Reeperbahnfestival 2016

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Mittwoch, 21.09.2016 - Samstag, 24.09.2016 - Reeperbahn Hamburg

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Erlebnisse und Berichte

Christian_alternakid am 26.09.2018 um 12:00 Uhr:

So war übrigens das Reeperbahn Festival, im Telegram-Stil über 22 Bands, 3 Filme und 2 Lesungen.
Plus Plus Plus:

Friends Of Gas: Kolossale Jugend! Gewaltig! Antistyle, Antishow und trotzdem in der puren Wucht und Repetition andiewanddrückendgut. Und dabei hab ich noch nicht mal die Sängerin erwähnt, die sich eine Stunde heiser-krächzend durch dieses Set brüllt. the next great thing.

Gurr: putting Berlin on the Lofi-Guitar-Punk-Map. Wie Best Coast, aber mit mehr Kick und weniger Kiffen und deshalb live in einer anderen Liga. Was Herzen gewinnt: wenn ein verdaddelter Song nicht traurig beguckt, sondern mit einer spontan rendition von Gwen Stefanis Hollaback Girl in einen Konzerthöhepunkt verwandelt wird. Der NME würde sie lieben.

Oum Shatt: immer noch die beste Post-Punk-Arab-Psych-Kraut-Rock-Band around. Und Chris Imler ist ein Tier an den Drums.

Declan McKenna: Der intelligenteste Gitarrenpop, den ein 18jähriger, der wie 15 aussieht, machen kann. Wie early Jamie T, nur mit Magnetic Fields und Damon Albarn statt Billy Bragg und The Clash an Einflüssen.

Plus Plus:

Lesung: Jens Balzer: Pop. Passender Untertitel: „Jens Balzer liest seine schönsten Schmähkritiken“. Kammschwellender Balzgesang, sozusagen. Denn wer dieses Blog verfolgt, weiss dass Balzer die Schmähkritiken-Koryphäe schlechthin ist. Minuspunkt allerdings, dass er im Rihanna-Teil seine legendäre „Scheide reiben, Felsen schlecken“ – Schlagzeile aus der Berliner Zeitung über das RiRi-Konzert nicht zweitverwertete.

YAK: Brutal. Und Brutal gut. Geben live mehr als sie auf Platte versprechen und sind – für eine britische Band ungewöhnlich – eher dem harten, wilden Sound der MC5 anverwandt. Würde ein beeindruckendes Doppelkonzert mit der Fat White Family geben. Gibt es doch noch Leben auf dem Gitarrenplaneten England?

Lesung Alfred Hilsberg: Das Zick Zack Prinzip: In Wirklichkeit ein von Klaus Walter moderiertes Streitgespräch zwischen Hilsberg und seinem Biograph Meueler.
Hilsberg übers eigene Buch: „zum Teil haarsträubend!“, aber: „wenigstens kein zweiter Teipel„. Ein Streigespräch über ein eigenes Leben, eine eigene Geschichte und über Kunst, Kommerz und dessen Verweigerung: „ich habe immer versucht, selbstermächtigt Selbstausbeutung zu betreiben und das ist mir im Rückblick gesehen gut gelungen“.

Crack Ignaz: „Schön, dass ihr doa seid, ihr Haberer. Freit’s mi sehr.“ Crack Ignaz schlurft die Party auf 12. Rappt auf österreichisch und hat den besten Namen in the game, also volle Punktzahl allein für die wunderbar-romantische Wurschtigkeit von „König der Alpen“: „I hab‘ a Girl (hab‘ a Girl) aus Hamburg (ja, schöner Ort) / Aber i weiß leider nimmer wie sie haßt (fuck) /Und die Nummer hab‘ ich a verlegt / Wenn du das hörst, ruf mi bitte a! (ruf mi a, alder) / Oder schreib mir auf Facebook (Social Media) / I bin Fame und so“

Snoffeltoffs: haben ihren schlagzeugspielenden Bassisten als Gimmick verloren, der jetzt nur noch Bass spielt und dafür eine neue Schlagzeugerin gewonnen, sind nun also zu Dritt. Wenn die Snoffeltoffs mit ihrer Bandvergrößerung so weiter machen, dann werden sie 2046 zum ersten Sinfonieorchester, das Strange Boys – Sounds spielt.

Pete Doherty: hat alle Erwartungen erfüllt.

Plus:

Deap Vally: Unnachgiebiger Rocknroll-Assault. Ohne Zweifel beeindruckend. Hat allerdings die größten Stärken, wenn auch Leerstellen in den Songs entstehen und das Soundbett spröder wird, wie im beeindruckenden „Smile More“, bei dem sie ihre innere Patti Smith erfolgreich channeln.

