Staffel 2 auch nicht. Und vermutlich auch in Staffel 3-5 nicht und irgendwann schaut dann halt auch niemand mehr zu.
Dass die zwei "in zwölf Systemen gesuchten" Typen aus Mos Eisley zufällig in "Rogue One" in einer Stadt sind, die zehn Sekunden später zerstört wird und ich nicht erfahre, wie die entkommen sind, regt mich fast so wenig auf, wie CGI-belebte Grandmoff Tarkins oder Prinzessinnen Leia. Aber dass ich mir einen zweistündigen Film über einen Zweizeiler aus dem Opening-Crawl zum allerersten Star-Wars-Film anschaue und dessen Ende ja bereits von Anfang an feststeht, ist irgendwie komisch.
Meine abschließende These habe ich bereits skizziert: Es ist nicht die Flut von Altbekanntem und Aufgewärmten, sondern vor allem die Enttäuschung über die flachen Geschichten und vergebenen Chancen der Retro- und Nostalgietitel der jüngeren Vergangenheit, die unseren Zorn auf sich zieht.
Bloody Mary am 30.12.2017 um 00:12 Uhr:
Da muss ich sofort an die vorletzte (20.) South Park-Staffel und die darin vorkommenden „member berries“ denken. So Nostalgie-Trauben, nach denen die Leute süchtig werden, weil sie sie zuerst mit Erinnerungen aus den 80ern und Star Wars, dann auch mit anderem aus der guten alten Zeit einlullen. [Am Ende sind alle so reaktionär benebelt, dass sie Mr. Garrison (als Trump) zum Präsidenten wählen. Die Folgen dieser Staffel sind übrigens oder angeblich während der echten US-Wahl Woche für Woche geschrieben, produziert und veröffentlicht, in Deutschland nur wenige Tage später ausgestrahlt worden. Hat richtig Spaß gemacht, sich das damals anzuschauen, aber das nur nebenbei]Interessante Fakten und schöner Artikel! Ich denke auch, dass es ein großer qualitativer Unterschied ist, ob man aus verschiedenen, einzelnen, vielleicht auch länger zurück liegenden popkulturellen Referenzen etwas trotzdem Neues kreiert (wie bei Krieg der Sterne anfangs), oder ob man einfach nur etwas oder gar sich selbst in Serie zitiert (wie anscheinend Star Wars heute) und damit nur das „Weißt du noch, damals“-Gefühl abgreifen und bedienen will.
Filme oder Serien, die ganz in der Vergangenheit spielen oder gar Remakes brauch ich auch nicht unbedingt. Vor allem die moderne Optik wirkt immer so wie ein drüber gestülpter Fremdkörper aus dem Heute, aber auch die Figurenzeichnung und die Sprache. Aus dem Heute selber gäbe es doch wirklich genug zu erzählen.
Basti am 01.01.2018 um 13:39 Uhr:
Da bin ich absolut bei dir, Motor. Ich habe nichts gegen Zitate, Anspielungen und andere Querverweise. Im Gegenteil. Wenn das gut gemacht ist, hat es den Effekt, dass es dem Unwissenden nicht auffällt, dem Kenner aber nochmal ein bisschen mehr Fleisch gibt. Das finde ich gut. Fanservice, der einfach nur auf altes verweißt, weil "Kennste, kennste?!" halte ich aber auf Dauer nicht aus.Wenn ich als Zuschauer zudem das Gefühl habe - wie bei "Stranger Things" - dass die Verweise im Fokus stehen, und von den Machern als wichtiger betrachtet werden als Story und Charakterentwicklung, dann verärgert mich das tatsächlich ein bisschen.
Auch bei "Dark". Ich finde, wenn man schon Zeit und Geld hat, so eine Geschichte erzählen zu können, wie man will. Dann muss ich mir vorher mal Gedanken machen, wie ich das Grunddilemma einer jeden Zeitreisegeschichte zumindest innerhalb der geschaffenen Welt einigermaßen nachvollziehbar gestalte. Alles andere halte ich aus Autorenperspektive für schwach. Generell ist da das Drehbuch nicht gerade die Stärke. Aber im Gegensatz zu "Stranger Things" hab ich hier zumindest das Gefühl, dass eine echte Geschichte erzählt werden will. Und nicht einfach nur Genre-Tropes hintereinander abgearbeitet werden. Und zwischendurch droppen wir mal E.T., Ghostbusters, Aliens und Co. als Referenz.
Sprich: Referenzen gerne. Wenn daraus etwas neues entsteht, bzw. nicht der Rest drunter leidet. Referenzen nur um der Referenzen willen können sich die Filmemacher aber sparen. Star Wars Episode 7 steht für mich mittendrin. Ich hab mich auch ein bisschen geärgert beim Schauen. Weil es sich wirklich wie ein Reboot anfühlt, weniger wie eine Fortsetzung. Aber am Ende bietet mir der Film dann doch mehr Star Wars-Feeling wie "Rogue One", der sich auf dem Papier als der deutlich spannender Star-Wars-Film las, dann aber doch nicht mit Episode 7 mithalten konnte ...