Eine Überschrift wie "Tarantino kann es noch" schwebte mir durch den Kopf und zerplatzte dann wie eine Seifenblase (aber mit einer Rauchwolke). So ein Blödsinn. Natürlich waren auch mal Filme wie die Kill Bills und die Grindhouse-Geschichte dabei, die mich jetzt nicht so komplett geflasht haben. Nach "Django Unchained" ist aber eine unglaubliche Lust da, sich das Tarantino-Gesamtwerk mal wieder zu Gemüte zu führen und eventuell weiße Flecken oder Fehleinschätzungen zu korrigieren. Und allein diese Tatsache ist bereits Lobeshymne genug, denn ein neuer, gelungener Tim Burton oder Ridley Scott führte eben nicht dazu, dass ich mir den teilweise hanebüchenen Irrsinn ihrer Vita noch mal freiwillig ansehen würde.
VERSION OHNE SPOILER
Tarantino war und ist immer dann am besten, wenn er sich auf die Inszenierung seiner Dialoge verlässt. Das muss man ja wirklich immer wieder mal aufschreiben, weil bei Tarantino blöderweise immer exzessive Gewaltszenen um abgeschnittene Ohren oder gar einen tanzenden John Travolta (an dieser Stelle stelle man sich die Fingerhaltung vor...Danke!) ins Gedächtnis kommen. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass die überzogenen, aber fast immer absolut notwendigen Szenen der Brutalität nur deshalb funktionieren, weil sie mit den ausgiebigen Geschichten und Erzählungen (auch Erzählweisen) der Charaktere eine runde Sache ergeben. Ein Geschichtenerzähler im wahrsten Sinne des Wortes ist er, der Quentin.
Und die Referenzen sind es. Tarantino-Filme schaffen es dabei, für verschiedene Zielgruppen komplett zu funktionieren. Der Cineast oder der Referenz-Fan erfreut sich an den mannigfaltigen Anspielungen im Werk. In "Django Unchained" ist das einmal die Original-Titelmusik aus dem Franco-Nero-Film, die mir seit Sonntag pausenlos wieder durch den Kopf geht, obwohl ich sie vorher etwa 25 Jahre nicht gehört hatte. Und der - bereits vielfach erwähnte und deswegen kaum noch als Spoiler geltende - Cameo-Auftritt eben von Franco Nero, als man die Aussprache von Django bespricht. Das war es dann schon bezogen auf den "echten" Django, aber die versteckten Anspielungen, Hommagen, Tribute enden nicht hier. Für eine umfangreiche Liste, bei der man nicht mehr aus dem Kopfschütteln kommt,
besuche man die IMDB, aber um den Wahnsinn zu illustrieren, sei folgende kleine Anekdote wiedergegeben:
In der Theater-Szene in "Inglorious Basterds" wird Brad Pitt als angeblicher Italiener Enzo Gorlomi, ein Stuntman vorgestellt. Während dieser Szene sieht man im Hintergrund einen älteren Herrn, bei dem es sich um Enzo Castellari (Geburtsname: Enzo Girolami!) handelt, den Regisseur des "Original"-Inglorious Bastards von 1978. (Quelle:
Eric Pfeils neues, wie immer tolles Blog). So funktioniert ein Tarantino (hier bitte mal ausnahmsweise wie in "O:30 Uhr, Gleiches Ambiente" von den Goldenen Zitronen ausgesprochen vorstellen).
Aber und jetzt kommt es: Der Film funktioniert eben auch komplett ohne Referenzen. Es ist ähnlich wie bei einer Simpsons-Folge (oder treiben wir es auf die Spitze, wie bei einer Simpsons "Treehouse Of Horror"-Halloween-Folge): Man kann pausenlos mit der Zunge schnalzen ob der Anspielungen und Dialoge. Oder man berauscht sich einfach in vollkommener Blödheit am oberflächlichen und einfachen und kann trotzdem drüber lachen. Eben wenn Homers Kopf zum Donut wird. Oder in Django zum 32. Mal "Nigger" gesagt wird.
