Nawalny

Christian_alternakid am 11.07.2022 um 17:34 Uhr:

Die großen Stärken der Dokumentation über den russischen Oppositionspolitiker Alexey Nawalny ist die krasse Offenheit: als Nawalny nach einem Giftanschlag in Deutschland behandelt wird und hier seine Rekonvaleszenz in einem bayerischen Dorf absolviert, klammert sich Daniel Roher an seine Fußstapfen und bekommt Einblicke, für die "fly on the wall" noch untertrieben wäre.
Großer Coup von Nawalny & Doku ist dabei der Livemitschnitt eines Husarenritts: nachdem das Bellingcat-Ermittlerteam die Kontaktdaten seiner vermuteten Attentäter besorgt, setzt sich der russische Dissident ans Telefon und klingelt bei seinen Gegner durch. Als wäre sein Leben ein Prank gelingt es ihm tatsächlich, einen der Verantwortlichen zu einer offenen Plauderei über Vorgehen und Hindernisse beim Mordanschlag auf sich selbst zu bewegen. Dieser live mitgefilmte Moment dürfte einer der irrsten in der Geschichte von Polit-Dokumentationen sein: live beim Aufdecken von Hintermännern dabei!
Nawalny selbst ist sehr nahbar, aber dadurch auch kein von Makeln freier Oppositionspolitiker - das versuchen aber weder Roher noch Nawalny selbst zu überspielen. Denn am Ende ist ja doch klar: schlimmer als Putin kann's wohl kaum werden.
Dass Nawalny tatsächlich freiwillig den Schritt zurück nach Russland wagt, kann man entweder beeindruckenden Mut oder irren Wahnsinn sehen. Die Belohnung Putins war ihm jedenfalls gewiss: mehrere Jahre in einem sibirischen Gefängnis. Roher kann auch das noch in diese Doku einfließen lassen und findet so ein (leider deprimierendes) Closing seiner Geschichte.
Neben "Der Fall Chodorkowski" (2011) von Cyril Tuschi sicher eine der beeindruckendsten Dokumentation über das politische Leben in Russland.