Der Bär tanzt (auf Punk und Hansen).
Straight from da Berlinale: der Berliner Bär legt einen geziemenden Schwof zu den Klängen der deutschen Punkrevolution und Grand Hotel Van Cleef Associates hin. Tanz, du Bär!
- Keine Lieder über Liebe (D, Lars Krume, Panorama): aka „der Hansen-Film“. Als erstes ist man natürlich von der prinzipiellen Idee angetan: einige der glaubwürdigsten deutschen Schauspieler (Jürgen Vogel, Florian Lukas, Heike Makatsch) gehen in einer fake-Doku mit einer Indieband auf Tour, die sich aus den Meistern der Credibility des Here and Now (nein, hier ist kein Platz für die Kettcar-Haters) zusammensetzt: Tomte, Kettcar und Freunde.
Dabei bleibt die Band, bleiben die Songs trotz allem lediglich der Rahmen in dem Keine Lieder über Liebe spielt – und das ist jetzt im bestmöglichen Sinn gemeint. Es ist kein Tourfilm über eine Band, um den verzweifelt eine Pseudohandlung herumgezimmert wurde, sondern es ist ein Film über Liebe, Trennung, Schmerz und Glück, der im Kontext einer Bandtournee spielt.
Dabei ist einerseits der Bandkontext absolut glaubhaft (Übernachten in Stockbetten, Thees erzählt Anektoden, wie man Kaffee richtig umrührt etc) und andererseits der sezierende Blick auf eine sich zersetzenden Beziehung ehrlich, aufrichtig und straight.
Wahrscheinlich am wichtigsten für das Funktionieren des Films ist Jürgen Vogel, der auch die heikelste Rolle erfüllt: da Keine Lieder dicht an das Leben rangeht und im Dogma-Style gedreht ist (eben wie eine Dokumentation: man hört die Musik, die gerade gespielt wird, es ist die Beleuchtung da, die eben gerade da ist etc), ist ein so prominenter Schauspieler wie Vogel natürlich ein möglicher Bruch. Nimmt man ihm nicht ab, Sänger von Hansen zu sein, sondern denkt die ganze Zeit „ah da spielt der Vogel einen Sänger von Hansen“ wird der Film nicht funktionieren, da er eben nicht mit dem Mittel des Mockumentarys überzeichnen will (siehe The Rutles, Spinal Tap), sondern nur den Rahmen benutzt, um eine Geschichte zu erzählen, die von der Nähe der Kamera, von der Echtheit des Gesehenen lebt. Keine Lieder über Liebe lebt dabei das Paradox: Honesty in der Fakeheit.
So echt wie Krume die Hansen-Tour porträtiert, muss er viele Nächte in Deutschlands Toiletten-Clubs verbracht haben, muss er eine Liebe zu seinen Musikern haben. Viele kleine Geschichten geben Keine Lieder dieses echte Gefühl, dieses gefühlte Echtheit: wenn eine Bedienung in Münster einen onenightstand mit Florian Lukas hat, ist man sofort bereit zu glauben, dass sie tatsächlich eine Bedienung aus Münster war, die spontan in den Film eingebunden wurde (war sie nicht). Wenn Jürgen Vogel auf der Bühne einen Song seiner Tochter zum Geburtstag widmet, glaubst du, dass der Hansen-Sänger und nicht Vogel eine Tochter hat (obwohl man sich nachher fragt, warum zum Teufel denn nie eine Tochter erwähnt wurde). Wenn Heike Makatsch bei der Lebensbeichte eines alten Seebären weint, nimmt man ihr die Tränen ab (waren auch echt).
Perfekt ist Keine Lieder trotzdem nicht: zu Anfang noch etwas linkisch, findet der Film noch nicht seine Stimme, verfehlt den richtigen Ton und gegen Ende wird eine überflüssige Familiengeschichte exhumiert, die sehr spät – a propos of nothing - eingeführt wird und auch nicht wirklich zu einem ende kommt und weder zum Fortgang noch zur Charakterentwicklung (oder –erklärung) etwas beiträgt.
Doch die dazwischen liegenden eineinhalb Stunden sind wunderbar, da sie Fragen stellen, die keiner hören möchte, denen aber wohl jeder einmal begegnet ist. Dabei wirkt Keine Lieder im besten sinne authentisch, eben als würde hier tatsächlich eine Dokumentation über die Band Hansen gedreht werden, die den Beteiligten langsam aus den Händen gleitet. Dass Heike fucking wonderful aussieht, Jügen den Film trägt und Thees Geschichten erzählt, macht es nur noch besser.
Im September wird Keine Lieder Über Liebe zum Multimedia-Assault ausholen: der Film kommt ins Kino, es erscheint der Soundtrack und Heike veröffentlicht ein Tagebuch. Nächste Woche dann: „Thees – Der Film“.