Was mir beim Schauen dabei gar nicht aufgefallen ist (was die größte Leistung Tarantinos überhaupt ist): dass das Drehbuch - offenbar selbst in der Synchronisation - ohne komplett platte, idiotische Sätze oder "Jokes" auskommt. Ich meine damit jene Einzeiler, die für Einzeller geschrieben wurden und ohne die kein Klamauk-Film aber selbst ein vermeintliches Kunstwerk wie "Prometheus" auskommt. Wo sich der 12jährige minutenlang schüttelt. Also auch der 12jährige im 42jährigen. Beispiel: Die Szene in "Soul Kitchen", wo.... na ja... eigentlich der komplette Film "Soul Kitchen".
WERTUNG (mit ganz leichten, die Handlung nicht wirklich verderbenden Spoilern)
9 von 10 Punkte. Vermutlich der Film des Jahres, denn was soll denn da noch kommen? Zusammen mit Pulp Fiction und Jackie Brown auf jeden Fall in meiner Tarantino-Top-3. Der Soundtrack ist der Wahnsinn (Fast überflüssig zu schreiben: Wie in allen seinen Filmen), das Casting ist unglaublich (man vermisst eigentlich nur Danny Trejo und Cheech Marin, aber eben auch nicht). Mit Christoph Walz hat QT seit den Basterds den einzigen Schauspieler gefunden, der seine Dialoge noch besser umsetzt als Samuel L. Jackson (wobei auch dieser wieder brilliert). Über Leonardo DiCaprio ein Wort zu verlieren ist überflüssig, ich tu es dennoch: Wer ihn nach diesem Film immer noch nicht ernst nimmt, dem ist nicht zu helfen. Und selbst der unglaublicherweise flachste "Charakter", nämlich der "Titelheld", wird von Jamie Foxx so gut umgesetzt, dass man aus dem Kotzen nicht herauskommt, wenn man sich ernsthaft vorstellt, dass Will Smith für diese Rolle vorgesehen war.
Dass Tarantino selbst so eine lange Szene bekommt, war vielleicht nicht notwendig, ich hätte es besser gefunden, wenn man ihn nur kurz auf einem Pferd gesehen hätte (vgl. Peter Jackson). Dafür belohnt er sich aber mit dem spektakulärsten Tod des Films (Huch, da war der Spoiler).
OFFENE FRAGEN
Die selbe wie bei Hailee Steinfeld in True Grit: Warum wird Christoph Waltz als NEBENdarsteller für den Oscar nominiert? Wer ist denn da der Hauptdarsteller? Django, weil er eben der "Titelheld" ist? Mmmmmmöp. Ist er eben nicht. Er wurde ja "unchained" (Oh Gott, die Referenz des blauen Anzugs von Django zu F.W. Murnaus entfesselter Kamera ("unchained camera") ist
die vielleicht göttlichste überhaupt), also befreit. Und wer befreit ihn? Na ja, der Hauptdarsteller, wer denn sonst?
Egal, ich dachte im ersten Moment "Ach, als Nebendarsteller ist die Chance vielleicht größer, dass er wieder gewinnt." Allerdings ist die Konkurrenz in diesem Jahr mit u.a. De Niro, Philip Seymour Hoffman und Tommy Lee Jones nicht von schlechten Eltern. Egal, nicht so ernst nehmen, solche Preise (außer man gewinnt).
DRUMHERUM (gehört nicht zum Film, kann man als Nicht-Bayreuther überspringen)
Man muss ja auch mal lobend erwähnen, dass im Cineplex Bayreuth jetzt auch etliche Filme in der Originalversion laufen, sehr schön (teilweise sogar mehrere Wochen wie im Fall des Hobbits). Dennoch ist es schlimm, dass immer noch Eis im Kino verkauft wird. Wer in den 20 Minuten Idiotenwerbung (also keine Trailer oder was anderes Sehenswertes) nicht die 10 Meter zum Fressstand laufen kann, braucht sicher auch nicht am Platz ein Eis in den Arsch geschoben bekommen. In einer ausverkauften Vorstellung, wie am Sonntagnachmittag (Sonntagnachmittag! Das Kino ist nicht tot.) dauert der Eisverkauf dann halt gerne noch mal ein paar Minuten und das nervt.
