Schöner Satz in der SZ über Toni Erdmann und die hiesige Kinorezeption/landschaft:
"Der orgiastische Rausch, mit dem die deutsche Komödie "Toni Erdmann" vor wenigen Wochen beim Filmfestival in Cannes gefeiert wurde, war fürs kühle deutsche Kinogemüt fast ein bisschen unheimlich. Da lagen sich die internationalen Kritiker quasi in den Armen vor Glück, und es schien, als hätte die Magie dieses Films so manchen Zyniker wieder daran erinnert, warum es sich überhaupt lohnt, ins Kino zu gehen.
Titelseite in Le Monde! Jubelstürme in der New York Times! Selbst die eher emotionsbefreiten, gewinnfixierten Filmeinkäufer spielten verrückt: Die Verleihrechte an "Toni Erdmann" wurden mittlerweile in 55 Länder verkauft - eine ziemlich stolze Zwischenbilanz.
Das alles kann man für die Filmnation Deutschland, die zu einer eher protestantischen Rezeption ihrer eigenen Filme neigt - also zur gnadenlosen Selbstkasteiung -, durchaus als Schock bezeichnen.
Toni Erdmann (...) ist eine astreine Komödie. Komödien sind auf Filmfestivals meist eine seltene Minderheit, weil sich dort vor allem die großen Problemfilme mit gesamtgesellschaftlichem Anspruch tummeln. Und das, obwohl gerade die Komödie, wenn sie denn gut gemacht ist, ein sehr präziser Gradmesser gesellschaftlicher Untiefen sein kann.
Leider geht das oft schief, weil viele Filmkomödien sich mit bloßen Geschlechterklischees und deren Verdrehungen als Witzereservoir begnügen. Da wird es dann als Scherz verkauft, wenn Frauen Bier und Männer Sekt trinken, was aber lediglich beweist, dass die jeweiligen Filmemacher keine Ahnung von Humor, Kino, Frauen, Männern, Bier und Sekt haben."
Alle Hymnen auf "Toni Erdmann": berechtigt!
Und dem vor Begeisterung tobenden Premierenpublikum nach zu urteilen - vielleicht nach "Oh Boy" & "Victoria" nicht nur ein kleines Arthouse-Wunder, sondern diesmal auch eines, das Millionen ins Kino zieht?
Wirklich kein schlechter Film. Den einzelnen Situationen wird viel Raum gegeben (2 1/2 h Film) und dadurch wird auch so ein erlebbares Bild von der Gesamtsituation von Vater und Tochter gezeigt. Und damit wiederum von der wirtschaftlich-gesellschaftliche Gesamtlage. Von der idiotischen Businesswelt, seinen armen Akteuren, in Ansätzen von den Leuten, auf deren Kosten es geht und dem Vertreter einer Generation, bei der es zwar ein wirtschaftlich-politisches Denken gab, die aber trotzdem arglos ist.
Gut gemacht, dass der Vater nicht wirklich der coole Held ist und angesichts der Realität in vielen Szenen wie hilf- und nutzlos dasteht, die Tochter aber in Kontrast dazu verzweifelt aber strategisch denkend die Masche ihres Alten für ihre Karriere benutzt. Und dass man am Ende nicht sicher sein kann, dass das tatsächlich gefruchtet hat oder ob sie bzgl. China nicht wieder gelogen hat.
Die Genrebezeichnung Komödie find ich nicht so richtig treffend. Auch wenn ich jetzt keine treffendere Bezeichnung wüsste.
Finde auch, dass Komödie der völlig falsche Begriff dafür ist, vor allem, wenn man ernsthaft Menschen dafür begeistern und ins Kino bringen will. Auch wenn viel gelacht wurde. Aber halt eher das ehrliche Lachen, nicht das Schweiger/höfer dumme, menschenverachtende, plumpe.
In der Sonntagmorgenvorstellung waren insgesamt 15 Personen mit mir. 3 Tage nach der Oscar-Nominierung. Das sagt wohl alles über den anstehenden kommerziellen Erfolg in Deutschland aus.
Hervorragender Film, Bloody Mary hat es schon sehr gut zusammen gefasst. Der Mittelteil ist sicher am gelungensten, ich leihe hier mir als Kurzbeschreibung mal die "idiotische Businesswelt". Großartige Schauspieler.