Und das wichtigste am Film möchten wir nicht unerwähnt lassen: ohne die zweifellos tragende Besetzung der Motorjugendlichen Domo (wildes ungeordnetes Herumstehen vor der Bühne mit Bier in der Hand), Kern und Basti (tanzen, springen, Herumstehen mit Bier in der Hand) wäre dieser Film wahrscheinlich nicht möglich gewesen!
In einem Satz: Indiedeutschland liegt in Beziehungsland – das zeigt Keine Lieder Über Liebe. Und Basti, Kern und Domo.
Verschwende Deine Jugend.doc (D, Jürgen Teipel)
Der Film ist im Prinzip die Lesung auf Leinwand, heisst: die Originalinterviewfetzen und Standbilder. Keine bewegten Bilder, keine neuen O-Töne. Trotzdem natürlich gut, gerade wenn man noch nie auf einer Lesung war. Insgesamt wirkt der Film etwas leichter als das Buch, zudem ist Berlin-Düsseldorf ausgewogener, also mehr Blixa B. & Gudrun G.
Im Publikum waren Trini Trimpop & Peter Hein, leider aber bei der anschließenden Fragerunde nicht auf der Bühne, auf der der arme Jürgen Teipel sich dann vor einer Wild Bunch of Idiotenfragern dafür rechtfertigen musste, warum er denn die DDR-Punks nicht erwähnt (Teipel: "weil die überhaupt nichts mit dem Westen zu tun hatten. Die größte Verbindung war, dass Alex Hacke ab und zu nach Ostberlin gefahren ist und dort Rotkäppchensekt gesoffen hat bis er gekotzt hat. Es kann ja gerne jemand einen Film über DDR-Punk machen, aber ich machs nicht.") und ob er das, was er gerade gezeigt hat, denn ernsthaft Film nennen wolle, da das doch nur eine Diashow sei (Teipel: "wollen wir jetzt über Formatfragen diskutieren? Find ich ziemlich langweilig. Ich musste dazu überredet werden, jetzt sind wir hier, das ist aus der Lesung heraus entstanden. mir war das eben scheissegal wie die Tonqualität ist." im Subtext stand glaub ich bei dieser aussage: "Hey, Arschloch. das ist ein Punkfilm. Da kannst du mir hundertmal erzählen, dass das technisch scheisse ist, das ist ein Punkfilm. wir haben halt einfach gemacht, was wir können. Das ist ein Punkfilm. So fucking what?" - wo er meiner Meinung nach auch recht hat. Kommt dem transportierten Ethos ja viel näher als irgendein steriles Studiointerview oder verwackelte super8-szenen. Vor allem, weil es ja nicht bewusst auf Punkethos getrimmt ist, sondern tatsächlich einfach aus seiner Lesereise entstanden ist und der gute eben nichts mit Film am Hut hat.
Danach noch wie die Jungfrau zum Punk zu einer Einladung der Premierenparty des Films gekommen, auf der Gudrun Gut & Peter Hein (!) aufgelegt haben, wobei man natürlich etwas interessantes gelernt hat: eine leere Tanzfläche macht auch einen DJ (oder in Motordiktion besser: LPW) Peter Hein zu einer Punkjukebox. Spielt nur Hits (Wire (I Am The Fly), Joy Division (Transmission), Magazine (Shot By Both Sides), Buzzcocks etc.) und Luftgitarre zu den Buzzcocks hinterm DJPult. jaja, ich weiss, heroworshipping, aber was kann ich dafür wenn Peter Hein einfach immer so beeindruckend ist.
Ist es eigentlich cool oder lazy, wenn man die Songs von Magazine & Buzzcocks, die aus dem gleichen gitarrenriff bestehen (weil Devoto ja bei Buzzcocks ausgestiegen war, das gitarrenriff aber noch mit Pete Shelley gemeinsam zu Buzzcocks zeiten geschrieben hatte - und beide vereinbarten, dass jeder das benutzen darf), hintereinander spielt? und wie verdammt noch mal heißt jetzt eigentlich der Buzzcockssong, der eben das Shot By Both Sides Gitarrenriff hat?
Ach ja, und kann Otto Schily nicht im Zuge des erkennungsdienstlichen Erfassungswahns verfügen, dass alternde Punkstars Namensschildchen tragen müssen? Diese ganzen graumelierten Männer in schicken Jackets gestern abend, das können doch nur Filmproduzenten und Altpunks gewesen sein.
In einem Satz: die einzig legitime Diashow über Punk in Deutschland auf Zelluloid. Und: Peter Hein!
