"Pierrot Le Fou" (aka "11 Uhr nachts") ist nach "Bande à part" wohl mein liebster Film von Jean-Luc Godard.
Nicht mit der wilden Naivität der Außenseiterbande, aber dafür mit dem Beweis, dass Kunstkino (und verdammt noch mal, wieviele Einstellungen in "Pierrot Le Fou" schreien Kunstkino und wurden in den Folgejahrzehnten kopiert!) auch flott und unterhaltsam, durchgeknallt und liebenswert, spannend und mitreissend sein kann.
Und was für ein Farbenrausch!
Und Anna Karina!
Oh, Anna Karina.
Wie sagt Jean-Paul Belmondos Ferdinand doch so treffend in einer Art Selbstbeschreibung des Films:
"Tender and cruel... real and surreal... shocking and mocking... nocturnal and diurnal.... usual and unusual... handsome as can be."
Neben dem etwas surrealeren "Der Mann, der zweimal lebte" von Frankenheimer ist Edwards Dmytryks "Mirage" (aka "Die 27. Etage") einer meiner liebsten Paranoia-Filme der Mitt-60er. Dmytryk spielt hier in der Hitchcock-Liga: durchgehend spannend und mysteriös.
Das einzige, was - wie fast immer bei Filmen prä68 - stört, ist die Frauenfigur, die aus heutiger Sicht einfach nicht mehr schlüssig wirkt. Ansonsten ist es von bemerkenswerter Konsequenz, wie Dmytryk uns mit dem Protagonisten in diese völlige Unsicherheit wirft und dem Zuschauer eben gar keine Zusatzinfos liefert, sondern miträtseln lässt, warum alles gerade überhaupt passiert.
Polanskis deep dive in die beängstigenden Dinge, die innerhalb des eigenen Kopfs vor sich gehen können. Ein Horrorfilm, der umso verstörender ist, weil es nicht die Außenwelt ist, die das Grauen bringt, sondern es sich dort in Rissen und Unebenheiten nur manifestiert: "Repulsion's depiction of a young woman's dissolution into madness is one of the most harrowing mental descents ever depicted onscreen" (Marjorie Baumgarten). Wie später "Rosemary's Baby" einer der Urtexte des modernen Horror.
Costa Gavras Debütfilm von 1965 heißt: „Mord im Fahrpreis inbegriffen“. Der französische Öffentlichepersonennahverkehr war also schon in den 60ern mit All Inclusive Angeboten unterwegs, als die deutsche Bahn von Free WiFi noch nicht mal zu träumen wagte. Typisch! Danke Merkel!
Jedenfalls, im Schlafwagen fahren sechs Passagiere in Marseille los, doch in Paris kommen nur fünf davon lebend an. Was nach einer klassischen Hitchcock meets Agatha Christie – Ausgangslage riecht, wird bei Costa Gavras zu einem flott inszenierten, durchaus etwas Nouvelle Vague beeinflussten Unterhaltungsfilm, in dem so viel geredet wird, als wär Robert Altman der Dialogcoach gewesen.
Trotzdem ist „Mord im Fahrpreis inbegriffen“ angenehm frisch, erstaunlich schnell und beeindruckend besetzt (Yves Montand, Simone Signoret und ein fantastisch schwitziger Michel Piccoli). Wenn mir jemand das für mich äußerst random erscheinende Ende erklären könnte, wäre ich dennoch sehr verbunden.
Einer der großen James-Bond-Filme aus der klassischen Sean-Connery-Ära. Gemeinsam mit "Goldfinger" (1964) begründet "Feuerball" viele der mythischen Elemente, die die James-Bond-Reihe von den Agentenfilmen seiner Zeit so abhob. Die Megalomanie ist dem Bösewicht Emilio Largo genauso eingeschrieben wie der Produktion des Films und Sean Connery definiert die Rolle des coolen Actionhelden in "Feuerball" für alle Zeit.
Eine Pop-Art-Explosion im Korsett eines Science-Fiction-Films. Als würde ein Swinging-Sixties-Künstlerkolletiv Schwarzeneggers "Running Man" verfilmen: eine Reality-TV-Show auf Leben und Tod, in den schicksten Kostümen und den geometrischsten Szenerien vorstellbar.
Kalter-Krieg-Klassiker von Martin Ritt auf Basis des berühmten John Le Carré Buchs. Hier wird spioniert und getäuscht und doppelgetäuscht, dass das schwarz-weiße Bild nur so durch den Kinosaal fliegt: "What the hell do you think spies are? Moral philosophers measuring everything they do against the word of God or Karl Marx? They're not. They're just a bunch of seedy squalid bastards like me, little men, drunkards, queers, henpecked husbands, civil servants playing "Cowboys and Indians" to brighten their rotten little lives. Do you think they sit like monks in a cell, balancing right against wrong? Yesterday I would have killed Mundt because I thought him evil and an enemy. But not today. Today he is evil and my friend."
"Motor Psycho" ist ein schwarz-weißes Thrillerdrama über Outlaw-Biker, die marodierend durch eine Wüstenlandschaft/dorf ziehen und so ein interessanter, sehr früher Russ Meyer - Film, der ganz anders als seine berühmt-berüchtigten späteren Werke ist. Natürlich ist seine Vorliebe im Casting auch hier zu erkennen, aber praktisch nudity-free.
Thematisch ist "Motor Psycho" damit näher an Biker-Exploitation-Filmen wie "Wild Angels" als an einem späteren Russ-Meyer-Titten-Opus.
Nebenbemerkung: auch hier zeigt sich übrigens wieder Meyers protofeministische Attitude. In einer Dialogszene zwischen einem Polizisten und dem Ehemann nach einer Vergewaltigung versucht sich der Polizist im "victim blaming" ("so wie sie angezogen war, braucht sie sich ja nicht zu wundern" etc) und wird darauf hin entschieden zurecht gewiesen wird. Da war Meyer moderner als viele seiner Zeitgenossen, gerade auch im Exploitation-Film.
Trivia: Die norwegische Psych-Rock-Band Motorpsycho hat sich nach Russ Meyers Film benannt: "they picked their name after seeing the Russ Meyer film of the same name as part of a Russ Meyer triple bill - there was already a band named after Mudhoney and a band named after Faster, Pussycat! Kill! Kill! - the other two films on the bill."
Agnes Vardas zweiter Spielfilm lässt mich rätselnd zurück - ist das eine Klage über die Austauschbarkeit der Frau? Eine der Freien-Liebe-Zeit der 60er geschuldete freundliche Lobrede der Polyamorie? Ein raffiniertes Ausstellen von Klischees? Oder eine Kritik am Glücksstreben und des Immermehrwollens des Menschen (des Mannes?)? Ich weiß es nicht.
Ich weiß aber zumindest, dass die Farben und die Szenerien ganz fantastisch anzuschauen sind.
Godard goes Genre-Kino: dystopische Science-Fiction und Film Noir sind die Spielbälle, die Godard in die Luft wirft und mit dem Zaubertrick des Brecht'schen Verfremdungseffekts in Kunstkino verwandelt. Ohne "Alphaville" sähen die Texte und Bücher von Messer-Mann Hendrik Otremba mit Sicherheit anders aus.