Steve Albini hatte offenbar einfach mal wieder Bock. Obwohl Shellac seit Jahren keine neuen Songs geschweige denn ein Album veröffentlicht haben, gaben sich die Herren Albini und seine Mitstreiter Robert Weston Jr. III am Viersaiter und Todd Trainer am Schlagwerk mal wieder die Ehre für einen denkwürdigen Berlin-Auftritt im Treptower Festsaal Kreuzberg.
Als Vorband spielten die französischen Decibelles, die gar nicht mal schlechten Shoegazer-Noise-Indiepop feilboten, aber mit dem Auftritt des Hauptacts wurde leider jede tiefere Erinnerung an das Vorgeschehen weggeblasen…
In gewohnter Manier eine sehr aufgeräumte Bühne: reduziertes Drumset (Bass, Snare, HH, 2 Toms, 2 Becken, alles exakt lotrecht ausgerichtet) in der Mitte, identische Verstärker-Stacks links und rechts davon (leider nicht mehr die minimalistischen mit lediglich einem beleuchteten Volume-Regler als einziges Bedienelement, die vor 20 Jahren beim Konzert am gedenkwürdigen 11.9.2001 in der Maria zum Einsatz kamen), 2 Mikros im Vordergrund, 1 (eine einzige!) Tretmine zu Füßen des Gitarristen. Keine Monitore. Kein Soundcheck außer einem kurzen Antippen und Funktionscheck der Mikros durch den Tourmanager.
Shellac betreten die Bühne und legen direkt los. Der Sound ist perfekt, nicht zu laut, nicht zu leise, keine hektischen Handzeichen an die FOH, alles einfach minutiös geplant und vorher gecheckt. Und wie immer schafft es das Three-Piece, trotz seines reduzierten Auftretens, eine Energie zu vermitteln und im Publikum zu entfachen, die vom ersten bis zum letzten Ton zwar greif-, aber dennoch unfassbar ist. Wie machen die das? Warum schafft manch andere Kapelle diese energetische Konzentration nicht mit mehr MusikerInnen, Lautstärke, Pomp & Tand zu erzeugen? Das Rezept scheint einfach, meist erzählerisch vorgetragene, manchmal herausgeschriene Geschichtchen auf Westons griffigen und stark repetitiven Bassfiguren als rhythmischem und melodischem Fundament, Albinis lediglich akkzentuierenden Gitarrenattacken und manchmal Ausbrüche in harmonisch fragwürdige Soli, zerhackt vom stoischen und technisch nur vermeintlich simplen Schlagzeugspiel Trainers. Der mit leerem Blick, offenem Mund und ausgemergeltem Körper noch immer aussieht wie das Stereotyp eines Junkies vom nahegelegenen Kottbusser Tor. Und bei dessen Spiel ich mich immer wieder frage, wie Menschen jemals auf die Idee kommen konnten, Dave Grohl sei der härteste Schlagzeuger aller Zeiten – nein, liebe Drummer-Community, lasst euch gesagt sein, Todd Trainer ist es! Und mit ihm bilden Shellac einer der härtesten Bands, die ihr Composite aus Hardcore, Math-Rock und Trance so eingeköchelt und reduziert hat, dass nur noch schnörkellose tragende Struktur und hochkonzentrierte Energie stehen bleiben. Die strahlte über 1 1/2 Stunden bei einem Potpourri aus Songs der letzten 3 Dekaden (mit "The guy who invented fire" und "Doris" sogar Songs der ersten beiden 1993er 7" "The Rude Gesture" und "Uranus") und 2 neuen bisher unveröffentlichten Stücken aufs Publikum aus, und der Buffer hält hoffentlich an, bis man sich in Chicago in 3 oder 5 oder 7 Jahren oder wann auch immer mal wieder zu einem Berlin-Besuch entschließen möge.
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RoterBlitz am 20.10.2022 um 13:08 Uhr:
Steve Albini hatte offenbar einfach mal wieder Bock. Obwohl Shellac seit Jahren keine neuen Songs geschweige denn ein Album veröffentlicht haben, gaben sich die Herren Albini und seine Mitstreiter Robert Weston Jr. III am Viersaiter und Todd Trainer am Schlagwerk mal wieder die Ehre für einen denkwürdigen Berlin-Auftritt im Treptower Festsaal Kreuzberg.Als Vorband spielten die französischen Decibelles, die gar nicht mal schlechten Shoegazer-Noise-Indiepop feilboten, aber mit dem Auftritt des Hauptacts wurde leider jede tiefere Erinnerung an das Vorgeschehen weggeblasen…
In gewohnter Manier eine sehr aufgeräumte Bühne: reduziertes Drumset (Bass, Snare, HH, 2 Toms, 2 Becken, alles exakt lotrecht ausgerichtet) in der Mitte, identische Verstärker-Stacks links und rechts davon (leider nicht mehr die minimalistischen mit lediglich einem beleuchteten Volume-Regler als einziges Bedienelement, die vor 20 Jahren beim Konzert am gedenkwürdigen 11.9.2001 in der Maria zum Einsatz kamen), 2 Mikros im Vordergrund, 1 (eine einzige!) Tretmine zu Füßen des Gitarristen. Keine Monitore. Kein Soundcheck außer einem kurzen Antippen und Funktionscheck der Mikros durch den Tourmanager.
Shellac betreten die Bühne und legen direkt los. Der Sound ist perfekt, nicht zu laut, nicht zu leise, keine hektischen Handzeichen an die FOH, alles einfach minutiös geplant und vorher gecheckt. Und wie immer schafft es das Three-Piece, trotz seines reduzierten Auftretens, eine Energie zu vermitteln und im Publikum zu entfachen, die vom ersten bis zum letzten Ton zwar greif-, aber dennoch unfassbar ist. Wie machen die das? Warum schafft manch andere Kapelle diese energetische Konzentration nicht mit mehr MusikerInnen, Lautstärke, Pomp & Tand zu erzeugen? Das Rezept scheint einfach, meist erzählerisch vorgetragene, manchmal herausgeschriene Geschichtchen auf Westons griffigen und stark repetitiven Bassfiguren als rhythmischem und melodischem Fundament, Albinis lediglich akkzentuierenden Gitarrenattacken und manchmal Ausbrüche in harmonisch fragwürdige Soli, zerhackt vom stoischen und technisch nur vermeintlich simplen Schlagzeugspiel Trainers. Der mit leerem Blick, offenem Mund und ausgemergeltem Körper noch immer aussieht wie das Stereotyp eines Junkies vom nahegelegenen Kottbusser Tor. Und bei dessen Spiel ich mich immer wieder frage, wie Menschen jemals auf die Idee kommen konnten, Dave Grohl sei der härteste Schlagzeuger aller Zeiten – nein, liebe Drummer-Community, lasst euch gesagt sein, Todd Trainer ist es! Und mit ihm bilden Shellac einer der härtesten Bands, die ihr Composite aus Hardcore, Math-Rock und Trance so eingeköchelt und reduziert hat, dass nur noch schnörkellose tragende Struktur und hochkonzentrierte Energie stehen bleiben. Die strahlte über 1 1/2 Stunden bei einem Potpourri aus Songs der letzten 3 Dekaden (mit "The guy who invented fire" und "Doris" sogar Songs der ersten beiden 1993er 7" "The Rude Gesture" und "Uranus") und 2 neuen bisher unveröffentlichten Stücken aufs Publikum aus, und der Buffer hält hoffentlich an, bis man sich in Chicago in 3 oder 5 oder 7 Jahren oder wann auch immer mal wieder zu einem Berlin-Besuch entschließen möge.