- Adam & Paul (IRL, Lenny Abrahamson, Panorama):
eine kleine Junkiegeschichte aus dem grünen Land mit der höchsten Oi-Ausrufs-Dichte dieseits des NOFX-Songs The Brews. Schaut man auf die Insel(n), scheint es eine Leichtigkeit zu sein, eine Junkietragödie so zu erzählen, dass sie schmerzt, unterhält, amüsiert ohne zu schimpfen, zu loben, zu werten. Es ist schon komisch, dass sich doch gewisse Regionen geradezu klischeehaft immer wieder selbst übertreffen, bestimmte Genre-Filme zu machen. Adam & Paul zeigt einen Tag im Leben zweier Heroin-Junkies, die im Gegensatz zu Trainspotting und Pete Doherty in keiner Weise cool wirken, sondern so abgefuckt sind, wie das nurmehr geht. Keine babyshambles sondern richtige Probleme, alder. Dabei umschifft Abrahamson mit seinem Drehbuchautor und Hauptdarsteller Mark O’Hallaran (the tall one) sämtliche Klippen und erzählt genauso viele amüsante wie niederschmetternde Geschichtchen.
In einem Satz: Laurel & Hardy als Heroinjunkies directed by Aki Kaurismäki.
- Sophie Scholl – Die letzten Tage (D, Marc Rothemund, Wettbewerb):
durchaus nicht zu Unrecht mit dem Preis für beste Hauptdarstellerin (Sophie Scholl) ausgezeichnet, aber mit dem Preis für beste Regie für sein solides Handwerk fraglos überbelohnt.
Angenehm an Sophie Scholl ist seine Reduktion auf die letzten Tage mit überraschend wenig Pathos – ein Kammerspiel, das wir viel zu selten sehen, wenn es um die Aufarbeitung des Dritten Reichs geht. Dass Sophie Scholl gerade weil sie gläubige Christin ist, diesen Weg auf sich nimmt, rückt der Film angenehm, dabei nicht aufdringlich in den Mittelpunkt und erzählt auf diese Weise viel mehr über das Thema Glauben vs. Nationalsozialismus als der sich explizit mit diesem Thema auseinandersetzende, misslungene Schlöndorff-Versuch „Der Neunte Tag“.
Neben Jentsch ist vor allem Andre Hennicke als Scharfrichter beeindruckend gut – und langsam fragt man sich in Anbetracht so vieler showstealing Szenen wie in Sophie Scholl, Der Untergang oder auch als Hauptdarsteller in Der Alte Affe Angst, ob Hennicke nicht vielleicht der beste Schauspieler seiner Generation now working ist.
Eine Frage bleibt für mich bei Sophie Scholl aber doch: warum wird Der Untergang (meiner Meinung nach zu Unrecht) dafür angegangen, dass er Menschen zeigt, Sophie Scholl aber nicht dafür, dass er überzeichnete Idealfiguren abbildet?
Ist es nicht schlimmer, immer wieder stolz zu zeigen „hey, hier sind 3 von 60 Millionen, die dagegen waren! WIR waren nicht alle stumm“ als einfach sich einzugestehen, dass Hitler neben seinem Hauptberuf als menschenmordende Bestie auch Part-Time-Mensch war? Macht nicht gerade die Loslösung von einem gehegt-gepflegten Stereotyp erst wieder ein Befassen an sich möglich?
In einem Satz: Julia Jentsch und Andre Hennicke brillieren in einem Kammerspiel über christlichen Glauben und Ignoranz, Humanismus und Unterdrückung.
- Fourteen Sucks (S, Freijd/Jern/Larsson/Norrthon, Wettbewerb 14plus):
Schwedischer Spielfilm, der ganz und gar wunderbar ist und im Jugendfilmprogramm eigentlich fast zu wenig Beachtung findet. Eine 14jährige geht auf Party und wird dort vollkommen betrunken vom Freund ihres älteren Bruders vergewaltigt. Sie erzählt keinem davon und verschließt sich bis sie einen jungen Skater kennenlernt und sich in ihn verliebt. Das ist alles erstens hervorragend gespielt und zweitens so direkt, grobkörnig gefilmt und realistisch zu einem Top Soundtrack (the Radio Dept! schwedischer shoegazer-pop, klasse) erzählt, dass es einen einfach greifen muss. Danach waren gleich drei der vier Regisseure auf der Bühne, die auch so sympathisch waren und aussahen wie man sich das wünscht: alle drei eine Mischung aus indie-geek, Graham Coxon und Skaterboy.
Überraschend, gerade bei Platzierung in der Jugendfilmreihe: der beste Film auf der Berlinale und zudem der Film, in dem am meisten gesoffen wird.
Eine Frage bleibt dennoch: sind denn in Schweden tatsächlich alle Menschen sowas von unfassbar gutaussehend, dass der hässlichste Darsteller (der Skaterfreund) immer noch wie eine hübsche junge Version von Razorlights big mouth Johnny Borell aussieht?
In einem Satz: Sex, Alkohol, Liebe, Skaten: Perfekt gespielt, wunderbar erzählt.
Christian_alternakid am 18.06.2007 um 19:10 Uhr:
gerade zum ersten mal seit obigem Text "Keine Lieder über Liebe" wieder gesehen. immer noch ein richtig guter, sehr schöner film, aber das letzte viertel mit der mudder saugt schon big time, nicht?sah Heike eigentlich jemals besser aus als in Keine Lieder Über Liebe?