Und eine Pause nach anderthalb Stunden bei einem Film mit 2h45 zu machen ist einfach nur eine Frechheit. Seit Barcelona 99 wurde ich nicht mehr so in die Realität zurück gerissen.
Jedenfalls dürfte man am Sonntag den Umsatz des Lebens gemacht haben, was da gefressen und gesoffen wurde, gerade auch noch mal in der Pause. Die Argumentation "damit man mal aufs Klo kann" zieht übrigens gar nicht, die Leute liefern während des Films permanent rein und raus, bereits 5 Minuten nach der Pause marschierte der erste Brunzer schon wieder zur Tür.
Sonst war das Publikum übrigens sehr angenehm. Keine dummen Kommentare und Mißfallenskundgebungen (wie zuletzt bei den intellektuell überfordernden "Cabin In The Woods" und "Cloud Atlas", WTF!) und kein einziges Handy-Telefonat. Geht doch, Bayreuth!
Christian_alternakid am 29.01.2013 um 11:46 Uhr:
Richtig.Vor allem deine Feststellung, dass Tarantino immer wieder bizarrerweise auf (angebliche) Gewaltexzesse reduziert wird. Das wirft bei mir immer zwei Fragen auf: a) was schauen solche Leute sonst so im Kino an? das ist ja mitnichten in irgendeiner Art außergewöhnlich gewalttätig und b) was machen solche Leute eigentlich im Kino, wenn Gewalt passiert? komplett den Kopf ausschalten? gerade in Django ist ja die Gewalt sehr bewusst und gezielt eingesetzt, eigentlich praktisch nie ohne von einer message begleitet zu werden (vereinfach gesagt: Gewalt gegen die Unterdrücker = befreiend, kathartisch, ja, auch lustig, comichaft überzeichnet - Gewalt gegen die Unterdrückten = verstörend, hart, brutal, unangenehm).
eine zweite sache, die ich explizit unterschreiben möchte: mit Waltz hat QT scheinbar tatsächlich so etwas wie seinen spiegel gefunden. das ist in beiden filmen so irre gut, dass Waltz halt selbst diese Riege an großartig agierenden Klasseschauspieler noch mal an die Wand spielt. und DiCaprio brilliert ebenfalls - wo man dann schon auch noch mal sagen muss: selbst Scorsese schafft es nicht, seinen Lieblingsschauspieler so einzusetzen wie Tarantino hier.
und wie schon bei Inglorious Basterds (oder im Grunde fast jedem QT-Film) ist es halt wieder eine "einfache" Dialogszene, die die größte Spannung entfaltet und die zeigt, wie wenig Krach und Bumm man braucht, um wirklich jeden im Kinosaal an den Sitz zu fesseln - hier ists die Abendessenunterhaltung zwischen Waltz und DiCaprio, bei Inglorious Basterds war es die Eröffnungsszene mit Waltz auf Judensuche.
Statiker am 29.01.2013 um 13:38 Uhr:
Pause? Welch schlimmer Rückfall in "Titanic"-Zeiten. Muss aber am Sonntagnachmittag gelegen haben. Gestern Abend Cineplex Bayreuth Django Unchained (OV) ohne Eis und Pause (dafür aber Handy, als Stephen in die Luft fliegt ... und die "Who was that nigger?"-Szene haben nur noch Lena und ich gesehen).motorhorst am 29.01.2013 um 13:43 Uhr:
Ja, bei uns haben die Leute auch fluchtartig das Kino bei der ersten Namenseinblendung verlassen und maximal 10% noch die Schlussfrage mitbekommen. Vielleicht traut man den OV-Besuchern einfach eine höhere Kinoaffinität zu oder hat schon am Wochenende den großen Reibach gemacht.Ich hätte ja auch gerne noch dazu geschrieben, wie Tarantino nach Basterds erneut eine kleine historische/politische Komponente ganz unaufdringlich und umso einprägsamer in den Film einbaut. Aber dann wäre der Text noch länger geworden und man merkt auch bei diesem Kommentar: Ich war beeindruckt.