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Christian_alternakid am 26.06.2016 um 11:53 Uhr:
Schöner Satz in der SZ über Toni Erdmann und die hiesige Kinorezeption/landschaft:"Der orgiastische Rausch, mit dem die deutsche Komödie "Toni Erdmann" vor wenigen Wochen beim Filmfestival in Cannes gefeiert wurde, war fürs kühle deutsche Kinogemüt fast ein bisschen unheimlich. Da lagen sich die internationalen Kritiker quasi in den Armen vor Glück, und es schien, als hätte die Magie dieses Films so manchen Zyniker wieder daran erinnert, warum es sich überhaupt lohnt, ins Kino zu gehen.
Titelseite in Le Monde! Jubelstürme in der New York Times! Selbst die eher emotionsbefreiten, gewinnfixierten Filmeinkäufer spielten verrückt: Die Verleihrechte an "Toni Erdmann" wurden mittlerweile in 55 Länder verkauft - eine ziemlich stolze Zwischenbilanz.
Das alles kann man für die Filmnation Deutschland, die zu einer eher protestantischen Rezeption ihrer eigenen Filme neigt - also zur gnadenlosen Selbstkasteiung -, durchaus als Schock bezeichnen.
Toni Erdmann (...) ist eine astreine Komödie. Komödien sind auf Filmfestivals meist eine seltene Minderheit, weil sich dort vor allem die großen Problemfilme mit gesamtgesellschaftlichem Anspruch tummeln. Und das, obwohl gerade die Komödie, wenn sie denn gut gemacht ist, ein sehr präziser Gradmesser gesellschaftlicher Untiefen sein kann.
Leider geht das oft schief, weil viele Filmkomödien sich mit bloßen Geschlechterklischees und deren Verdrehungen als Witzereservoir begnügen. Da wird es dann als Scherz verkauft, wenn Frauen Bier und Männer Sekt trinken, was aber lediglich beweist, dass die jeweiligen Filmemacher keine Ahnung von Humor, Kino, Frauen, Männern, Bier und Sekt haben."
Christian_alternakid am 17.07.2016 um 23:34 Uhr:
Alle Hymnen auf "Toni Erdmann": berechtigt!Und dem vor Begeisterung tobenden Premierenpublikum nach zu urteilen - vielleicht nach "Oh Boy" & "Victoria" nicht nur ein kleines Arthouse-Wunder, sondern diesmal auch eines, das Millionen ins Kino zieht?
Bloody Mary am 06.08.2016 um 02:00 Uhr:
Wirklich kein schlechter Film. Den einzelnen Situationen wird viel Raum gegeben (2 1/2 h Film) und dadurch wird auch so ein erlebbares Bild von der Gesamtsituation von Vater und Tochter gezeigt. Und damit wiederum von der wirtschaftlich-gesellschaftliche Gesamtlage. Von der idiotischen Businesswelt, seinen armen Akteuren, in Ansätzen von den Leuten, auf deren Kosten es geht und dem Vertreter einer Generation, bei der es zwar ein wirtschaftlich-politisches Denken gab, die aber trotzdem arglos ist.Gut gemacht, dass der Vater nicht wirklich der coole Held ist und angesichts der Realität in vielen Szenen wie hilf- und nutzlos dasteht, die Tochter aber in Kontrast dazu verzweifelt aber strategisch denkend die Masche ihres Alten für ihre Karriere benutzt. Und dass man am Ende nicht sicher sein kann, dass das tatsächlich gefruchtet hat oder ob sie bzgl. China nicht wieder gelogen hat.
Die Genrebezeichnung Komödie find ich nicht so richtig treffend. Auch wenn ich jetzt keine treffendere Bezeichnung wüsste.
motorhorst am 28.08.2016 um 14:26 Uhr:
Finde auch, dass Komödie der völlig falsche Begriff dafür ist, vor allem, wenn man ernsthaft Menschen dafür begeistern und ins Kino bringen will. Auch wenn viel gelacht wurde. Aber halt eher das ehrliche Lachen, nicht das Schweiger/höfer dumme, menschenverachtende, plumpe.In der Sonntagmorgenvorstellung waren insgesamt 15 Personen mit mir. 3 Tage nach der Oscar-Nominierung. Das sagt wohl alles über den anstehenden kommerziellen Erfolg in Deutschland aus.
Hervorragender Film, Bloody Mary hat es schon sehr gut zusammen gefasst. Der Mittelteil ist sicher am gelungensten, ich leihe hier mir als Kurzbeschreibung mal die "idiotische Businesswelt". Großartige Schauspieler.