The Lemon Twigs: nicht ganz so ezrafurmangut wie erwartet, weil auch stärker einer Soft-Rock-Idee von David Bowie anverwandt, beweist das Brüderduo aber durchaus recht interessante Ansätze. Allein der jüngere Bruder mit Vokuhila, Schminke und Scissorkicks bei Gitarrenriffs ist ein star in the waiting. Und hey, wer als US-Band extra für einen Auftritt in Hamburg eine deutsche (!) Version des Beatles-Klassikers „I Wanna Hold Your Hand“ („Komm gib mir deine Hand“) einübt und auch noch 1a durchzieht, hat sich Fleißbienchen im Hypebüchlein verdient.

L.A. Salami: die Wiedergeburt des Protest Singers. Wie bei Dylan in sorgsam gedrechselten Wortkaskaden, aber mit einer tatsächlichen Gesangsstimme veredelt. Begeisternder Applaus bei einem überraschend vollen Haus war die Folge. Auf Platte klingt Herr Salami elektrischer, als würde Jack White die verlorene Folk-Legende Rodriguez produzieren.

Karl Blau: Countrymuckertum par excellence, trotz beleuchtetem Cowboyhut straight gespielt. Die tollen Versionen von Link Wrays „Fallin‘ Rain“ und Billy Bares „How I Got To Memphis“ allein machen’s schon wertvoll.

Film: Fast Welt Weit: etwas zu kurz (23 Min) und kontextfrei für Nichtnerds. So bleibt eine Ahnung von einer retrospektiven Diskussion zwischen Frank Spilker, Bernadette La Hengst und Michael Girke über das Wesen von „Land“ und wie es seine Jugendlichen beeinflusst/beengt/beflügelt.

Film: Blur – New World Towers: Film über die schwierige Genese des „Magic Whip“-Albums und hier durchaus mit interessanten Momenten. Etwas zu viel Aufnahmen von Livestücken in voller Länge, aber andererseits: es gibt schlechtere Möglichkeiten, seine Zeit zu vertreiben, als „Beetlebum“, „Girls & Boys“ und „End Of The Century“ zu hören.

Yung: Aus Dänemark und deshalb vielleicht wenig verwunderlich im Ice-Age-Terrain unterwegs (der Band, nicht des Comicfilms). Wenn der Fuß vom Gaspedal genommen wird, entwickeln sich erstaunliche Indierocksongs, die in ihren besten Momenten an Built To Spill erinnern.

Unentschieden:

Alexandra Saviour: Schnute personified. Die stage personality ist intakt, jetzt bräucht’s nur noch Songs wie bei Lana del Rey.

Drangsal: live weniger 80erbollernd als auf dem Album (it’s a good thing), aber so ganz ist die Kevin Kuhn – Hoffnung auf den „deutschen John Maus“ noch nicht eingelöst.

Sophia: Nach Eigenbeschreibung: „sad songs eines Mitt40ers“. Das trifft’s und ist auch ungemein sympathisch. Im Genrevergleich fehlt mir allerdings dann doch das Himmel, Herrgott und das liebe Jesuskind bemühende existentialistische Flehen eines Josh T Pearson oder die Boshaftigkeit von Mark Kozelek.

The Jacques: Jung genug, um tatsächlich mit „Up The Bracket“ aufgewachsen zu sein. Von daher auch voll ok, dass hier die Libertines die Götter der Inspiration sind – und ein Song auch tatsächlich an die Libs heranreicht. Leider stilistisch unter aller Kanone, bitte noch mal bei Onkel Pete im Kleiderschrank nachgucken.

Film: Freiheit, Freiheit, Wirklichkeit: Film über das prekäre Künsterleben am Beispiel des Analog Soul Labels aus Leipzig. Der optimistische Schlurfi Arpen gibt dabei die besten Einblicke.

Spring King: solide und sympathisch mit einem Drummer als Bandleader. Ein genuiner Hit im Repertoire, insgesamt aber doch etwas zu bieder. Die Pigeon Detectives des „modernen“ Indierocks.

Telegram: Klassizisten, die sich kompetent und durchaus melodieselig an „Marquee Moon“ anlehnen.

Pelzig: kompetent und gut, das hat Interpol in den letzten Jahren auch nicht besser hinbekommen.

Okta Logue: Psychpop, der ruhig etwas mehr in Richtung Rock schielen könnte. Etwas zu beliebig.

Golf: Yachtrockige Weißbrotigkeit paart sich mit von Pharrell in die Neuzeit geschleppten funky Licks von Chic. Ist für eine deutsche Band schon ganz fresh, hat aber für mich persönlich dann doch zu wenig „Momente“. Kommerziell könnte das aber schon funktionieren.

Minus:

Blossoms: Schlimmer Schlagerpop und Sign o‘ the times, wenn es diesen Sound nun benötigt, um als Gitarrenband eine UK#1 zu landen. Beleidigung für das Erbe Manchesters, sind zu Recht deshalb in Stockport geboren.


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